Wer meint, dass die trendige Chinamarke Nio der erste Autohersteller war, der Wechselakkus ins Spiel brachte, vergisst den visionären Kreativkopf Shai Agassi. Früher als andere brachte er mit seinem israelischen Großprojekt "Better Place" die Wechselakkus ins Gespräch, die das zeitaufwendige Nachladen eines Elektroautos kurzerhand überflüssig machen sollten. Die Idee von Better Place ist nach der Pleite 2013 mittlerweile ebenso verschwunden wie die schrägen Ideen von Shai Agassi. Doch da das zeitaufwendige Nachladen eines Elektroautos wohl für Jahre ein Thema bleiben wird, gibt es immer wieder Autohersteller, die sich mit den Wechselakkus beschäftigen. Mehr denn je gilt das für Nio. Die Chinesen bieten ihre Elektromodelle nicht nur auf dem Heimatmarkt mit Wechselakkus an.

Wechselakkus hören sich erst einmal nach einer perfekten Lösung an. Einfach den Akku im Unterboden des Fahrzeugs an einer speziellen Tankstelle austauschen lassen, was an einer entsprechend ausgestatteten Station nicht länger dauert als der Tankvorgang bei einem Benziner oder Diesel. In fünf Minuten wieder Kraft für die nächsten 400, 500 oder mehr Kilometer - da strahlen nicht nur die Augen der Elektrofans. Doch das ganze System hat gleich mehrere Haken. Zum einen tauscht man seinen eventuell neuen Akku möglicherweise gegen ein älteres Modell mit geringerer Kapazität und entsprechend geringerer Reichweite. Wurde das Auto inklusive Akku gekauft und nicht gemietet oder geleast, dann entsteht so ein nicht zu unterschätzendes Problem im Kopf des Kunden, der viel Geld für sein Fahrzeug zahlt.

Zum anderen braucht es für ein funktionierendes Wechselsystem deutlich mehr Akkus als Fahrzeuge. Diese Batterien werden dann in den Stationen aufgeladen und stehen zum Akkutausch bereit. Das Problem dabei: Bei einem Elektroauto ist das mit Abstand teuerste Teil das jeweilige Akkupaket. Und viele Hersteller bekommen nach wie vor überhaupt nicht so viele Akkus, wie sie für die angebotenen Plug-in-Hybriden und Elektroautos brauchen. Von der Kostenseite betrachtet, ist die Rechnung mit Hunderten oder Tausenden von Akkureserven in den Tankstellen ein ernsthaftes Problem. Wer soll diese Akkus letztlich bezahlen und wie problematisch ist es, ein solches System mit entsprechenden Tankstellen und den zahllosen Wechselakkus aufzubauen?

Die Hersteller setzen auf Schnelllader statt Wechselsysteme

Doch diese beiden Probleme sind wohl noch kleiner als das Problem, dass das System, das bereits Shai Agassi - damals insbesondere Nissan und Renault - als perfekte Lösung verkaufte, vom Mitmachen lebt. Ein Autohersteller allein kann hier nichts bewirken und selbst eine Konzerngruppe wie Volkswagen, Hyundai oder Stellantis hätte Mühe, genügend Fahrzeuge auf die Straße zu bringen, die das System zu einem Erfolg und die Mehrkosten erträglich werden lassen. Letztlich hat sich keiner der europäischen Autohersteller für ein Wechselsystem entschieden, sondern stattdessen auf den Aufbau eines flächendeckenden Schnellladenetzes, das die Fahrzeuge in einer vertretbaren Zeit auf zumindest 80 Prozent der Ladeleistung erstarken lässt. In den Ausbau der Schnellladenetze sind Schritt für Schritt immer mehr Hersteller eingestiegen - was bei den Wechselakkus nicht funktioniert hat.

Da die Kosten für Batterietechnik und Schnellladenetze gigantisch sind, ist es kaum anzunehmen, dass in Europa oder Nordamerika Volumenhersteller auf das teure System der Wechselakkus setzen. Eine Chance könnte es allenfalls in China geben, wo unter anderem Nio seine Akkus im Unterboden tauschen lässt. In seinen beiden Forschungszentren in Jiading nahe Shanghai tüftelt der chinesische Elektroautohersteller nicht nur an neuen Fahrzeugen und Antrieben, sondern auch einer Verbesserung der Wechselakkus. Diese kommen mit dem Markteinstieg in Norwegen nunmehr auch nach Europa. Ab Herbst sollen die drei Modelle ES8, ES6 und EC6 in dem skandinavischen Vorzeigestaat für Elektromobilität angeboten werden - mit Wechselakkus, wodurch sich der Kaufpreis des Fahrzeugs um bis zu 10.000 Euro reduziert. Die ersten vier Stationen sollen noch in diesem Jahr in Betrieb genommen werden. Weitere der sogenannten Swap-Stationen folgen 2022, so dass in Norwegen die wichtigsten Städte nebst Routen abgedeckt werden sollen. Doch wie schon in China setzt Nio auch in Norwegen nicht allein auf den Batteriewechsel. Zusätzlich soll sukzessive ein eigenes Netzwerk an Superchargern entstehen.

BAIC will Wechselakkus standardisieren

Auch Renault hatte sein Elektromodell Zoe lange Zeit mit einer zusätzlichen Servicegebühr angeboten, die den wahren Preis des Autos leicht verschleierte; die Franzosen haben dem System mittlerweile jedoch den Rücken gekehrt. Hier ging es jedoch allein um eine Umlage der Akkukosten, denn die Batterie des Zoe selbst wurde nicht ausgewechselt. In China ist Nio nicht der einzige Hersteller, der auf Wechselakkus setzt. Auch Marken wie BAIC und die Elektrosubmarke BJEV, Changan oder Geely experimentieren in einigen Modellen mit entsprechenden Batterien und man diskutiert mit dem Wettbewerb, wie man Akkupakete standardisieren kann, damit bestenfalls mehrere Marken die Akkupakete an der Wechselstation austauschen können.

So schwierig es für Autos mit Wechselakkus werden dürfte, so gut sind die Chancen bei Lastenfahrrädern für Kurierdienste oder bei Motorrollern. Während einige Elektroroller nach wie vor mit fest verbauten Akkupaketen unterwegs sind, haben gerade einige der neuen Firmen, die allein auf Elektroroller setzen, Akkus verbaut, die mit einem Handgriff zu entnehmen in der Wohnung aufzuladen sind. Da ist der Schritt nicht weit, sich auch einem System für Wechselakkus zu öffnen. Vorrangig dürfte das jedoch für Roller und Lastenfahrräder im gewerblichen Einsatz ein Thema sein, wo die lange Ladezeit zu viel Zeit und damit Geld kostet.

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