Grafik zu VW-Werken in Deutschland

In Deutschland gibt es zehn produzierende Werke von Volkswagen. (Bild: Volkswagen / Wachholz)

Fast auf den Tag genau zwei Jahre nach Amtsantritt hat die Abrissbirne, die Volkswagens CEO Oliver Blume seit September 2022 immer wieder schwingen lässt, ihren bis dato heftigsten Einschlag verzeichnet. Öffentlich von Werksschließungen und betriebsbedingten Kündigungen in Deutschland zu sprechen – das haben sich Blumes Vorgänger nicht getraut. Dabei hat es der Manager vor allem Diess und Winterkorn zu verdanken, dass er nun den Buhmann spielen muss. Rund eine Woche später lässt Blume Taten folgen. Am 10. September hat VW die seit 1994 geltende Beschäftigungssicherung formal aufgekündigt. Das entsprechende Kündigungsschreiben sei der Gewerkschaft IG Metall zugestellt worden, teilte Europas größter Autobauer mit. Der Vertrag laufe damit Ende des Jahres aus. Sechs Monate später sind dann betriebsbedingte Kündigungen möglich, also ab Juli 2025.

Aus Sicht des Vorstands müssen die Marken innerhalb der Volkswagen AG umfassend restrukturiert werden, wie das Unternehmen nach einer Führungskräftetagung mitteilte. „Auch Werkschließungen von fahrzeugproduzierenden und Komponenten-Standorten können in der aktuellen Situation ohne ein schnelles Gegensteuern nicht mehr ausgeschlossen werden.“ Zudem reiche der bisher geplante Stellenabbau durch Altersteilzeit und Abfindungen nicht mehr aus, um die angepeilten Einsparziele zu erreichen.

„Ein Umbau allein entlang der demografischen Entwicklung ist aus Sicht des Unternehmens nicht ausreichend, um die kurzfristig notwendigen Strukturanpassungen für mehr Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen“, hieß es in der Mitteilung. „Vor diesem Hintergrund sieht sich das Unternehmen dazu gezwungen, die seit 1994 fortgeschriebene Beschäftigungssicherung aufzukündigen.“

VW-Spitze zeichnet kritisches Bild

Im Rahmen der Betriebsversammlung in Wolfsburg verteidigt die VW-Spitze ihren geplanten Sparkurs. "Wir haben noch ein Jahr, vielleicht zwei Jahre Zeit, das Ruder herumzureißen. Aber diese Zeit müssen wir nutzen", sagte Konzern-Finanzchef Arno Antlitz vor mehr als 10.000 Beschäftigten im VW-Werk. "Wir geben in der Marke seit geraumer Zeit schon mehr Geld aus, als wir einnehmen. Das geht nicht gut auf die Dauer!" Zustimmung erhält Antlitz hinsichtlich des zeitlichen Horizonts von Fabian Brandt, Berater bei Oliver Wyman:Es gibt ein Zeitfenster von ungefähr 24 Monaten, in denen die Automobilindustrie noch proaktiv handeln kann", sagt er. Noch könne die deutsche Automobilindustrie aus einer Position der Stärke heraus handeln, doch die Chinesen hätten wichtige Trümpfe in der Hand.

Mit den Einsparungen wolle VW die Mittel freisetzen, die man für neue Produkte brauche. "Dafür brauchen wir jetzt Geld, um kräftig zu investieren", sagte Markenchef Thomas Schäfer. Wenn man es jetzt schaffe, Kosten nachhaltig zu reduzieren und in ein Modellfeuerwerk zu investieren, wie es der Wettbewerb und die Kunden noch nicht gesehen hätten, dann würde VW es sein, das die Voraussetzungen geschaffen habe, damit auch die nächsten Generationen in Deutschland für Volkswagen arbeiten könnten, so Schäfer.

Ein Grundproblem jedoch bleibt bestehen: Europa hat strukturell Überkapazitäten, die Nachteile mit sich bringen, ordnet Berater Brandt die Lage ein. Doch andere europäische OEMs hätten gezeigt, dass man sich aus schwierigen Situationen befreien könne. Auch VW-Finanzboss Antlitz verwies mit Blick auf die Standorte auf Überkapazitäten. In Europa würden derzeit zwei Millionen Autos weniger pro Jahr verkauft als vor der Corona-Pandemie. Und das werde sich auch kaum ändern. Für VW mit einem Marktanteil von rund einem Viertel in Europa bedeute das: "Es fehlen uns die Verkäufe von rund 500.000 Autos, die Verkäufe für rund zwei Werke. Und das hat nichts mit unseren Produkten zu tun oder schlechter Leistung des Vertriebs." Der Markt sei schlicht nicht mehr da.

