Cockpit im Flugzeug

Zwischen dem Betrieb eines Flugzeugs und dem Management eines Automobilunternehmens lassen sich einige wichtige Parallelen ziehen. (Bild: Adobe Stock / Maksim Denisenko)

Die schwere Windscherung beim Start in Hurghada traf die Maschine von Flugkapitän Philip Keil hart – Rückenwind statt Aufwind von vorn. Erst auf 250 Metern Höhe angelangt, drohte die Maschine mit 189 Passagieren an Bord abzustürzen. Keil und sein Co-Pilot blieben Herr der Lage. Die Sache ging gut aus.

Als Lehre aus dem Beinahe-Absturz interessierte sich Keil noch stärker für Unfallursachen in der Fliegerei. Und er stieß auf mangelnde Teamarbeit als ein wesentliches Problem. „Flugzeuge sind so konzipiert, dass sie nur im Team sicher und effektiv bedient werden können. Und das aus gutem Grund. Einzelne Fehler führen fast nie zu einem kritischen Zwischenfall geschweige denn zu einem Absturz“, weiß der Experte für Teamwork und Fehlerkultur. Das unglückliche Zusammenspiel vieler Versäumnisse schon. Ein Befund, der sich direkt auf die Führung von Autokonzernen übertragen lässt. „Automanager haben in vielerlei Hinsicht ähnliche Herausforderungen zu bestehen wie Airline-Manager“, sagt auch Rolf Stünkel, Simulator-Ausbilder bei Lufthansa Aviation Training und Fluglehrer.

Warum Kommandos wenig krisentauglich sind

Gerade in Krisenzeiten wie jetzt ist nichts mit Autopilot. Führungsstärke ist gefragt, wenn Unternehmen nicht abstürzen sollen. Davon ist Stünkel überzeugt. Der Lufthansa-Kapitän und ehemalige Kampfjet-Pilot hat mehr als 23.000 Flugstunden absolviert, dabei so manch kritische Situation gemeistert, und kann sich mit Blick auf oft rigide Kommandostrukturen in Unternehmen nur wundern: „Mit Befehl und Gehorsam kommt man nicht weit, schon gar nicht in der Krise“, betont er. „Wie ein Manager am Boden entscheidet der Kapitän über den Einsatz von Mitteln und Personal, ist für die Sicherheit verantwortlich und setzt seine Mitarbeiter zielgerichtet ein. Dabei lässt er ihnen im Rahmen ihrer Handlungsverantwortung und ihrem Fachgebiet weitgehend freie Hand.“ Heißt vor allem auch: Kritik am Vorgesetzten ist nicht nur erlaubt, sondern geboten. Gleiches gilt für ein dezidiertes Fehlermanagement und eine schnelle strukturierte Entscheidungsfindung. Daran hapert es im automobilen Management zuweilen. Ein Blick auf die Fliegerei zeigt, wie es besser geht.

Klare Kommunikation ist das A und O

Der Schlüssel zu krisenfestem Management liegt in der Kommunikation. „Sie ist der Schmierstoff jedes Teams. Sie muss direkt, klar, auf den Punkt und vor allem verbindlich sein“, erklärt Keil. Jahrzehntelange Absturzursachen-Erforschung zeige: Schweigen und Missverständnisse gehören zu den Hauptgründen für einen Crash.

Damit es auch in Unternehmen nicht dazu kommt, gilt es kühlen Kopf in der Krise zu bewahren. Doch wie gelingt das? „Piloten denken gern zwei Schritte voraus und haben immer ein Worst-Case-Szenario vor Augen“, sagt Stünkel. Und: „Egal, was auch geschieht: Piloten arbeiten stets lösungsorientiert.“ Zunächst würden die Fakten gesammelt, dann die Optionen. Nach einer Bewertung der Risiken und Möglichkeiten werde eine Entscheidung getroffen und umgesetzt.

