Mitarbeiter von Continental bekommen aufgrund der Corona-Pandemie Schutzmasken am Eingang.

Die Autoindustrie musste im Krisenmodus Hygienekonzepte entwickeln und sich für einen zweiten Lockdowwn rüsten. (Bild: Continental)

Die Angst vor dem nächsten Shutdown:

Das Titelblatt der Automobil Produktion 04/2020

Das passende Interview zu dieser Titelgeschichte finden Sie ab 1. Oktober 2020 in der aktuellen Ausgabe der Automobil Produktion (04/2020).

 

In diesem erläutert Heike Weishaupt, Vice President Human Resources bei Benteler Automotive, welche Maßnahmen der Zulieferer im Zuge der Corona-Pandemie getroffen hat und wie das mobile Arbeiten sich auf die Unternehmenskultur auswirkt. Lassen sich die Teams im Homeoffice gleichermaßen motivieren?

Von einigen Ausnahmen abgesehen sind die meisten Autohersteller trotz anhaltender Coronakrise wieder in der Spur. Nach den Produktionseinstellungen im April ging es zunächst erst schrittweise wieder los. Zuvor war es ohne Vorwarnung problematischer denn je gewesen, die eingespielten Fertigungen mit ihren Just-in-Time-Lieferungen und verwobenen Prozessketten so schnell als möglich zurückzufahren.

Angst vor einer zweiten Infektionswelle

Doch war es für die meisten Autohersteller mit ihren Krisenteams möglich, die Werke in fünf bis zwölf Tagen zurückzufahren und dann sukzessive wieder anlaufen zu lassen, sah das bei vielen Zulieferern ganz anders aus – auch weil die Rücklagen fehlen. Seit einigen Wochen gehen in Autoländern wie Spanien, Frankreich oder Deutschland die Covid-19-Infektionszahlen wieder hoch. Erste Länder schotten sich mehr denn je nach außen ab und eine Entspannung ist auch jenseits der großen Meere in den Vereinigten Staaten, Asien, Südamerika oder Afrika nicht abzusehen.

Die zunehmende Angst vor einer zweiten Infektionswelle sorgt dafür, dass sich die Krisenteams von Autoherstellern oder Topzulieferern wieder öfter treffen. Man kommt mindestens einmal die Woche zusammen, analysiert die Infektionszahlen an den eigenen Standorten, in den jeweiligen Regionen und bereitet sich darauf vor, die Fertigungen schneller als beim ersten Lockdown zurückfahren zu können. Zumindest sind Produktionen und Büros besser als noch im März auf eine erneute Coronawelle vorbereitet. Überall wo es möglich war, wurden die Arbeitsplätze durch Trennwände, Abstand und Reinigungsschleusen pandemiesicher gemacht.

Die Neuzulassungen auf dem europäischen Markt.
Die Neuzulassungen nähern sich langsam wieder dem Niveau des Vorjahres an. Quelle: ACEA

Unternehmen haben aus der Pandemie gelernt

Festzustehen scheint, dass es in den meisten europäischen Ländern keinen zweiten harten Lockdown mehr geben wird. Man weiß, dass viele Firmen das nicht überstehen würden. Die Politik hat durch den ersten absoluten Stillstand ebenfalls gelernt – wenn auch nicht so offenkundig wie einige Industrie-Player, die eine Reihe an neuen Gremien und schnelle Entscheidungsebenen eingeführt haben.

So will man die Zeichen der Zeit früher erkennen und schneller handeln als vor einem knappen halben Jahr, als viele von den weitreichenden Auswirkungen der Coronakrise weitgehend unvorbereitet getroffen wurden. Der BMW-Vorstandsvorsitzende Oliver Zipse: „Wir beobachten die Situation weiterhin sehr genau und steuern die Produktion unverändert gemäß der Entwicklung in den Märkten und der regional unterschiedlichen Kundennachfrage.“

„Das erste Halbjahr war durch die Covid-19-Pandemie eines der herausforderndsten in unserer Unternehmensgeschichte. Gleichzeitig haben wir frühzeitig umfassende Maßnahmen zur Senkung unserer Kosten und Sicherung der Liquidität eingeleitet“, sagt Frank Witter, VW-Konzernvorstand für Finanzen. „Aufgrund des positiven Trends unseres Geschäfts in den letzten Wochen und der Einführung zahlreicher attraktiver Modelle blicken wir vorsichtig optimistisch auf das zweite Halbjahr.“

Homeoffice zeigt Alternativen auf

Dabei ist es ein offenes Geheimnis, dass der ein oder andere Hersteller durch den Lockdown und die bisweilen wochenlange Produktionspause seine üppigen Lagerbestände sinnvoll reduzieren konnte. Das war für viele einer der wenigen positiven Nebenaspekte der beispiellosen Viruspandemie. Die meisten Mitarbeiter der Automobilkonzerne sind vom Coronavirus nach wie vor im Alltag betroffen. Nicht nur viele Länder- und Vertriebsorganisationen sind noch mindestens bis zum Jahresende im Homeoffice, auch bei Marken wie Volkswagen, Opel, Ford, BMW oder Daimler sind ganze Abteilungen außerhalb von Produktion oder Entwicklung seit Monaten kaum im Büro gewesen.

Dabei merkten auch die Homeoffice-Verweigerer in den Führungsetagen, dass viele Dienstreisen entbehrlich waren und man große Teile des Tagwerks von zuhause erledigen kann. Vielmehr dürfte es langfristig schwierig werden, wieder eine Regelarbeit im Büro wie vor der Krise einzuführen. Zudem dürften die Firmen mit nennenswert weniger Büroräumen auskommen als zuvor, was die laufenden Kosten reduzieren wird.

Probleme wurden jahrelang verschleppt

Dass sich der ein oder andere Autohersteller ohnehin nur durch die Kurzarbeit noch am Leben erhalten kann, ist ebenfalls kein Geheimnis. Vielen Kurz- und Heimarbeitern bringt die Coronakrise gleichzeitig viel Gutes. Ohne Arbeit gibt es bei Marken wie Volkswagen oder BMW durch Kurzarbeit mehr als 90 Prozent des Gehaltes – damit können sich viele bestens arrangieren.

Nach Aussagen der Präsidentin des Automobilverbandes (VDA) Hildegard Müller befand sich zur Hochzeit der Coronakrise jeder zweite der mehr als 800.000 in der deutschen Autoindustrie Beschäftigten in Kurzarbeit: „Für den europäischen Markt rechnen wir mindestens mit einem Minus von 21 Prozent für das Gesamtjahr, für den Weltmarkt mit einem Rückgang von mindestens 16 Prozent. Der Pkw-Weltmarkt wird somit etwa dreimal so stark wie während der Finanzkrise 2008 einbrechen.“

Covid-19 hat de facto kaum neue Probleme mit sich gebracht. Was die Pandemie aufzeigt, ist, dass viele Probleme der Autoindustrie seit Jahren verschleppt wurden. Nicht nur Insider wissen, dass die trägen Autohersteller und Zulieferer deutlich zu viele Beschäftigte haben und realitätsferne Zukunftspakte den Status quo so lange als möglich absicherten – auch wenn die meisten Firmen problemlos mit zehn bis 20 Prozent weniger Mitarbeitern auskommen würden.

Eine Statsitik zur Kurzarbeit unter deutschen Zulieferern im August.
Bei elf Prozent der Zulieferern waren mehr als als 75 Prozent der Belegschaft in Kurzarbeit. Quelle: VDA

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