Management

17. Jun. 2025 | 07:00 Uhr | von Pascal Nagel

Felix Mogge, Roland Berger

„Der Wettbewerb ist nirgends so intensiv wie in China“

Die Automobilzulieferer navigieren weiterhin durch unsichere Fahrwasser. Im Interview erläutert Felix Mogge von Roland Berger, warum die aktuelle Situation für die Supplier so schwierig ist und ob die E-Mobilität endlich ein Weg aus der Krise sein kann.

Die Automobilzulieferer navigieren weiterhin durch unsichere Fahrwasser. Im Interview erläutert Felix Mogge von Roland Berger, warum die aktuelle Situation für die Supplier so schwierig ist und ob die E-Mobilität endlich ein Weg aus der Krise sein kann.

Mogge: "Die Zulieferindustrie ist traditionell auf Langfristigkeit ausgelegt: lange Kundenbeziehungen, lange Entwicklungszyklen, gleichbleibende Produkte über viele Jahre, stark standardisierte und regulierte Abläufe. Das lässt sich nicht einfach von heute auf morgen umwerfen." (Bild: Roland Berger)

Herr Mogge, wir erleben nach wie vor turbulente Zeiten. Wie hat sich die Lage seit unserem letzten Gespräch vor einem Jahr verändert? Zur Erinnerung: Damals wünschten Sie sich, dass OEMs und Zulieferer bei der Bewältigung ihrer Herausforderungen ein gutes Stück vorangekommen sein würden. Ist das so eingetreten?

Der Wunsch ist leider nicht in Erfüllung gegangen. Auch 2024 war erneut ein wirtschaftlich schwaches Jahr. Die globale Zulieferindustrie liegt weiterhin bei etwa fünf Prozent EBIT-Marge, was im Vergleich zum Vorjahr einen weiteren Rückgang um einen halben Prozentpunkt bedeutet. Damit operiert die Branche mittlerweile das sechste Jahr in Folge auf einem Renditeniveau, das etwa zwei Prozentpunkte unter dem historischen Durchschnitt liegt – und das bei gleichzeitig hohem Investitionsbedarf und steigenden Finanzierungskosten. Das führt zwar nicht zwingend zu breitflächigen Existenzkrisen, aber es zehrt weiter an der Substanz vieler Unternehmen. Die Lage bleibt herausfordernd – für einige vielleicht nicht existenzbedrohend, aber doch fundamental belastend.

Um dem zu begegnen, lassen sich aktuell zwei strategische Bewegungen beobachten: Fusionen wie jene von Vitesco und Schaeffler, die durch Zusammenschluss kritische Größe erreichen wollen, ebenso wie Spin-offs etwa bei Continental. Was ist aus Ihrer Sicht der richtige Weg in solchen Zeiten: kritische Größe oder maximale Agilität?

Tatsächlich sehen wir bei vielen dieser Unternehmensbewegungen vor allem eines: den Versuch der Fokussierung. Die entscheidende Frage ist also: Können Fokussierung und Größe gleichzeitig gelingen – widerspricht sich das oder ergänzt es sich sogar? Wenn wir in die Vergangenheit blicken, zeigt sich: Von den vor 20 Jahren führenden, insbesondere US-amerikanischen Zulieferern existieren die meisten heute nicht mehr in ihrer damaligen Form. Viele sind inzwischen deutlich kleiner, aufgespalten, oft auf nur ein Produktsegment fokussiert. Interessant ist aber: Diese fokussierten Geschäfte sind heute vielfach profitabler als ihre früheren, breit aufgestellten Vorgänger – und das trotz insgesamt gesunkener Branchenrenditen. Fokussierung zahlt sich also grundsätzlich aus. Gleichzeitig zwingt die technologische Transformation zu massiven Investitionen. In wachsenden Segmenten braucht es eine kritische Masse, einen signifikanten Marktanteil, um skalieren zu können – und damit überhaupt wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Das bedeutet: Größe ist auf Segment­ebene weiterhin wichtig, aber sie muss mit klarer strategischer Ausrichtung verbunden sein. Das schließt sich nicht aus, im Gegenteil – beides zusammen ergibt in vielen Fällen erst eine tragfähige Strategie.

