Bratzel wirft der Politik in einem Statement zu dem aktuellen Urteil vor, im Sinne einer Kultur des Wegschauens“ Hinweise auf mögliche Emissionsprobleme bei Dieselfahrzeugen ignoriert zu haben. "Automobilhersteller begingen ihrerseits schwere strategische Fehler, als sie die Fahrzeuge immer stärker auf die Prüfstände hin 'optimierten'", so Bratzel. Sie hätten dadurch zumindest illegitim gehandelt, da sie nicht den Sinn der Gesetze, sondern Grauzonen nutzten. Damit erwiesen sie auch dem Diesel einen Bärendienst, so der Auto-Experte.
Als Folgeeffekte des Urteils dürfte die Dieselnachfrage nach dem Urteil aufgrund der bestehenden Verunsicherung der Konsumenten weiter sinken, prognostiziert Bratzel. Stattdessen würden die Kunden weiter vor allem auf Benzinantriebe setzen. "Das ist tragisch: Einerseits gibt es den relativ sauberen Diesel tatsächlich (Euro 6d), er ist aufgrund der aufwändigeren Abgasreinigung jedoch teurer als Benziner. Andererseits besitzt der Diesel eine bessere CO2-Bilanz."
Für die Automobilhersteller werde es ohne höhere Dieselanteile an den Neuwagenzulassungen immer schwerer, die CO2-Grenzwerte der EU im Jahre 2021 einzuhalten. Auch das könnte die Automobilhersteller noch viel Geld kosten, z.B. in Form von Strafzahlungen, warnt Bratzel.
Für die Dieselbesitzer werde der Restwertverfall bei ihren Fahrzeugen weitergehen. Insbesondere Euro 5-Diesel dürften davon betroffen sein. Und sie können unter Umständen bald nicht mehr in die betroffenen Städte fahren, was einer kalten Enteignung nahekomme. Außerdem werde durch das Urteil die Glaubwürdigkeit von Politik und Automobilherstellern in der Bevölkerung weiter leiden. Noch vor kurzem sei der saubere Diesel von Politik und Industrie propagiert worden.
Zudem werden durch die Diesel-Fahrverbote nicht einmal die Probleme in den Städten gelöst. "Fahrverbote adressieren nur die Symptome, nicht die Ursachen. Entsprechend sind Diesel-Fahrverbote klassische nachsorgende Gefahrenabwehr", urteilt Prof. Bratzel. Zwar könnten Diesel-Fahrverbote an kritischen Tagen dazu führen, dass die NOx-Grenzwerte eingehalten werden. Allerdings werde der viel gesundheitsgefährdendere Feinstaub dadurch nicht vermindert. Er entsteht vor allem durch Reifen- und Bremsenabrieb.
Auch "Schnellschüssen" wie dem Vorschlag eines kostenlosen öffentlichen Nahverkehrs erteilt Bratzel eine Absage. Vielmehr brauche es einen langfristig orientieren umfassenden Ansatz, bei dem etwa die Visionen einer lebenswerten Stadt, einer emissionsfreien Mobilität und der intermodalen Vernetzung der Verkehrsträger bis hin zu Robo-Shuttles in konkrete Maßnahmenbündel gegossen werden.
Durch das Fahrverbotsurteil liegt der Ball wieder bei der Politik und den Automobilherstellern, heißt es in der Stellungnahme. Um Vertrauen zurückzugewinnen müssten Politik und Wirtschaft kurzfristig interessierten Dieselfahrern sinnvolle Pakete für eine Hardware-Nachrüstung von Euro-5 Fahrzeugen anbieten. Hierbei müsse es ein Modell zur Aufteilung der Kosten geben, die vornehmlich nicht von den Dieselfahrern bezahlt werden sollten.