Erste Fahrten mit allradgetriebenen Varianten des Audi Q6 e-tron zeigen, dass sich das lange Warten auf das in dieser Version knapp 75.000 Euro teure Fahrzeug gelohnt hat.

Erste Fahrten mit allradgetriebenen Varianten des Audi Q6 e-tron zeigen, dass sich das lange Warten auf das in dieser Version knapp 75.000 Euro teure Fahrzeug gelohnt hat. (Bild: Audi)

Vorsprung beginnt im Kopf - oder genauer gesagt: Am Kopf. Im neuen Audi Q6 e-tron nämlich kommen die Navigationsansagen für den Fahrer aus einem Lautsprecher in der Kopfstütze. Ein Technik-Feature, das einen echten Komfort-Gewinn bringt – nicht zuletzt auch für die anderen Reisenden, die wahrscheinlich weniger interessiert an den Fahranweisungen sind.

Die Audi-Ingenieure haben sich sichtlich und hörbar Mühe gegeben, ihrem elektrischen Hoffnungsträger durch Ideen wie dieses wieder das besondere Stück Detailverliebtheit fühlen zu lassen, das die Marke einst groß gemacht hat. In den vergangenen Jahren war das bei Premieren zuweilen deutlich weniger zu spüren. Bei ersten Fahrten mit den allradgetriebenen Varianten zeigt das Mittelklasse-SUV, dass sich das lange Warten auf das in dieser Version knapp 75.000 Euro teure Fahrzeug gelohnt hat.

Die präzise Navigation – unterstützt von gestochen scharfen Augmented-Reality-Grafiken des Head-up-Displays – ist nicht der einzige Wohlfühl-Faktor auf dem Weg durch die Hügel des Baskenlandes. Der 2,35 Tonnen schwere, 4,77 Meter lange und 1,65 Meter hohe Wagen lässt seine Passagiere seine wuchtigen Maße schnell vergessen. Stattdessen stellt sich am Steuer eher klassisches Limousinengefühl ein, fast wie ein Audi A6 e-tron, der dem SUV ja auf der gleichen Basis folgen wird. Der Q6 jedenfalls umgibt den Fahrer wie ein Kokon, der Beifahrer kann dieweil am eigenen optionalen 10,9 Zoll großes Display per App im Otto-Katalog wühlen oder seine Spotify-Playlist absuchen.  

Wenn der Mensch am Steuer dabei keine übertrieben sportlichen Ambitionen hat, geht es für alle Reisenden stets so magenschonend wie dynamisch voran. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Kraft ist in beiden Ausführungen überreichlich vorhanden. Schon der Q6 e-tron bietet 285 kW/387 PS und beschleunigt in weniger als sechs Sekunden von Null auf 100 Stundenkilometer. Die sportliche Version SQ6 e-tron bringt es sogar auf 380 kW/516 PS und schafft den Sprint in nur 4,3 Sekunden. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 210 und im SQ6 sogar 230 km/h. Wer noch mehr need for speed hat, kann sich bald einen RS mit noch mehr Dampf kaufen – oder schon jetzt den Porsche Macan mit den gleichen Genen ordern.

Der Q6 e-tron zeigt, dass dynamisch auch ganz ohne Härte geht

Aber im Audi kommt es den Schöpfern auf reine Kraftmeierei eben erkennbar nicht an. Es geht um Kultur, Qualität und Komfort, gepaart mit Sportlichkeit. Den Mix bekommen die Macher überzeugend hin. Da wankt und nickt auch in schnell durchfahrenen Kurven oder auf ruppigerem Geläuf nichts. Stets ist die Kraft aus den beiden Motoren, asynchron vorn und permanenterregt an der Hinterachse, wie am Schnürrchen gezogen erlebbar. Die Lenkung reagiert hochpräzise und mit genau dem richtigen Widerstand. Alle Assistenzsysteme arbeiten sehr akkurat, gerade auch im Zusammenspiel mit präziser Verkehrszeichenerkennung und Navi-Daten ein echter Gewinn an Fahrkomfort.