Spannend ist, wie sich in diesem Umfeld das Geschäftsmodell von Zulieferern verändert. Beobachten Sie eher strategische Neuausrichtungen oder eher kurzfristige Reaktionen auf schwierige Marktentwicklungen?

Beides. Es gibt derzeit eine ganze Reihe kurzfristiger Herausforderungen, auf die Unternehmen schnell reagieren müssen – Marktschwankungen, geopolitische Unsicherheiten, volatile Lieferketten. Die Branche hat in den vergangenen Jahren gelernt, mit solchen Krisen umzugehen: Corona, die Halbleiterkrise, die Energiekrise – und vielleicht demnächst auch eine Zollkrise. Das ist inzwischen fast Routine. Aber jenseits dieser akuten Themen fehlt noch immer eine Antwort auf die strukturelle Kernfrage: Wie muss sich das Geschäftsmodell zwischen Zulieferern und Fahrzeugherstellern verändern? Das bislang dominante Modell – geprägt von Wachstum, Skaleneffekten, Effizienzgewinnen und deren Weitergabe – stößt an seine Grenzen, wenn das strukturelle Wachstum ausbleibt. Das tut es derzeit, und das bleibt auch erstmal so.

Wir haben in der Vergangenheit öfter darüber gesprochen, dass es in unsicheren Zeiten eher um Priorisieren als um Diversifizieren geht. Dennoch scheinen manche Zulieferer ihren Automotive-Anteil bewusst zurückzufahren und sich in andere Branchen zu orientieren. Ist das eine valide Antwort auf die gegenwärtigen Herausforderungen?

Diese Entwicklung ist nachvollziehbar, aber kein Allheilmittel. Entscheidend ist doch: In jedem Markt, den ich als Unternehmen betreten will, muss ich mir die Frage stellen, was mich dort eigentlich wettbewerbsfähig macht. In der Vergangenheit war der Automobilsektor für Zulieferer attraktiv, weil er weltweit eine nahezu einzigartige Kombination aus sehr hohen Technologie- und Qualitätsstandards bei gleichzeitig sehr hohen Stückzahlen bot. Das ist nicht einfach auf andere Industrien übertragbar – viele andere Märkte funktionieren nach anderen Logiken. Zudem ist der Wettbewerbsdruck in vielen alternativen Branchen ebenso hoch oder sogar höher. Aber: Es gibt neue Chancen. Im Verteidigungsbereich etwa entstehen derzeit Wachstumsmöglichkeiten, weil die dort geforderten technologischen Lösungen häufig nah an dem sind, was Automobilzulieferer bereits im Portfolio haben. Und die ausgeprägte Industrialisierungs- und Skalierungskompetenz der Branche könnte dort künftig stark gefragt sein. Für manche kann das ein sinnvoller Pfad sein, aber es ersetzt nicht die Lösung der Probleme im Kerngeschäft.

Bei den OEMs haben neue Player wie Tesla für Disruption gesorgt. Gibt es auch im Zulieferbereich vergleichbare Entwicklungen – neue Anbieter, die mit tradierten Strukturen brechen und neue Wege gehen?

Spannende Frage, jedoch muss man dabei die Grundlogik der Zulieferindustrie im Blick behalten. Diese ist traditionell auf Langfristigkeit ausgelegt: lange Kundenbeziehungen, lange Entwicklungszyklen, gleichbleibende Produkte über viele Jahre, stark standardisierte und regulierte Abläufe. Das lässt sich nicht einfach von heute auf morgen umwerfen. Neue Player im Zulieferumfeld passen sich bislang eher den bestehenden Modellen an, statt sie umzukehren. Aber: Es gibt eine ganze Reihe von Unternehmen, die ihre Produktportfolios radikal umgebaut haben – etwa in Richtung Elektromobilität, Software, Sensorik. Und gerade mit Blick auf China sehen wir nochmal ganz neue Herangehensweisen: Dort wird Entwicklung und Produktion ganz anders gedacht. Das wirkt auf die Branche insgesamt zurück, auch auf die westlichen Märkte.

