AUTOMOBIL PRODUKTION: Welche Fügetechniken sind bei der Herstellung der Strukturbauteile vorherrschend und wie haben Sie das entsprechende Know-how aufgebaut?
Die dominante Fügetechnik ist das Schweißen in verschiedenen Varianten. Die am häufigsten verwendete darunter ist das Punktschweißen. Aber der Anteil anderer Fügetechnologien steigt aufgrund der neuen Materialkombinationen. Eine weitere Herausforderung in diesem Zusammenhang ist immer mehr der Einsatz von geschlossenen Profilen. Deren Vorteil ist, dass sie höhere Steifigkeiten erzeugen können. Das Problem liegt aber andererseits in ihrem geschlossenen Querschnitt. Hier können Sie nicht punktschweißen, da Sie mit der Schweißzange nicht hineingelangen. Eine Herausforderung für die Fügetechnik, für die man eine Lösung finden muss.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Hier kommt das Thema Kleben ins Spiel. Wie weit zählt diese Fügetechnologie im Hause KIRCHHOFF Automotive bereits zum Tagesgeschäft?
Hier lauten die Fragen, welche Materialkombinationen hat man, wie ist die Oberfläche der Materialien beschaffen, welche Eigenschaften muss der Klebstoff haben? Setzt man einen Klebstoff für Teile ein, die Crash-relevant sind, oder beispielsweise dort, wo es Schwingungsbelastungen gibt? Beim BMW 5er etwa bauen wir die Vorderwand, an der die Scheinwerfer, der Kühler und weitere Komponenten montiert werden – eine Kombination aus Aluminium, Stahl und Kunststoff. Für die Aufnahme der Scheinwerfer kommt ein glasfaserverstärktes Kunststoffteil zum Einsatz. Dieses wird auf eine lackierte Stahlstruktur geklebt. Es gibt keine weiteren mechanischen Fügeelemente, wie man sie sonst vielfach vorfindet. Wir haben dazu am Kunststoffteil Rastnasen angespritzt. Die Stahlteile, die vorher punktgeschweißt werden, laufen durch die KTL-Lackierung, anschließend wird das Kunststoffteil aufgeklebt und eingerastet. Die Rastnasen dienen nur dazu, das Bauteil zu positionieren, bis der Klebstoff ausgehärtet ist. Bis zur Entwicklung dieses Produkts gab es keinen Klebstoff, der die erforderlichen Eigenschaften hatte. Zusammen mit Henkel Loctite haben wir dann die Anforderungen definiert. Henkel hat daraufhin einen bestehenden Kleber weiterentwickelt, der genau unseren Anforderungen entspricht.
Sie sehen, Kleben ist also bereits seit vielen Jahren ein Thema bei uns. Und es wird aufgrund der Materialkombinationen immer wichtiger.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Bei welchen aktuellen oder künftigen Modellanläufen sind Sie beteiligt?
Bei BMW sind wir komplett bei den 5er-, 6er-, und 7er-Baureihen drin, sowie auch in den neuen X-Baureihen. BMW ist ein schönes Beispiel für einen OEM, der sehr intensiv mit Zulieferern zusammenarbeitet und sie sehr früh mit in die Entwicklung einbezieht. Wir arbeiten teilweise bereits in der Vorentwicklungsphase mit . Bei Audi sind wir beispielsweise an den nächsten SUVs, dem Q5 und dem neuen Q1 , beteiligt. Bei Ford etwa beim Focus und Fiesta. Bei GM sind wir am neuen Opel Astra beteiligt und in Nordamerika bei den großen SUV und Pickup Modellen. Wir sind sehr breit aufgestellt und wir versuchen, unseren Kundenkuchen an die Bedeutung der Automobilhersteller in der Welt anzupassen. Um da auch krisensicher aufgestellt zu sein. Aufgrund dessen sind wir in sehr vielen Anläufen beteiligt. Bei Volkswagen sehen wir aufgrund des Abgasskandals die Gefahr eines gewissen, temporären Rückgangs. Aber durch die breite Aufstellung ist dies für uns nicht tragisch. Durch unsere breite Aufstellung sind wir im Grunde bei allen Anläufen mit dabei. Wobei wir stärker bei hochvolumigen Fahrzeugen mit großen Stückzahlen vertreten sind, als bei kleinen. Wir sind aber auch bei Porsche vertreten. Gerade bei diesen Fahrzeugen mit ihren kleineren Stückzahlen setzen sehr viele Technologien erstmalig ein. Für uns ist das natürlich auch interessant und wichtig.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Wie schätzen Sie den Markt für Karosserie-Strukturbauteile in der Zukunft ein? Welche Wachstumschancen sehen Sie und in welchen Märkten expandieren Sie aktuell und künftig?
Dies ist eine Frage des Zeithorizonts. Asien hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen und wird dies auch weiterhin tun. Europa ist relativ stabil, mit einem leichten Wachstum. In Osteuropa liegt sicherlich noch Potenzial. Ähnlich ist es in Amerika, wo man auch noch nicht ganz auf dem höchsten Stand ist, den man einmal hatte. Aber der amerikanische Markt ist sicherlich ein eher stabiler. Die Prognosen sagen auch: Amerika wird insgesamt an Bedeutung gegenüber Europa und insbesondere auch gegenüber Asien verlieren. Wir sehen aber auch, dass in China das Tempo deutlich abgeschwächt ist. Was aber, glaube ich, ganz gesund ist. Ich meine, ein relatives Wachstum von acht Prozent ist ja eine Frage der Basis. Was wir schon länger beobachten, sind Russland und Indien, wo es auch um politische Fragen geht, ein Thema das nicht abzusehen ist. Ähnlich ist es auch mit Südamerika. Die Prognosen und die Vorhersagen, dass gerade insbesondere Brasilien ein großer Markt sei, darüber reden wir schon seit 20 Jahren und irgendwie passiert dort trotzdem nichts. Der Trend geht also dahin, dass Asien noch an Bedeutung gewinnen wird und Europa wird, insbesondere entwicklungsseitig, weiterhin führend bleiben.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Ein Stichwort sind die Urbanisierung und neue Mobilitätskonzepte. Wie wirkt sich dies auf den Karosseriebau aus?