Wer aussitzt, stürzt ab

Vor allem aber gelte es, Entscheidungen zu treffen und nicht aussitzen, unterstreicht Keil: „In der Luftfahrt wäre es fatal, erst zu handeln, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist.“ Piloten trainierten regelmäßig im Flugsimulator wie Notfälle zu bewältigen sind. „Es geht dabei weniger darum, Abläufe stur auswendig zu lernen, als vielmehr um das Handling einer Situation im Team außerhalb der eigenen Komfortzone“, erläutert Keil.

Der Schlüssel zum Erfolg liege dabei auf der Regelmäßigkeit. Automotive-Unternehmen könnten diesem Vorbild folgen und einmal monatlich einen „Krisensimulator“ einführen, schlägt Keil vor: „In der Gruppe wird ein bedrohliches Szenario, wie reißende Lieferketten, durchgespielt, diskutiert und anhand von Checklisten abgearbeitet.“ Auch wenn dann irgendwann im realen Leben ein anderes Szenario eintrete, könne jeder von den Erfahrungen des Trainings für die Bewältigung der Krise profitieren. „Es geht also nicht um einen Plan B, sondern um Sicherheit und geistige Flexibilität beim Abweichen von Plan A.“ Am Schluss sollte man auf jeden Fall überprüfen, wo man steht, betont Stünkel. Sollte man nachsteuern oder einen anderen Weg wählen? „Auf ein Unternehmen übertragen, denke ich an die ständige Überprüfung des Produktes und der Wertschöpfungskette, aller Prozesse und Möglichkeiten unter Einbindung möglichst vieler Fachkräfte im eigenen Haus“, erklärt der Pilot.

Warum starre Hierarchien gefährlich sind

Keil verweist zudem auf gute Erfahrungen im Cockpit durch mehr Mut zu weniger Hierarchie: „Ein erfolgreiches Team braucht klare Rollen, die aber regelmäßig getauscht werden, jenseits starrer Hierarchien.“ So solle in kritischen Situationen der Co-Pilot das Ruder übernehmen, weil der erfahrene Kapitän besser darin ist, sich einen Überblick zu verschaffen und die Situation zu bewerten. Ergo: „Als Führungskraft eines Unternehmens muss man auch mal einen Schritt zurücktreten, um die Gesamtsituation besser überblicken zu können.“ Effekt: Der Vorgesetzte lernt, Kontrolle abzugeben, was aber letztlich seine Sinne schärft. „Eine gewisse Hartnäckigkeit des Rangniedrigeren ist an Bord durchaus erwünscht, um einsame Entscheidungen des Vorgesetzten zu vermeiden“, ergänzt Stünkel. Sie äußert sich durch Nachfragen wie: „Sollten wir nicht...?“, „Wie meinst du das?“, „Ich habe da einen anderen Vorschlag“. Dem Mitarbeiter wird mehr zugetraut, was ihn motiviert, seine Erfahrungen erweitert – und er aus Fehlern lernen kann.

Wie man aus Fehlern lernt

Die Fehlerkultur im Cockpit ist fast schon legendär. Was aber nicht heißt, dass es zu keinen kommt. Im Gegenteil. Es gibt Studien, die davon sprechen, dass alle fünf Minuten eine Crew Fehler macht. Dass sie äußerst selten in einer Katastrophe enden, liegt am Umgang mit ihnen. Das A und O dabei: Auch wenn Fehler harmlos erscheinen, werden sie offen und angstfrei angesprochen, aufgearbeitet und anderen zugänglich gemacht, damit alle daraus lernen können. Stünkel nennt ein Beispiel: Eine Crew verstößt aus Unachtsamkeit gegen die Regel, im Anflug mit nicht mehr als zehn Knoten Rückenwind zu landen. Die Landung war weich und gut, aber die Crew beschließt, den Vorfall und die „Fehlerkette“ zu melden. „Für diese Fehlerkultur benötigt man eine innere Einstellung: Fähigkeit zur Selbstreflexion und -kritik, Disziplin und Fairness“, betont Stünkel.

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