Es ist gerade mal ein paar Jahre her, da stand der russische Autobauer GAZ kurz vor der Pleite. Dort, wo zu Sowjet-Zeiten neben Bussen, Transportern und Lastwagen die Funktionärslimousinen Wolga und Tschaika oder üppige Staatskarossen in Einzelanfertigung gebaut wurden, drohte das Aus. Zwar machen die zumeist schon 1932 errichteten Backsteingebäude auf dem weitläufigen Gelände in Nischnij Nowgorod, rund 500 Kilometer östlich von Moskau, immer noch einen wenig vertrauenerweckenden Eindruck. Und in den zigfach getünchten Zäunen um die Grünflächen wechselt sich wie gehabt der rote Sowjetstern mit dem Firmenlogo ab, dem trabendenden Hirschen. Doch in den Hallen selbst ist längst wieder Hoffnung eingekehrt – und moderne Zeiten.

Auf mehr als 200.000 Quadratmetern laufen Škoda Yeti und Octavia, VW Jetta und der Mercedes Benz Sprinter Classic vom Band. Parallel dazu GAZ-eigene Kombis, Busse und Pritschenwagen. Über 40.000 Fahrzeuge produziert VW hier aktuell im Jahr, ausschließlich für den russischen Markt. Ausgelegt ist das Werk für 100.000 Stück – aber die Schwäche des Rubel hat erst einmal einen Strich durch die hochgesteckten Ziele gemacht. Immerhin: Vom Sprinter lief nach nicht mal einem Produktionsjahr im Sommer der 10.000 Van vom Band.

Deutsche Qualitätskriterien

Produziert wird unter den gleichen Qualitätskriterien wie in den deutschen Stammwerken. Ähnlich wie Volkswagen in Kaluga produziert auch Mercedes mit seinen russischen Partnern Motoren. In Jaroslavl montiert GAZ seine Vier- und Sechszylinder-Reihenmotoren mit dem besten, was der Maschinenbau derzeit weltweit zu bieten hat. Zusammen mit Beratern von Toyota implementierte GAZ das Toyota Production System im Jahr 2003. Umgerechnet knapp 290 Millionen Euro Umsatz machte allein das Motorenwerk im vergangenen Jahr, rund 40.000 Diesel- und bald auch Erdgasmotoren werden jährlich von 4.800 Mitarbeitern gebaut. Das Stammwerk, ein paar Straßen weiter, fertigt heute schwere V-Dieselmotoren mit bis zu 800 PS und wird im nächsten Jahr 100. GAZ-Motoren aus Jaroslawl treiben Lkw genauso an wie Muldenkipper für den Bergbau, Traktoren, Mähdrescher oder Stromgeneratoren.

GAZ selbst hat 13 Werke in acht Regionen Russlands und beschäftigt 44.000 Mitarbeiter. Der Autobauer erfindet sich gerade neu. Pkw stehen nicht mehr auf der Liste. Dafür wird das Lkw-Portfolio nach und nach auf einen modernen Stand gebracht. In den vergangenen fünf Jahren hat GAZ fast 36 Milliarden Rubel in die Einführung neuer Technologien und die Erneuerung des Sortiments gesteckt – nach aktuellem Kurs sind das rund 520 Millionen Euro. Pressen, Karosseriebau, Lackierei, Montage – alles neu. Die Schweißausrüstung kommt aus Südkorea von LG, die Lackiererei von Haden und Eisenmann, die Presslinien aus Japan – allerdings ist die Fertigungstiefe noch deutlich höher als in westeuropäischen Autofirmen.

Sitzmontage

Ein Beispiel ist der Einbau der Sitze. Während die im Westen von Zulieferfirmen vollständig montiert geliefert werden, erfolgt in Nischnij Novgorod die komplette Sitzmontage am Band: Federn, Gestell, Schaumstoffteile, Stoffbezüge – alles wird vor Ort zusammengebaut. Grund: Die Fertigung in Russland ist billiger und entspricht den Qualitätsanforderungen, so Manfred Eibeck, CEO der GAZ-Mutter Russian Machines. Kühler für Nutzfahrzeuge, Auspuffanlagen, VW-Achsen, Rahmen und Befestigungsmaterial kommen schon von lokalen Lieferanten.
Die Modellreihen bei den Leichten Nutzfahrzeuge sind grundlegend überarbeitet worden und entsprechen westeuropäischen Standards: Euro-5, moderne Ergonomie, konkurrenzfähige Motoren. Den Start machte Anfang 2014 der 3,5-Tonner GAZelle Next als Pritschenwagen mit Doppelkabine, Kleinbus und als Kastenwagen. Dieses Jahr sind vor allem die größeren Fahrzeuge dran, wie der Offroad-Schwerlast-Lkw Ural Next. Helfen soll dabei eine Art Plattform-Strategie: Fahrerhaus-Modul, Türen, Fahrgestell und Motoren sind unter den Modelllinien weitgehend austauschbar.

Insgesamt finden sich in der Modellpalette über 300 Typen von Sonderfahrzeugen – vom Milchlaster über den Bienenstock-Transporter bis zum Schneepflug und der mobilen Kaffeebar. Bei den leichten Lkw hat GAZ in Russland einen Marktanteil von 56 Prozent, bei den reinen Fahrgestellen in diesem Bereich sind es 79 und bei den kleinen Bussen gar 93 Prozent. “In Russland,” sagt Manfred Einbeck, Deutscher und CEO des GAZ-Hauptaktionärs Russian Machines (RM), “ist GAZ eine Marke, die tief verwurzelt ist in der Gesellschaft.” Als Hersteller von mittleren Lkw rangiert GAZ bei den Stückzahlen europaweit auf Platz sechs – vor Peugeot, Opel, oder Iveco.

Wer mit der GAZelle Next unterwegs ist, der merkt nicht mehr viel Unterschied zu preiswerteren westlichen oder asiatischen Importmodellen. Geräuschentwicklung und Beschleunigung, Geradeauslauf und Getriebeabstufung, Lenkung und Sitze – nicht unbedingt Premiumklasse, aber durchaus konkurrenzfähig. Das Armaturenbrett ist aus Hartplastik, steckt dafür im rauen Arbeitsalltag aber einiges weg und ist übersichtlich organisiert.

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Jürgen Wolff

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