Der Türöffner, um aus dem Tal der Tränen zurück an die Spitze der führenden Zulieferer zu gelangen, lässt sich in einem knappen Satz zusammenfassen: „Nicht kopieren, sondern kapieren“, lautete der Ratschlag von Johannes Lauterbach, kaufmännischer Werkleiter im Bosch Werk Blaichach/Immenstadt, auf dem 11. Kongress des Automotive Lean Production Award & Study in Kempten. Was der Werksmanager meint, sind exzellent organisierte und vernetzte Produktionsabläufe auf Basis standardisierter Anlagen und Prozesse, getragen von einem tiefgreifenden Verständnis für die Produktionssteuerung, den Materialfluss und das Shopfloormanagement.
Als vor fünf Jahren die Auftragslage für elektronische Bremssysteme (ABS), Einspritzkomponenten, Sensoren und Turbolader in die Knie ging, unterzogen die Werkleiter Johannes Lauterbach und Rupert Hoellbacher den Standort einer umfassenden Fitnesskur. Gegen hohen Wettbewerbs- und Preisdruck setzten die Werksplaner auf mehr Produktivität durch digitalisierte Fertigungsmethoden, selbstentwickelte Anlagen und ein transparentes Informationssystem. Seitdem unterliegen alle wesentlichen Abläufe und der Materialfluss einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess, der bis in die Energieversorgung und das regelmäßige Benchmarking der Anlagentechnik reicht – nicht nur auf lokaler Ebene, sondern an allen elf Netzwerk-Standorten weltweit: „Wir sehen uns als Leitwerk und wollen überall Exzellenz generieren“, bringt es Lauterbach auf den Punkt.
Papier einsparen – Transparenz gewinnen
Beispiel Maschinenauslastung und Störungsdokumentation. Alle Produktionslinien in Blaichach erfassen über Kameras und Sensoren ihr Betriebsverhalten und melden die Daten an ein zentrales Leitsystem. Analysetools werten die riesige Datenmenge aus und verbinden die Ergebnisse mit einem Kennziffernsystem. Per Fingertouch sehen die verantwortlichen Teams auf großen Monitoren oder am Smartphone direkt an der Linie die entscheidenden Key Performance Indicators (KPI) von der Taktzeitstatistik bis zum Stückzahl-Output. Während vor wenigen Jahren noch neben jeder Maschine ein Unterlagenschrank mit meterweise Papierordnern und Handbüchern stand, liegen heute alle aktuellen Informationen abrufbereit in der zentralen Datenbank. Bei der Fehlerauswertung kommt die digitale Auswertung der Betriebs- und Maschinendaten voll zum Zug. Jede Abweichung vom Plan-soll wird mit Datum und Zeitpunkt erfasst. Mitarbeiter können an ihrem Personal Computer in einem so genannten Optimierungs-Dashboard die Störungsvorfälle einsehen und mit eigenen Kommentaren versehen. Daraus entsteht allmählich ein virtuelles Stationslogbuch, das jeden Serviceeingriff und dessen Auswirkung auf die Maschinenperformance festhält. Im Hintergrund verknüpft das Manufacturing Execution System (MES) die Daten aus den verschiedenen Quellen zu einer einheitlichen Maschinenhistorie mit ausführlichen Checklisten, die jedem autorisierten Mitarbeiter zur Verfügung steht. „Wir konnten innerhalb von vier Jahren die Stückzahlen der automatischen Anlagen fast verdoppeln“, betont der technische Werkleiter Rupert Hoellbacher stolz beim Werksrundgang.
Pareto-Analyse ermöglicht Problem-Priorisierung
Durch teil- und vollautomatisierte Informationserfassung und -übertragung ist in Blaichach ein virtuelles Abbild der physischen Gegebenheiten sowohl der einzelnen Maschine als auch ganzer Produktionslinien entstanden. Werkstücke sind mit Barcodes oder RFID-Funkchips ausgestattet und teilen an jeder Bearbeitungsstation ihren aktuellen Status mit. Kommt es zu Stockungen im Fertigungsablauf, filtert die Software aus den Produktions- und Betriebsdaten maßgeschneiderte Hilfsanweisungen oder liefert eine Pareto-Analyse. Durch die Pareto-Analyse kann erreicht werden, dass auftretende Probleme in der richtigen Prioritätenfolge vom Support-Team vorort gelöst werden. Resultat: Die internen Fehlerkosten sind im Laufe der letzten Jahre um 63 Prozent gesunken.
Schlanke und flexible Prozesse verbunden mit der Bereitschaft aller Mitarbeiter die Produktivität der Anlagen und Maschinen zu verbessern, sind die Basis für den Erfolg. Die wichtigsten Erfolgskriterien wie niedrigere Stückkosten, Verfügbarkeit und Lieferfähigkeit haben sich grundlegend verbessert. Das Shopfloormanagement präsentiert regelmäßig Rekordwerte bei den täglich gemessenen Benchmarks. Der Teamleiter holt aber auch Charts mit Abweichungen auf den Monitor, tagesaktuell und runtergebrochen bis auf die einzelne Fertigungszelle. Sogar ein Planzielvergleich mit baugleichen Anlagen in China, Japan oder Südamerika lässt sich auf dem Touchscreen im Allgäuer Werk aufrufen: Blaichach ist Taktgeber im Bosch-eigenen „International Production Network“ (IPN). Der Verbund aus Softwareprogrammen, mechanischen und elektronischen Teilen kommuniziert weltweit via Internet.
Wie weit der Reifegrad in Sachen Industrie 4.0 im Werk Bleichach schon vorangekommen ist, zeigt auch das hauseigene Energiemanagement. Auf der Suche nach Kostentreibern durchleuchten Messwertaufnehmer in allen elf Werksgebäuden mit rund 1.600 Maschinen ständig den Verbrauch von Strom, Gas, Druckluft oder Kühlmittel. Aus den Messdaten destillieren Online-Tools nicht nur Verbrauchsprofile sondern ermitteln auch die Kennzahlen hinsichtlich Kohlendioxid-Emmissionen. Streikt ein Maschinenventil und lässt den Druckluftverbrauch unnötig ansteigen, interveniert sofort das Wartungsteam. Mit einem sehr ambitionierten Effizienzlevel für den Energieverbrauch lassen sich nicht nur wirksame Einspareffekte erzielen, sondern auch der Return on Investment verfolgen. Manchmal ist es einfach die Umrüstung auf Energiesparlampen für die Beleuchtung oder das Umrüsten auf Energiesparmotoren samt Frequenzumrichtern für die Rückführung von überschüssiger Energie aus den Anlagen.