Mit diesen Trends sind spannende Herausforderungen verbunden. Denn die Mobilitätskonzepte, wie wir sie kennen, funktionieren schon heute nicht mehr. Bei zukünftiger Mobilität denke ich an Batterie-, Brennstoffzellen-Fahrzeuge, an Carsharing und Kleinfahrzeuge. Damit verbunden ist dann auch die Frage, wie sieht denn eigentlich die Karosserie dazu aus? Braucht man beispielsweise ein Hightech-Leichtbaukonzept, oder reicht womöglich eine relativ einfache Stahlkonstruktion, weil infolge vollautomatisierten Fahrens irgendwann keine Unfälle mehr passieren? Themen also, die massiven Einfluss auch auf die Karosserie haben werden. Ich denke, wir als Automobilindustrie stehen technologisch vor den größten Herausforderungen, die wir je hatten. Denken Sie nur daran, wenn es keine Unfälle mehr gibt, dann hat dies auch einen ganz gravierenden Einfluss auf die Auslegung und die Bauweise der Karosserie.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Wie weit denken Sie voraus? Oder anders gefragt: wie weit geht Ihr Zeithorizont in Modellzyklen?
Wir arbeiten im Prinzip mit zwei Modellen und haben sowohl eine kurz- wie mittelfristige Sichtweise. Einerseits beschäftigen uns mit den Herausforderung der nächsten Fahrzeuggeneration. Dabei reden wir von fünf bis sieben Jahren. Wir diskutieren aber auch Szenarien darüber hinaus und fragen „was ist denn in zwanzig, dreißig Jahren oder noch weiter?“ Das ist es, was ein mittelständiges Unternehmen ausmacht. Eben nicht nur auf den kurzfristigen Erfolg zu blicken.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Wie weit spielen für Ihr Unternehmen die Themen Kunststoffe und Carbonfasern für den Karosseriebau eine Rolle?
Wir beschäftigen uns mit dem Thema und haben auch Produktkonzepte entwickelt und auch Prototypen gebaut. Wobei das Thema auch eine Frage der Faser und der Matrix ist, also des Kunststoffs, in den die Faser eingebettet ist. Und bei der Matrix unterscheidet man zwischen einem Thermoplast und einem Duroplast. Wir haben uns mit den Thermoplasten beschäftig. Diese können beispielweise mit endlos Glas- oder auch Carbonfasern verstärkt sein. Man verwendet also ein endlos-faserverstärktes Halbzeug. Dieses wird im Grunde genommen unter Temperatur umgeformt und dann im Werkzeug abgekühlt, ähnlich wie wir dies vom Presshärten mit Stählen kennen. Und dies, ohne dass ein chemischer Prozess erforderlich ist, wie etwa beim RTM-Verfahren, bei dem eine Matte ausgelegt und dann Harz eingespritzt wird. Mit Thermoplasten können wir uns gut vorstellen, nahe an die Großserienfertigung zu kommen. Es bleibt aber zu beobachten, wie die Fasern sich kostentechnisch weiterentwickeln. Das Leichtbaupotenzial ist hoch. Anwendungen wie beim Audi R8, aber auch dem i3 sind Duroplaste – also keine Massenfahrzeuge, aber eben schon Serienfahrzeuge. Vereinzelte Ansätze gibt es, aber ob die dann in einer Golfklasse, in der Fahrzeuge hunderttausendfach gefertigt werden, zum Einsatz kommen, sehe ich im Moment noch nicht.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Das große Thema heißt also Multimaterialmix?
Ja, man muss sich einfach mit den verschiedenen Materialien und den damit verbundenen Füge- und Umformprozessen beschäftigen. Ein Thema ist es, dass man dann in der Forschung und den Vorentwicklungsprojekten mit dem Kunden zusammen Produktkonzepte macht oder auch die grundlegenden Eigenschaften erarbeitet. Bei früheren Fahrzeuggenerationen hat man bis zum SOP drei Prototypen gebaut. Heute wird noch eine Prototypengeneration eines Fahrzeugs gebaut, der Rest wird theoretisch ausgelegt. Und dies geht dann bis hin zur Abbildung auch von Materialkombinationen und der Frage etwa, wie bilde ich die Klebenaht in der Crash-Berechnung ab? Wann würde die versagen? Dies in der Theorie zu erkennen ist hochkomplex. Und es ist auch eine Frage der Investitionen. Man muss da sehr intensiv in Vorleistung gehen, um diese ganzen Themen abzubilden und das Know-how aufzubauen. Das ist für alle – für die Zulieferer, genauso wie für die Automobilhersteller – eine Herausforderung. Die Kunden haben dies verstanden, denn ein OEM kann dies nicht mehr alleine.

Das Interview führte Götz Fuchslocher

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