Die Sparpläne von VW im Überblick

Im globalen Performance Programm „Accelerate Forward/ Road to 6.5“ wird Volkswagen bis 2026 mehr als 18 Milliarden Euro in Elektromobilität, Hybridisierung und Digitalisierung investieren. Bis 2026 strebt die Marke Volkswagen einen positiven Ergebnisbeitrag in Höhe von insgesamt zehn Milliarden Euro an, auch um gegenläufige Effekte wie Inflation und Rohstoffkostenanstiege abzufedern.

Die Umsatzrendite soll in 2026 nachhaltig auf 6,5 Prozent steigen. Bereits im Jahr 2024 plant die Marke Volkswagen einen positiven Ergebnisbeitrag von bis zu vier Milliarden Euro. Dafür konzentriert sich das Unternehmen auf Leistungssteigerungs- und Kosteneinsparungsmaßnahmen entlang der drei Schwerpunkte des Programms:

  • Optimierung von Material- und Produktkosten
  • Reduzierung von Fix- und Fertigungskosten sowie Erlössteigerungen
  • Senkung der Personal- und Arbeitskosten

Gekündigte Beschäftigungssicherung schürt Zukunftsängste

Die Wirkung dieser Aussagen trifft den Konzern dabei ins Mark. Wähnten sich viele Angestellte bis zum 2. September 2024 stets in einer, nicht zuletzt historisch begründeten, Sicherheit, ist am Tag nach dem VW-Beben in den Werkshallen alles anders. Aus Mitarbeiterkreisen erfuhr Automobil Produktion, es herrsche eine große Verunsicherung und Angst vor. Für VW zu arbeiten, bedeutete für die meisten Werker seit Jahrzehnten vor allem Sicherheit und ein Leben in Wohlstand. Nun schwindet diese Sicherheit und der Streit um einen möglichen Stellenabbau bei Volkswagen spitzt sich zu.

Nach dem mittlerweile auch offiziellen Ende der Beschäftigungssicherung ab Sommer 2025 drohen sich die Fronten weiter zu verhärten. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil fordert zügig Gespräche zwischen Management und Arbeitnehmerseite. Nach einer Phase der öffentlichen Debatte müssten nun beide Seiten an einem Tisch gemeinsam Lösungen für mehr Wettbewerbsfähigkeit bei dem Konzern finden, sagte Weil nach einem Gespräch mit dem VW-Betriebsrat am Werk im ostfriesischen Emden.

Säbelrasseln nimmt vorerst kein Ende

Doch Weils mahnenden Worte scheinen noch wenig Gehör zu finden. Betriebsratschefin Daniela Cavallo kündigte erneut massiven Widerstand an. „Jetzt hat das Unternehmen also wahr gemacht, wovon wir seit Tagen ausgehen." Dagegen werde man sich erbittert zur Wehr setzen. „Wir werden alle Mittel nutzen, die wir haben, um dem Unternehmen deutlich, zu machen, dass das so mit uns nicht zu machen ist." Betriebsbedingte Kündigungen und Werkschließungen werde der Betriebsrat nicht hinnehmen. Die Arbeitnehmervertreter verfügen bei VW zusammen mit dem Land Niedersachsen über eine Mehrheit im Aufsichtsrat.

Nach einwöchigem Verschwinden von der Bildfläche taucht nun auch VW-Personalvorstand Gunnar Kilian in der Öffentlichkeit auf. Und auch er redet zwar von notwendigen Gesprächen mit Betreibsrat und Gewerkschaft, droht aber im selben Atemzug wieder mit betriebsbedingten Kündigungen: Sollte es bis Mitte 2025 keine Einigung mit der Gewerkschaft über eine Neuregelung der Zukunftssicherung geben, so droht VW mit Entlassungen. Denn mit dem Wegfall der Job-Garantie fallen auch die Zugeständnisse der Belegschaft weg, auf die man sich vor 30 Jahren geeinigt hatte, etwa der Verzicht auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Das würde die Lage des Unternehmens weiter verschärfen, warnte VW. "Das würde auch bedeuten, dass im Fall einer Rückkehr zum Tarifvertrag vor dem 1. Januar 1994, betriebsbedingte Kündigungen nicht auszuschließen sind", hieß es in der Mitteilung des Konzerns.

Grafik VW Werke Deutschland
In Deutschland betreibt VW aktuell sechs Fertigungswerke und vier Komponentenwerke.

Welche deutschen VW-Werke sind bedroht?

