header-technologies-electric_borg warner

Mit dem politisch erzwungenen Schwenk auf Elektromobilität wird die deutsche Autoindustrie mächtig durcheinander gewirbelt. Die Schockwellen aus den Konzernzentralen in Wolfsburg oder Stuttgart zeigen auch in der vermeintlichen Autoprovinz Wirkung. (Bild: Borg Warner)

Wenn nichts passiert, drohen „industrielle Wüsten“, hat IG-Metall-Chef Jörg Hofmann jüngst gewarnt. Mit dem politisch erzwungenen Schwenk auf Elektromobilität wird die deutsche Autoindustrie mächtig durcheinander gewirbelt. Die Schockwellen aus den Konzernzentralen in Wolfsburg oder Stuttgart zeigen auch in der vermeintlichen Autoprovinz Wirkung. Wenn in die Verbrennertechnologie nicht mehr investiert wird, wackeln in Regionen wie dem Saarland und Rheinland-Pfalz die Arbeitsplätze bei großen und kleinen Zulieferern.

Sorgen macht sich beispielsweise Rudolf Marx, Betriebsratschef des kleinen Schaeffler-Werks Morbach im Hunsrück. Der fränkische Zuliefer-Riese hat die Investitionen in Kupplungsbeläge für Handschalter gestoppt, weil dieses Segment nicht mehr als zukunftsträchtig gilt. Nach Schätzungen des Arbeitnehmervertreters hängen aber 200 der 300 Morbacher Jobs an diesem Segment, sodass dringend nach Alternativen gesucht werden müsse. Marx ist sich sicher, dass das vorhandene Wissen über Materialien und Prozesse auch für andere Produkte nutzbar wäre. „Wir laufen sonst Gefahr, dass unser Werk langsam ausblutet und irgendwann geschlossen wird.“

Beim Turbo-Spezialisten Borg Warner im pfälzischen Kirchheimbolanden gehen die Geschäfte schon schlechter, sagt die örtliche Gewerkschaftssekretärin Birgit Mohne. Leiharbeiter werden nicht weiterbeschäftigt, und auch die Stammbelegschaft ist nur noch bis Ende 2021 vor Entlassungen geschützt. „Wir suchen nach Zukunftsprojekten“, sagt Mohne. Doch die Entscheidungen der Konzernleitung in den USA ließen immer noch auf sich warten.

Das benachbarte Saarland mit rund 44.000 Auto-Beschäftigten hängt wie kaum eine andere Region am Verbrennungsmotor. Laut einer aktuellen IW/Fraunhofer-Studie entfallen rund 40 % des Umsatzes von knapp 17 Mrd Euro auf Sparten, die stark vom Wandel betroffen sein werden. Dazu zählen Fabriken für Motoren, Getriebe oder Abgasnachbehandlung, allein Bosch beschäftigt in Homburg mehr als 4.700 Menschen vorwiegend in der Dieseltechnologie. Insgesamt umfasst der Auto-Sektor 260 Unternehmen, Spezialisten für zukunftsträchtige Automatisierung oder Fahrzeugvernetzung sind kaum darunter.

Die Autoren der Studie geben der Region zehn Jahre Zeit, den Wandel konkret zu gestalten, weil nach ihrer Einschätzung auch 2030 noch 40 % der neuen Autos einen Verbrenner als Antrieb haben werden. Weitere 35 % sind in diesem Szenario als Hybride unterwegs, reine Elektroautos machen nur rund ein Viertel aus. Der evolutionäre Wandel brächte Zeit, sich nach neuen Produkten und Geschäftsideen umzuschauen. Sollte es wesentlich schneller gehen mit der Dekarbonisierung, drohen an der Saar massive Umsatz- und Jobverluste.

Im ZF-Werk Saarbrücken mit rund 9.000 Beschäftigten setzt man auf den Hybridantrieb: 800 Millionen Euro sollen in den nächsten vier Jahren investiert werden, um den Standort fit zu machen für den Wandel von konventionellen hin zu teil-elektrischen Pkw-Antrieben. Der Produktionsanteil an Hybridgetrieben in Saarbrücken werde sich nach Auskunft einer Sprecherin in den kommenden Jahren von derzeit 5 auf 50 % erhöhen. Grundlage ist der größte Auftrag der Unternehmensgeschichte von BMW, die für einen zweistelligen Milliardenbetrag hybridoptimierte Getriebe bestellt haben.

„Wer Entscheidungen in die Zukunft gerichtet trifft, der hat auch eine Zukunft“, sagt dazu die saarländische Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD). Ihrer Ansicht nach müsse die Transformation der Industrie vor allem gemeinsam mit den Beschäftigten gelingen. Schlüssel seien die Qualifizierung und Weiterbildung der Mitarbeiter. „Land und Bund können da viel tun, aber hier sind auch die Unternehmen in der Pflicht“, sagt Rehlinger.

2016_01_25_transmission-assembly-saarbruecken_04
Im ZF-Werk Saarbrücken mit rund 9.000 Beschäftigten setzt man auf den Hybridantrieb: 800 Millionen Euro sollen in den nächsten vier Jahren investiert werden, um den Standort fit zu machen für den Wandel von konventionellen hin zu teil-elektrischen Pkw-Antrieben. (Bild: ZF)

Im Ford-Werk Saarlouis werden gerade 1.600 der noch 6.000 Arbeitsplätze gestrichen, weil sich der Kompakt-Van C-Max nicht mehr verkauft. Laut Sprecher Marko Belser soll nach den Werkferien vom 29. Juli 2019 an von einem Dreischicht- auf ein Zweischicht-System umgestellt werden. Für den Standort sieht Belser dennoch gute Perspektiven: „Da unser Werk in Saarlouis zu den effizientesten Produktionswerken in der gesamten Autoindustrie zählt, sind wir sehr zuversichtlich, was die Zukunft des Standorts angeht“, sagt er.

Natürlich spiele Elektrifizierung dabei eine Rolle. Den ersten Schritt bilde dabei der Ford Focus Mild-Hybrid, der Anfang nächsten Jahres kommen soll. Die IG Metall sieht das Werk für die nächsten fünf Jahre abgesichert. Die Beschäftigten sind noch bis Ende 2021 vor Kündigungen geschützt.

„Das Saarland kann Strukturwandel“, ist Geschäftsführer Martin Schlechter vom Arbeitgeberverband ME Saar überzeugt. Dieser sei schließlich bereits einmal vom Bergbau/Stahl hin zu einer starken Automotive-Industrie gelungen. Aktuelle Vorteile seien die gut ausgebildete Facharbeiterschaft, die zentrale Lage in Europa und vergleichsweise günstige Standortkosten. Tatsächlich stünden aber viele Zulieferer vor großen Herausforderungen bei durchaus ungenauen Zielvorgaben. „Die Forderung nach einem Wandel geht manchem schnell von den Lippen, aber oftmals ist der Weg noch gar nicht klar.“

Sie möchten gerne weiterlesen?

dpa