Osvaldo Celani, Geschäftsführer Automotive, Eucon

Neue Mobilitätstrends wie Elektromobilität, Shared Mobility oder autonomes Fahren stellen Hersteller, Werkstätten und Ersatzteilhändler vor neue Herausforderungen. (Bild: Eucon)

In einer Studie haben Sie für Chinas Aftermarket einen Preisdruck prognostiziert, der vor allem Volumenhersteller betreffen wird. Worin liegt der Unterschied zu anderen Weltmärkten und wie können OEMs diesem Trend mittels digitaler Technologien entgegenwirken?

Ein steigendes Fahrzeugalter und somit preisempfindlichere Konsumenten sowie eine höhere Transparenz durch digitale Angebote sind die zukünftigen Herausforderungen in China. In den vergangenen Jahren war der chinesische Aftermarket vor allem auf die Wartung und Reparatur von relativ jungen Fahrzeugen konzentriert, doch zunehmend ändert sich der Fokus auf ältere Fahrzeuge. 2030 wird jedes zweite Auto im Reich der Mitte älter als sieben Jahre sein. Gleichzeitig sinkt die Bereitschaft, hohe Preise für Ersatzteile und Werkstatt-Services zu zahlen. Als Folge wächst der freie Ersatzteilmarkt stark zulasten der OEMs. Für zusätzliche Konkurrenz sorgen Plattformen von Online-Giganten wie etwa QCCR.com oder Tmall & Taobao von Alibaba, die ihren Kunden einen umfassenden On- und Offline-Service anbieten. Der führende nationale Ersatzteilhändler Carzone plant beispielsweise bis 2023 ein Netz aus 50.000 zertifizierten Werkstätten aufzubauen, in dem Fahrzeugbesitzer hochwertige Wartungs- und Reparaturarbeiten zu transparenten Preisen erhalten. Während Premium-Anbieter auf dem chinesischen Markt im Vergleich zur EU im Durchschnitt höhere Ersatzteilpreise durchsetzen können, ist dies im Volumensegment im Allgemeinen nicht der Fall. Hersteller müssen ihre Strategien anpassen, um vom lukrativen Geschäft mit Reparaturen und Ersatzteilen zu profitieren. Daten sind dabei ein entscheidender Schlüssel. OEMs sollten hier eine ganzheitliche Pricing-Strategie implementieren, bei der Preisstrategien nicht auf dem Bauchgefühl, sondern technologiegestützt auf datenbasierten Analysen beruhen, sowie Telematik- und Geodaten nutzen.

Einige Autohersteller widmen sich allmählich dem Online-Vertrieb oder gar dem Online-Ersatzteilgeschäft. An welchen Stellen sehen Sie den größten Nachholbedarf und wie können die beiden Bereiche besser miteinander verschränkt werden?

Wir sehen, dass im Gegensatz zu Europa in China der Ersatzteilhandel des Independent Aftermarket (IAM), also der freie Ersatzteilmarkt sehr viel stärker über große Plattformen wie Alibaba betrieben wird. Fahrzeughersteller im Premium- wie im Volumenbereich sind gut beraten, vollintegrierte, digitale OEM-Teilehandelskonzepte mit entsprechenden Incentive-Modellen für die heute noch vergleichsweise analogen Werkstätten und den lokalen IAM-Handel anzubieten. Fahrzeughersteller können die Online-Giganten als Multiplikator und Plattform nutzen. Der Online-Vertrieb von Genuine Commodities wie Reifen, Flüssigkeiten und Zubehör über Alibaba & Co. bietet sich zusätzlich an, da diese Plattformen bereits den Zugang zu den Kunden haben. Diesen Trend haben alle OEMs in Europa und den USA verschlafen.

Welchen Einfluss haben neue Mobilitätstrends wie Elektromobilität und Shared Mobility auf den Aftermarket?

Die neuen Mobilitätstrends wie Elektromobilität, Shared Mobility oder autonomes Fahren stellen Hersteller, Werkstätten und Ersatzteilhändler perspektivisch vor neue Herausforderungen. KI-basierte Steuerungen und komplexe, vernetzte Assistenzsysteme in den Fahrzeugen erfordern anspruchsvollere Reparaturen und Instandsetzungsarbeiten inklusive der notwendigen Kalibrierung der Systeme. Das wiederum erfordert von den Werkstätten ein großes Fachwissen und ein spezielles, hochpreisiges Werkstatt-Equipment. Vor allem stellt es die freien Werkstätten aufgrund deren Mehrmarkenstrategie vor größere Herausforderungen. Eine Folge ist, dass verstärkt sogenannte „Center of Excellence“ entstehen, in denen anspruchsvolle Reparaturen der Fahrerassistenzsysteme oder Elektronik durchgeführt werden. Neue Aftersales-Modelle müssen im Einklang mit der zukünftigen Positionierung der OEMs als Mobilitätsanbieter stehen. Vor allem müssen sinkende Umsätze im Aftersales-Geschäft durch den steigenden Anteil an Elektrofahrzeugen mittels attraktiver Umsätze insbesondere im Flottengeschäft kompensiert werden. Der Neu- und Gebrauchtwagenverkauf lässt sich dabei deutlich profitabler gestalten, als es heute der Fall ist. Dazu müssen den Nutzern beziehungsweise Abonnenten allerdings smarte und logistisch intelligente Angebote gemacht werden. Ein weiteres Potenzial liegt darin, Nutzerdaten durch Kooperationen mit branchenfremden Anbietern stärker zu monetarisieren. Der Wettbewerb um das Aftersales-Geschäft wird in Zukunft folglich auch dadurch bestimmt, welcher Anbieter die meisten fahrzeugbezogenen Daten besitzt und intelligent auswertet. Automobilhersteller sind hier klar im Vorteil, da sie den Erstzugriff auf die Daten haben.

Eucon

Osvaldo Celani begann seine Karriere bei der Philips Group und wechselte 2000 für sechs Jahre als Projektleiter zu Accenture Strategy Germany. Seither war er unter anderem für die Management- und Unternehmensberatung Bain & Company Germany sowie als Global Senior Director Automotive bei IHS Markit tätig. 2018 übernahm er den Posten als Geschäftsführer Automotive beim Datenxperten Eucon.

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