Ein Thema, das viele umtreibt, ist die Elektromobilität. Lange Zeit wurde sie als große Chance für Zulieferer gesehen, dann kam die Delle. Jetzt scheint sich der Trend zu stabilisieren. Wird die E-Mobilität doch noch zum großen Pluspunkt für die Branche?

Ich bleibe überzeugt: Das batterieelektrische Fahren ist die Antriebsart der Zukunft im Pkw-Bereich. Zum Beispiel auf der jüngsten Auto Shanghai war einmal mehr zu sehen, mit welcher Dynamik insbesondere die chinesischen Hersteller auf das Thema Elektromobilität setzen. Das ist der größte Fahrzeugmarkt der Welt, was dort passiert, hat globale Bedeutung. Für Zulieferer ist das langfristig ein strukturell stark wachsendes Geschäftsfeld – und es wird sich auch wirtschaftlich auszahlen. Aber: Derzeit sind wir davon noch weit entfernt. Die Stückzahlen sind zu niedrig, die technische Varianz zu hoch, die Skaleneffekte fehlen. Das moderate Wachstum in Europa ändert daran wenig. Es wird noch einige Jahre dauern, bis die Voraussetzungen für wirtschaftlichen Erfolg wirklich gegeben sind.

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Fokussierte Geschäfte sind heute vielfach profitabler als ihre breit aufgestellten Vorgänger.

Felix Mogge, Roland Berger

Bleiben wir in China: Gibt es dort auch verstärkt Wettbewerb durch chinesische Zulieferer, die europäische Anbieter unter Druck setzen?

Ja, definitiv. Der Wettbewerbsdruck nimmt weltweit zu, doch nirgends ist er so intensiv wie in China selbst. Wenn wir über Konkurrenz durch chinesische Zulieferer sprechen, geht es weniger um Europa, sondern um den chinesischen Markt. Natürlich vergeben auch europäische OEMs verstärkt Projekte an chinesische Anbieter. Doch vielen dieser Lieferanten fehlt es in Europa an Entwicklungs- und Produktionskapazitäten. Und sie können nicht beliebig alle Teile um die halbe Welt transportieren. In China hingegen sind viele deutsche Zulieferer traditionell sehr erfolgreich. Gleichzeitig drängen leistungsfähige lokale Anbieter mit technologisch hochwertigen Produkten und sehr niedrigen Preisen auf den Markt. Das ist eine angespannte, teils verzerrte Wettbewerbssituation. Sie ist nicht nachhaltig, aber sie wird uns noch eine Weile begleiten.

Apropos globale Verwerfungen: Sie haben vorhin von einer möglichen „Zollkrise“ gesprochen. Wie stark werden deutsche Zulieferer von verschärften Zollregimen getroffen, und wie können sie sich darauf vorbereiten?

Zölle sind für die Automobilzulieferindustrie extrem problematisch, was an der tiefen internationalen Verflechtung der Wertschöpfungsketten liegt. Kaum eine Branche transportiert ihre Komponenten so häufig über Ländergrenzen hinweg wie diese. Schon deshalb sind zusätzliche Zölle von 20, 30 Prozent oder mehr ein kaum tragbarer Kostenfaktor – insbesondere angesichts der ohnehin angespannten Margenlage. Kurzfristig lässt sich das nur durch Preisweitergabe an die OEMs auffangen. Mittelfristig aber wird es Anpassungen in den Wertschöpfungsketten geben müssen. Dafür braucht es jedoch Planungssicherheit: über die Höhe, Dauer und Art solcher Zölle.

Im letzten Jahr sagten Sie, die deutsche Zulieferindus­trie brauche keine politische Unterstützung. Gilt das angesichts der Diskussionen über Standortbedingungen, Energiepreise, Löhne und Industriepolitik noch immer?