In Deutschland betreibt VW aktuell zehn Werke. Davon bauen sechs Standorte (Wolfsburg, Hannover, Zwickau, Emden, Osnabrück und Dresden) Autos und vier Standorte (Kassel, Salzgitter, Braunschweig und Chemnitz) fertigen Komponenten. Da es bislang noch keinerlei offizielle Aussagen gibt, welche Standorte bedrohter sind als andere, erübrigt sich eine seriöse Diskussion. Dass allerdings Werke wie der Stammsitz in Wolfsburg mit mehr als 60.000 Mitarbeitern oder Werke wie Emden oder Zwickau, die nur noch Elektroautos bauen und dafür in den letzten Jahren kostenintensiv modernisiert wurden, schließen, erscheint unwahrscheinlich. Dennoch dürfte vor allem der Hochlauf und die Wettbewerbsfähigkeit in der Elektromobilität definieren, wie sich die Gemengelage entwickelt.

Folgen nun auch zeitnah die Werksschließungen?

Ein baldiges Produktionsende in deutschen Fabriken hält auch Peter Nagel von der Beratungsfirma ANP für unrealistisch: „Aber man wird an die Ressourcen ranmüssen, weil die Modelle einfach nicht laufen." Das Management müsse sich durchsetzen, ansonsten seien die Konsequenzen noch viel härter. Wenn man die ausgegeben Ziele erreichen wolle, komme man nicht drum herum, schmerzhafte Schritte zu gehen. „VW muss die CO2 Ziele erreichen und dringend mehr E-Fahrzeuge verkaufen. Dies kann nur gelingen, wann man wettbewerbsfähig ist und Kostenstrukturen hat, die eine marktgerechte Bepreisung der Fahrzeuge ermöglichen", so der Experte.

Weitere Gründe für die Krise sieht Berater Brandt im schwächelnden Absatz: „Die europäische Binnennachfrage und der Exportmarkt allgemein wachsen nicht so stark wie erhofft." Daher gebe es in Deutschland einen großen Anpassungsdruck auf die Kapazitäten.

Ist Blumes Knallhart-Kurs alternativlos?

Konzernchef Oliver Blume begründete den Kurs mit der sich zuspitzenden Lage. „Die europäische Automobilindustrie befindet sich in einer sehr anspruchsvollen und ernsten Lage. Das wirtschaftliche Umfeld hat sich nochmals verschärft, neue Anbieter drängen nach Europa“, sagte er laut Mitteilung. „Dazu kommt, dass vor allem der Standort Deutschland bei der Wettbewerbsfähigkeit weiter zurückfällt. In diesem Umfeld müssen wir als Unternehmen jetzt konsequent agieren.“

So schockierend die Ankündigungen Blumes für viele Beschäftigte auch sind – so wenig überraschend dürften sie für aufmerksame Branchebeobachter sein. So sieht es auch Peter Nagel: „Die Zeit drängt für Volkswagen. Die Maßnahmen, die Oliver Blume in den letzten zwei Jahren eingeleitet hat, halte ich daher für richtig." Auch Brandt hält derartige strategische Reaktionen von Industrieunternehmen in der aktuellen Situation für nicht überraschend. In Deutschland brauche es eine substanzielle Verbesserung der Kostenpositionen.

Das sind die Probleme der Kernmarke VW

Die Kernmarke Volkswagen hat seit Jahren mit hohen Kosten zu kämpfen und liegt bei der Rendite weit hinter Konzernschwestern wie Skoda, Seat und Audi zurück. Ein 2023 aufgelegte Sparprogramm sollte hier die Wende bringen und das Ergebnis bis 2026 um zehn Milliarden Euro verbessern. Das aktuell schwache Neugeschäft hat die Lage nun aber weiter verschärft.

Die Elektro-Modelle wurden zum großen Teil an den Bedürfnissen der Kunden vorbei entwickelt, so Nagel. Das einstige Heilsbringer-Projekt Trinity wird regelmäßig nach hinten verschoben und spielt aktuell fast gar keine Rolle mehr. Hinzu kommt der Dauer-Patient Cariad. Die Software-Tochter im VW-Konzern liefert einfach nicht ab. Kooperationen mit XPeng oder Rivian sprechen in dem Zusammenhang eine deutliche Sprache. „Man hat das Thema Software-Plattform nicht in den Griff bekommen", resümiert der Berater.

Um die angepeilten Ergebnisverbesserungen trotzdem zu erreichen, müssten die Kosten nun stärker als bisher geplant sinken. Laut Handelsblatt geht es um bis zu vier Milliarden Euro, die zusätzlich eingespart werden müssen. „Der Gegenwind ist deutlich stärker geworden“, sagte Markenchef Thomas Schäfer laut Mitteilung. „Wir müssen deshalb jetzt noch mal nachlegen und die Voraussetzungen schaffen, um langfristig erfolgreich zu sein.“

Mit Material von dpa

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