Ein Mann überprüft die Werkzeugatmung an einer Maschine.

Der Verlauf der Werkzeugatmung enthält relevante Informationen über die Entstehung der Formteile und unterstützt den Bediener. (Bild: Engel)

Ob Außenverkleidungen, Stoßfänger oder Batteriegehäuse – in jedem Fall kommt es im industriellen Spritzguss auf die richtige Materialrezeptur und eine exakte Prozessführung an. Maschinenbauer wie Dienstleister müssen sich einiges einfallen lassen, um durch beharrliche Entwicklungsarbeit die vielfältigen Herausforderungen zu meistern. Da ist zum einen der druck- und temperaturgesteuerte Prozess des Spritzgießens, der die qualitätsrelevanten Maße der Bauteilkonturen beeinflusst.

Bereits kleinste Materialschwankungen oder Änderungen an den Einstellungen der Plastifizier- und Schließeinheit der Spritzgießmaschinen verändern das Werkstück. Maßhaltigkeit und Wiederholgenauigkeit sind die unantastbaren Wettbewerbskriterien, die mit höchster Priorität in jedem Pflichtenheft der Mitarbeiter stehen. Zum anderen müssen alle Verfahrensschritte optimal zusammenpassen, um das Spritzgusswerkzeug zu schonen und Kosten im Zaum zu halten. Am besten geht das mit moderner Messtechnik und Softwaresimulation.

Werkzeugatmung bleibt wichtiger Parameter

Das Spritzgusswerkzeug besteht aus zwei Hälften und wird mit tonnenschwerer Schließkraft zusammengepresst. In den dazwischenliegenden Hohlraum (Kavität) schießt unter hohem Druck flüssiger Kunststoff. Um die Anforderungen der Automobilindustrie sicherzustellen, sind Messungen an der Maschine unerlässlich. Eine kleine aber nicht unerhebliche Prozessgröße ist die Werkzeugatmung - ein Dorn im Auge jedes Kunststoffverarbeiters.

Die Werkzeugatmung entsteht, wenn mit hohem Druck die heiße Kunststoffschmelze innerhalb von Millisekunden in die Kavität schießt und die einwirkenden Kräfte die mit immenser Schließkraft zusammengehaltenen Werkzeughälften um einige Tausendstel bis Hundertstel Millimeter auseinander drückt. Das passiert, wenn die auftreibende Kraft des Werkzeuginnendrucks die Schließkraft übersteigt. In der Praxis lässt sich das kaum vermeiden, die Frage ist nur, mit wieviel Kraft die beteiligten Kontrahenten aufeinander einwirken. Denn die Gefahr einer zu großen Werkzeugatmung sind Gratbildungen am Bauteil - bei entsprechend hohen Qualitätsanforderungen an das Spritzgießteil ein klares K.O.-Kriterium. Erschwerend kommt hinzu, dass sich das Hohlraumvolumen in der Kavität ungleichmäßig verändert.

Bei größeren Bauteilen wie beispielsweise Stoßfängern treten unterschiedliche Verformungen auf, deren Berechnung schwierig ist und meist nur als gemittelter Wert vorliegt. Die Folge ist am erkalteten Bauteil zu besichtigen: Abweichung vom Soll-Wert.

Produktionswerkzeug von ausgewertet werden Schneider Form.
Anhand der Messwerte können Werkzeugverschleiß, Bewegungen und Auswirkungen auf die Bauteilqualität ausgewertet werden. (Bild: Schneider Form)

Der Fullservice-Anbieter Schneider Form und Maschinenbauer Engel haben schon seit längerem den Qualitätskiller Werkzeugatmung im Visier. Der einfachste Weg ist die lückenlose Überwachung des Einspritzvorgangs und der Werkzeugbewegungen während des Spritzzyklus. Im Werkzeug sind Sensoren platziert, die Vorgänge in der Kavität innerhalb von Millisekunden erfassen.

Aus Messwerten wie dem Einspritzvolumen des flüssigen Kunststoffs, dessen Feuchtigkeitsgehalt, dem Druck in der Kavität oder der Relativbewegung der Werkzeughälften zueinander, lassen sich Rückschlüsse auf die Prozessqualität ziehen. Das Ziel: Ein perfektes Zusammenspiel von eingestellter Schließkraft und daraus resultierender Kräfteverteilung im Werkzeug.

Um auch die lokale Werkzeugatmung in die Ermittlungen der optimalen Maschineneinstellung einzubinden, hat Schneider Form in einer Stoßfänger-Kavität zu Testzwecken auf einer Engel-Maschine entsprechende Sensoren angeordnet. Die Sensorsignale werden in einem selbstentwickelten Kleinrechner namens OptiCheck gesammelt und gelangen über eine kabellose Netzverbindung auf einen externen Rechner zur weiteren Auswertung. Laut Hersteller handelt es sich um ein lernfähiges Assistenzsystem, das hochgenaue Echtzeitaufzeichnungen der Werkzeugbewegungen im laufenden Betrieb erstellt.

Digitale Assistenzsysteme gewinnen an Bedeutung

Während sich bisherige Messtaster auf den Werkzeuginnendruck konzentrieren und nur sehr erfahrene Mitarbeiter den Einfluss der Werkzeugatmung einschätzen können, wollen die Ingenieure die Atmungsverläufe in ihren verschiedenen lokalen Ausprägungen per Sensorsignal erfassen. Der Vorteil: Eine breitere Informationsbasis ermöglicht Einblick auch in den Werkzeugverschleiß, die Druckauswirkungen in den verschiedenen Bereichen der Kavität sowie deren Auswirkung auf die Bauteilqualität.

Maschinenbauer Engel forciert mit seinem Produktprogramm Inject 4.0 seit sechs Jahren den Einsatz digitaler Assistenzsysteme, die für weniger Ausschuss und damit weniger Ressourcenverbrauch sorgen sollen, auch durch das Einbeziehen der Werkzeugatmung. Das Kunststück besteht darin, kritische Prozessparameter und unerwünschte Toleranzen durch Werkzeugatmung während des Spritzvorgangs zu erkennen und sofort auszugleichen. Der österreichische Maschinenbauer will das eigenen Angaben zufolge durch die Rückkopplung der Prozessparameter an die Maschinensteuerung erreichen – ein sich selbst optimierender Regelkreis ohne die Maschine im laufenden Betrieb anzuhalten.

Drei Softwaretools zur Qualitätsüberwachung des Spritzgießvorgangs hat Engel inzwischen im Produktportfolio. Einmal erkennt das Tool sowohl die Schmelzmenge als auch die Materialviskosität, um Schwankungen auszugleichen. Das Programm wertet Sensordaten während des Einspritzvorgangs in Echtzeit aus, misst den Druckverlauf und vergleicht die Messwerte mit einem vorgegebenen Referenzzyklus. Ändert sich die Materialmenge, passt es das Einspritzprofil und den Umschaltpunkt noch im selben Schuss an die aktuelle Situation an oder korrigiert automatisch das Nachdruckniveau bei veränderter Viskosität. Die Werkzeugatmung fließt ebenfalls in die Prozesssteuerung ein und gleicht die Schließkraft kontinuierlich mit den aktuellen Prozessparameter ab. Ein weiteres Mess- und Regelprogramm analysiert den Temperaturverlauf und das Kühlsystem.

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