Man muss hier differenzieren. Natürlich braucht die Industrie verlässliche regulatorische Rahmenbedingungen, insbesondere angesichts langer Investitionszyklen. Ansonsten ist keine Planung möglich. Das hat sich am Beispiel Elektromobilität bereits gezeigt. Was die industriepolitische Frage betrifft: Für mich geht es weniger um die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Unternehmen, sondern um übergeordnete Ziele wie Versorgungssicherheit und technologische Souveränität. Wollen wir in Europa eine eigene Batterie-Wertschöpfungskette aufbauen? Wollen wir ausreichende Halbleiterkapazitäten? Das sind politische Fragen, die über das klassische ökonomische Denken hinausgehen und entsprechend beantwortet werden müssen.

Ist und bleibt Deutschland denn weiterhin ein attraktiver Standort für Entwicklungs- und Fertigungsaktivitäten von Zulieferern?

Aus meiner Sicht ja. Wir erleben seit einiger Zeit eine Rückbesinnung auf regionale Märkte – nach Jahrzehnten der Globalisierung. Der europäische Fahrzeugmarkt ist historisch stabil von den hier beheimateten Herstellern dominiert, ebenso wie Nordamerika oder Japan. Dass China so lange von ausländischen Marken geprägt war, war eher die Ausnahme. Heute dominiert dort die lokale Industrie – und das wird so bleiben. Im Umkehrschluss bedeutet das: Auch Europa wird auf eine leistungsfähige lokale Zuliefererindustrie angewiesen bleiben, um den heimischen Markt zu bedienen. Das schließt internationale Aktivitäten nicht aus, aber sie müssen noch stärker lokalisiert werden. Wer als europäischer Zulieferer in China erfolgreich sein will, muss dort vollumfänglich präsent sein.

Werfen wir zum Schluss noch einen Blick auf technologische Chancen: Welche Themen sind aus Ihrer Sicht entscheidend, damit sich Zulieferer zukunftssicher aufstellen können – abgesehen von der Elektromobilität?

Die technologische Landkarte im Fahrzeug von morgen ist heute weitgehend klar – und das ist erstmal eine gute Nachricht. In den Bereichen Batterie, elektrische Antriebskomponenten, elektronische Hardware, Software und Sensorik sehen wir über die nächsten zehn Jahre sehr starkes Wachstum. Das gilt selbst dann, wenn OEMs in manchen Bereichen stärker auf Insourcing setzen. Aber: Wir sprechen fast ausschließlich über hochkomplexe Systeme mit hohem Investitionsbedarf. Das kommt tendenziell den großen Zulieferern zugute und stellt kleinere Anbieter zunehmend vor große Herausforderungen. Die Branche verändert sich dadurch auch strukturell: Batterie- oder Halbleiterhersteller, die früher nicht zu den klassischen Automotive-Zulieferern zählten, sind heute integraler Bestandteil des Systems.

Zum Abschluss: Was erwarten Sie für die kommenden zwölf bis 18 Monate? Können wir auf eine Renaissance der Zulieferindustrie hoffen oder wird es erneut ein schwieriges Jahr?

Wir führen dieses Gespräch ja nun schon seit einigen Jahren und Sie wissen, dass ich grundsätzlich an die Zukunftsfähigkeit der Zulieferindustrie glaube, gerade hier in Europa. Aber: Für das Jahr 2025 müssen wir uns wohl erneut auf ein schwieriges Jahr einstellen. Das ist zumindest die realistischste Prognose unter den gegebenen Rahmenbedingungen. Natürlich hoffen wir, dass sie sich nicht bewahrheitet und wir im nächsten Jahr vielleicht doch von einer positiveren Entwicklung sprechen können.

Zur Person:

Felix Mogge ist Senior Partner bei der Unternehmensberatung Roland Berger. Er berät Firmen entlang der gesamten automobilen Wertschöpfungskette und ist Spezialist für die weltweite Automobilzulieferindustrie. Seine Expertise umfasst unter anderem Restrukturierungs- und Leistungssteigerungsprogramme, M&A und Post-Merger-Integrationen. Felix Mogge ist seit 2003 bei Roland Berger und hat Betriebswirtschaft an der Otto Beisheim Graduate School of Management in Vallendar (Deutschland) und der John M. Olin School of Business in St. Louis (USA) studiert.

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