Das Zusammenspiel der Antriebskomponenten, Lastverteilungen oder Eingreifen all der Sensoren bleibt am Steuer unmerklich. Der Q6 e-tron surrt einfach, wohin der Weg ihn führen soll. Eine Luftfederung passt sich in Millisekunden den Fahrbedingungen an und bügelt fast jede Unebenheit weg. Das SUV fühlt sich so in jeder Situation wie ein mobiler Maßanzug an – und beweist gerade im Vergleich zu seinem Konzernbruder Macan, dass dynamisch auch ganz ohne Härte geht. Die Stuttgarter Version auf der sogenannten „Premium Platform Electric“ ist dank Allradlenkung zwar noch etwas agiler durch die Kurven zu manövrieren. Aber auch im Audi lassen sich in beinahe allen Fahrsituationen abseits abgesperrter Rennstrecken ähnlich sportliche Erfahrungen machen wie im Porsche – dazu aber im Normalbetrieb jederzeit mit sehr hohem Fahrkomfort. Da haben die Ingenieure erkennbar lange nachgedacht, getüftelt und gehandelt.

Beispielhaft lässt sich die Symphonie der Systeme beim Rekuperieren des Audi erleben: Der Antrieb holt sich besonders viel Energie aus der Verzögerung zurück. Bis zu 220 kW fließen beim Bremsen zurück in den Akku. 95 Prozent der Bremsvorgänge werden so allein durch Rekuperation abgedeckt. Sogar beim Eingreifen der ABS-Bremse lädt der Akku wieder ein wenig auf. Davon merkt der Mensch am Steuer nichts – nur an längeren Abständen bis zum nächsten Stopp an der Ladesäule.

Beim zügigen, aber nicht zu wilden Kurven über die Landstraßen und ein wenig Autobahn- und Stadtverkehr hat sich der Q6 e-tron bei frischen 15 Grad Außentemperaturen etwas über 21 kWh genehmigt, der stärkere SQ6 rund 25. So sollten mehr als 450 Kilometer Reichweite im Normalbetrieb realistisch sein, Gasfuß-Akrobaten mögen sogar mehr als 600 Kilometer erreichen. Das Nachladen geht stets dank 800-Volt-Technologie, die eine maximale Ladeleistung von 270 kW ermöglicht, rasant vonstatten. So kann der Akku in zehn Minuten genug Energie für 255 Kilometer speichern.  

Der langen zügigen Reise steht also wenig im Wege – und die inneren Werte machen darauf auch Lust. Auf allen Sitzen ist dank 2,90 Radstand reichlich Beinfreiheit, das Gestühl ist zudem nicht zu straff, die Materialien rundum höchst ansehnlich; so fassen sie sich auch an. In einem Fahrzeug für mindestens 74.700 Euro (SQ6: 93.800) sollte das wohl auch so sein. Das Cockpit ist schick, aber nicht zu verspielt. Im Mittelpunkt steht ein gebogenes Panoramadisplay: Es umfasst ein 11,9 Zoll großes Zentraldisplay und einen 14,5 Zoll großen Touchscreen für das Infotainment. Ein Head-up-Display projiziert mit Augmented Reality etwa dynamische Abbiegepfeile auf die 13-mal 9 Meter Fläche direkt vor dem Fahrer.

Erschwinglichere Varianten sollen folgen

Sehr gut arbeitet auch die Spracherkennung, mit der sich eine Vielzahl von Wünschen ans Auto realisieren lassen. Das spart viele Tipps auf dem Touchscreen und seinen Untermenüs. Wer will, kann per ChatGPT auch allein im Fahrzeug mit dem virtuellen Beifahrer parlieren. Solche Funktionen, weitere Apps oder Komfort-Features werden übrigens inzwischen auch bei Audi ohne Werkstattbesuch over-the-air aus der Cloud nachgereicht. Gern auch im Abo: Die „Sound-Revitalisierung“ im auch sonst nicht schwachbrüstigen Soundsystem kostet dort etwa einen Euro pro Monat, mehr Wumms aus dem Bass noch einmal drei Euro. Das mag denn doch gemischte Gefühle hinterlassen bei einem Käufer, der bereits zuvor sechsstellig in seinen SQ6 mit ein paar Extras investiert hat. Aber vielleicht ist das auch einfach die neue Autowelt?

Wer einfach nur ein wirklich gutes Reisefahrzeug mit stets mehr als ausreichenden Fahrleistungen haben möchte, sollte sich die fast 20.000 Euro Aufpreis des SQ6 sparen – oder gleich auf den Herbst warten. Dann gibt es den Q6 auch als reinen Hecktriebler mit der missverständlichen Bezeichnung „Performance“, der noch einmal fast 6.000 Euro günstiger als der billigste Quattro ist. Und in Sicht ist auch bereits eine Ausführung mit kleinerer 83-kWh-Batterie. Die dürfte das SUV noch mal erheblich erschwinglicher machen. Bei der Liebe zum Detail wird´s sicher auch da keine Abstriche geben.

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