VW-Werk in Zwickau
Das VW-Werk in Zwickau soll bis 2021 von jetzt 100 Prozent Verbrenner auf 100 Prozent E-Antrieb gedreht werden. Volkswagen setzt darauf, vorhandene Anlagen weiter verwenden zu können. (Bild: Volkswagen)

AUTOMOBIL PRODUKTION: Hört sich nach hohem Zeitdruck und logistischer Höchstleistung an?
Anspruchsvoll war bisher vor allem der zeitliche Druck für den planerischen Vorlauf. Die Entscheidung, Zwickau komplett umzubauen, ist im November 2017 gefallen. Das ist für ein solch großes Projekt schon ein extrem sportlicher Planungsvorlauf. Natürlich erfordert auch der Umbau hohe Konzentration und straffe Zeitdisziplin – gerade weil wir es mit einer laufenden Produktion zu tun haben. Durch den stufenweisen Umstieg sind die Zeiträume für die Umbaumaßnahmen in den einzelnen Bereichen knapp bemessen. Schließlich wollen wir Anfang 2020 wieder voll produktionsbereit sein.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Gehen Sie für die Zeit der Umbauphase mit der Mitarbeiterzahl im Werk herunter oder wurden temporär Jobs in andere Werke verlagert?
Die Belegschaftsstärke in Zwickau bleibt auch in der Umbauphase wie sie ist. Die tarifvertraglichen Möglichkeiten bieten dazu ausreichend Flexibilität - und auch sonst gestalten wir den Umbau so, dass die Mannschaft möglichst wenig davon spürt. Hierzu gehört zum Beispiel der Beschluss, Golf und Golf Variant bis Mitte 2019 beziehungsweise Mitte 2020 weiter zu produzieren.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Sie haben eingangs erwähnt, dass Sie in China vier Greenfield-Werke an den Start gebracht haben. Bestehende Werke auf eine völlig neue Produktionsweise zu drehen gilt als extrem komplex. War es nie ein Thema, ein komplett neues Werk zu bauen?
Nein, denn wir brauchen gerade für die Erstanläufe höchste Kompetenz am Standort – vor allem in der Belegschaft. Das Werk Zwickau steht seit vielen Jahren für echte Automobilbaukompetenz. Im vergangenen November haben wir dann entschieden, dass wir dort nicht nur ein oder zwei Modelle produzieren, sondern den Standort komplett umbauen und zum Europäischen Kompetenzzentrum für Elektromobilität von Volkswagen machen. Das ist auch ein klares Bekenntnis zu unseren deutschen Standorten – so wie in unserem Zukunftspakt gemeinsam mit den Arbeitnehmern vereinbart.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Man hätte ja auch in der Region Zwickau ein neues Werk hinstellen können…
Das wäre aber nochmal deutlich teurer und komplexer geworden. Und wie gesagt: Wir verfügen in Zwickau über hohe Kompetenzen und leistungsfähige Strukturen. Wir setzen darauf, vorhandene Anlagen weiter verwenden zu können.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Was kann denn bleiben und wo gehen die Eingriffe am tiefsten?
Es macht keinen Unterschied, ob man ein E-Auto lackiert oder ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor. Im Bereich Lackiererei wird sich also nur wenig ändern. Anders sieht es im Karosseriebau und vor allem in der Montage aus. Dort ist der Eingriff sicher am tiefsten. Es werden neue Komponenten verarbeitet, die Aufbaureihenfolge ist eine andere. Grundsätzlich streben wir aber einen hohen Grad der Wiederverwendung an.

