Polen war bei den Verhandlungen um das neue Jaguar-Landrover-Werk sogar der leichte Favorit gewesen. Die einheimische Presse spekulierte, dass die Tata-Tochter hier bis zu 350.000 Fahrzeuge jährlich herstellen wird – also mehr als die Hälfte der gesamten Jahresproduktion Polens. Alle Regierungsmitglieder, lokale Politiker, aber auch die einheimischen Medien, verfolgten die Verhandlungen mit großer Spannung. Besonders für die Regierung war diese Investition extrem wichtig, weil sie vor den Wahlen im Herbst unbedingt Erfolge brauchte. Bei den Umfragen liegt sie derzeit hinter der Opposition.
Deshalb ist nun der Katzenjammer im Land groß. Und es gibt auch schon einen Schuldigen, der aus der Sicht der Polen die Investition vermasselt hat: Janusz Piechoci?ski, der Vizepremier und Wirtschaftsminister von der Bauernpartei PSL, dem kleinen Partner innerhalb der Regierungskoalition. “Vor den Investoren ist der Minister so aufgetreten,als gehe es ihm nur um sich selbst”, ärgert sich die konservative Tageszeitung Dziennik Gazeta Prawna. Offenbar sei es ihm nur darum gegangen, wie er nach den kommenden Wahlen seinen Posten behalten könne.
“Dass wir höhere Steuern haben, unsere Arbeitskosten horrend hoch und die Straßen- und Bahninfrastruktur schwach sind, war jedenfalls nicht der Grund für die Niederlage”, schimpft das Blatt. “Ebenso wenig waren die Ursachen die schlechter ausgebildeten Arbeitskräfte und die miserable geografische Lage unseres Standortes”, lässt der Kommentar seiner Enttäuschung freien Lauf.
“Seit rund zwei Wochen hat man uns immer wieder gesagt, dass Polen der Favorit ist”, ereifert sich auch die konservative Tageszeitung Rzeczpospolita. Doch gerade das habe die slowakische Regierung wohl dazu mobilisiert, ihr Angebot noch einmal zu verbessern, schreibt das Blatt im Leitkommentar. Diese Fabrik mit ihren 300.000 Fahrzeugen, die sie pro Jahr herstellt, und den weiteren 20.000 Arbeitsplätzen, die in der Zuliefererindustrie entstehen, wäre selbstverständlich für die Wirtschaft Polens sehr wichtig gewesen.
“Die Slowaken haben allerdings auch den Euro als Zahlungsmittel, der die Wechselkursrisiken für den Investor entscheidend begrenzt”, sieht das Blatt aber auch einen anderen objektiven Grund für die Entscheidung, der nichts mit einem Versagen der eigenen Regierung zu tun hat.
“Eine weitere große Investition aus der Automobilbranche, die nicht nach Polen kommt”, bemüht sich die liberale Tageszeitung Gazeta Wyborcza hingegen um einen sachlichen Ton. Im Jahr 2008 ? unter derselben Regierungskoalition hätten die Polen bereits das Rennen um ein Werk von Mercedes verloren, das sich damals für Ungarn entschieden habe. “2001 haben die Tschechen den Zuschlag für eine Fabrik von Toyota und Peugeot erhalten”, zählt das Blatt eine weiterer Niederlage auf. “Ebenso haben die Tschechen uns vier Jahre später eine Investition von Hyundai weggeschnappt”, führt die Zeitung weiter aus.
Angesichts dieser Niederlagenserie würden die Kollegen von der Dziennik Gazeta Prawna ihren stellvertretenden Premierminister in die Wüste schicken: “Piechoci?ski wird sich jetzt wohl in die Wälder zurück ziehen, um dort beim Pilze sammeln den Stress abzubauen”, so das Blatt. “Wenn er wieder rauskommt, wird er sich überlegen, wie er das begründet.”
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Aus Warschau berichtet Sebastian Becker