AUTOMOBIL PRODUKTION: In wieweit setzen Sie mit der Umstellung einen höheren Automatisierungsgrad um?
Auch das ist von Gewerk zu Gewerk unterschiedlich. Der Karosseriebau ist in den vergangenen Jahrzehnten sehr stark durchmechanisiert worden, da passiert nicht viel. In der Lackiererei werden wir nochmals zirka zehn Prozent hochgehen und sind damit sehr hoch automatisiert, aber der große Schub kommt in der Montage. Dieser Bereich ist traditionell eher geringfügig mechanisiert. Das wird sich ändern. Wir werden im Zuge der Umstellung auf E-Mobilität den Mechanisierungsgrad praktisch verdreifachen. Wir machen das beschäftigungsneutral und nach einem klaren Stufenplan, für einen sicheren und stabilen Anlauf unserer Elektroflotte.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Wenn Sie sagen verdreifachen, wodurch erreicht man das? Resultiert das daraus, dass man die Umstellung nutzt, um neue Verfahrensweisen aus der Smart Factory umzusetzen oder weil die Produktion der E-Fahrzeuge schlicht weniger komplex ist?
Es ist eine Mischung aus beidem. Fakt ist, dass es im Bereich der Smart Factory-Technologien in den vergangenen fünf bis zehn Jahren eine rasante Entwicklung gab. Das gilt vor allem im Bereich der Anlagenautomatisierung und Sensortechnik, Stichwort Echtzeitsensorübertragung. Diese neuen Möglichkeiten werden wir im Zuge der Umstellung natürlich nutzen. Unser Modularer Elektrifizierungs-Baukasten MEB wurde von Anfang an so ausgelegt, dass wir eine höhere Mechanisierung fahren können als es heute bei den Verbrennern der Fall ist.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Wird es nach der Umstellung Produktionstechnologien geben, die Sie dann in Zwickau erstmals einsetzen?
Komplett neu wird natürlich all das sein, was mit den Elektrokomponenten in direktem Zusammenhang steht, schließlich betreten wir da technologisches Neuland. Das betrifft aber nicht die eigentliche Fahrzeugfertigung, sondern findet eher im Bereich Batterie- und Antriebsfertigung statt. In der Fahrzeugfertigung selbst wird es auch einzelne Neuerungen geben, diese würde ich aber eher als normale Evolutionsschritte sehen, die es bei jedem neuen Werk gibt. Das betrifft zum Beispiel höherwertige Löt- oder schnellere Schweißverfahren.

AUTOMOBIL PRODUKTION: In China setzen Sie produktionsseitig bei der Elektromobilität noch auf den modifizierten MQB. Ist es eigentlich ein Riesenunterschied vom elektrifizierten MQB zum reinen MEB - oder ist das auch eher Evolution?
Nein, das ist schon ein sehr großer Schritt. Wenn Sie einen elektrifizierten MQB nehmen, also etwa einen heutigen e-Golf, dann sprechen wir über eine Multitraktionsplattform, die im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten elektrifiziert wurde. Als wir damit 2013/14 begonnen haben, war das angesichts der damaligen Marktakzeptanz für Elektroautos genau die richtige Entscheidung...

AUTOMOBIL PRODUKTION: …eine Sichtweise, die heute überholt ist?
Angesichts der gestiegenen Markterwartungen – ja! Deshalb haben wir bei Volkswagen eine komplett neue Plattform speziell für E-Autos entwickelt. Mit dem MEB werden wir die Möglichkeiten des E-Autos künftig voll ausschöpfen - und dabei deutliche Vorteile gegenüber Multitraktionsplattformen wie dem MQB erzielen. Nehmen wir als Beispiel das viel größere Raumangebot, das durch den Wegfall des Verbrennungsmotors entsteht. Der I.D. wird außen so groß wie ein heutiger Golf, bietet im Innenraum aber so viel Platz wie ein Passat. Auch bei der Reichweite, bei der Performance und nicht zuletzt beim Preis werden die MEB-Fahrzeuge die Nase deutlich vorn haben.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Das heißt Sie können für Zwickau auch nicht so viel auf die Erfahrung zurückgreifen die man bislang in China gesammelt hat?
Das stimmt. Volkswagen hat in China bislang nur MQB Fahrzeuge elektrifiziert, auch die Konzepte der Wettbewerber haben zumeist ihre Basis als konventionelles Fahrzeug. Der MQB hat uns insofern natürlich schon geholfen, weil wir daraus unsere Erfahrungen schöpfen, wie man eine Plattform für nahezu alle Bodystyles aufbaut - vom Kompaktwagen über den SUV bis zur Limousine, von A- bis C-Segment. Das ist gerade beim E-Auto wichtig, um entsprechende Skaleneffekte zu erzielen und die Fahrzeuge bezahlbar zu machen. Wir sind sicher, dass wir als Volkswagen die Elektromobilität damit aus der Nische in den Volumenmarkt bringen.

AUTOMOBIL PRODUKTION: In Dresden wird ja schon eine Weile der rein elektrische Golf gebaut. Welche Rolle spielt die Gläserne Manufaktur im Kontext mit dem Umbau in Zwickau – ist das so eine Art Trainingscenter?
Auf eine gewisse Art ja. Dresden ist für uns ein Schaufenster für das, was wir künftig im Bereich der Elektromobilität planen und umsetzen. Ein E-Center für unsere Kunden, aber auch für die Mitarbeiter.

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