Röntgenblick in ein Volvo-Fahrzeug mit im Megacasting-Verfahren hergestellter Bodenstruktur

Volvo will große Teile der Bodenstruktur seiner künftigen E-Autos als zusammenhängendes Aluminiumteil gießen und investiert dafür eine erhebliche Summe in das Stammwerk Torslanda. (Bild: Volvo)

Große Karosserieteile mit Hilfe des Aluminiumdruckgussverfahrens in Serie herzustellen, könnte dem Fahrzeugbau neue Impulse verleihen. Das Verfahren war im Fahrzeugbau bislang eher für die Produktion von Komponenten des Fahrwerks bekannt, etwa bei Federbeindomen oder Längsträgern. Dass ganze Karosserieteile aus bestimmten Aluminiumlegierungen unter hohem Druck in eine Form gegossen und nach dem Erstarren weiterverarbeitet werden, klingt verlockend. Die Vision ist es, zahlreiche Einzelteile, wie sie bei der Stahlmethodik üblich sind, auf wenige Teile oder gar auf ein großes Bauteil zu reduzieren und so aus dem gesamten Karosseriebauprozess Komplexität zu nehmen.

Tesla Model Y
Tesla setzt für das hintere Bodenblech im Model Y auf Aluminiumdruckguss. (Bild: Tesla)

Erste Meldungen zum Aluminiumdruckguss für Karosserieteile kamen vom US-Elektroautohersteller Tesla, der das Verfahren Gigacasting nennt. Die Amerikaner setzen etwa im Model Y beim hinteren Bodenblech auf diesen Prozess, für den riesige Maschinen mit etwa 80 bis zu 100 Tonnen schwere Werkzeuge erforderlich sind. Die Systeme sind wortwörtlich gigantisch, die Pressen bis zu 20 Meter lang und mehrere Meter hoch und breit. Ein früher Experte auf diesem Feld ist der italienische Maschinenbauer Idra, der seine Bearbeitungssysteme als Giga Press bezeichnet. Im deutschsprachigen Raum ist die Bühler Group aus der Schweiz ein namhafter Lieferant für moderne Druckgießzellen vom Typ Carat.

Wo setzen die Autobauer Gigacasting ein?

Zwischenzeitlich führt auch Volvo Aluminiumdruckguss im schwedischen Stammwerk Torslanda ein. Ab 2025 sollen dort die hinteren Teile der Bodenstruktur kommender E-Modellgenerationen im Druckgussverfahren hergestellt werden. Die Schweden bezeichnen das Verfahren als Megacasting. Volvo investiert etwa eine Milliarde Euro in die Fertigung nahe Göteborg, die in eine neue Batteriepack-Montageanlage, Upgrades für Lackierung, Logistik und Fahrzeugmontage und eben in den Aluminiumdruckguss fließen. Volvo wird zwei Druckgießzellen vom Typ Carat 840 aus dem Hause Bühler einsetzen. Die Maschinen ermöglichen etwa 120.000 Teile pro Jahr, wie Martin Lagler, Director Global Product Management and Marketing Die Casting beim Unternehmen, sagt.

Was ist Giga- oder Megacasting?

  • Mit Giga- oder Megacasting bezeichnet man ein Verfahren, bei dem man spezielle Aluminiumlegierungen unter hohem Druck in eine Form gießt und nach dem Erstarren weiterverarbeitet.
  • Im Automobilbau hat sich das Verfahren ursprünglich bei Komponenten des Fahrwerks bewährt.
  • Zum Megacasting wird das Verfahren dann, wenn man es auf großen Maschinen für die Herstellung großer Karosserieteile anwendet, um etwa ganze Hinter- oder Vorderwagen in einem Teil umsetzen. Dazu sind Maschinen mit etwa 80 bis zu 100 Tonnen schweren Werkzeugen erforderlich.
  • Beim Maschinenbauer Bühler spricht man typischerweise dann von Megacasting, wenn man in Bereiche von 6.000 bis 9.000 Tonnen Schließkraft vordringt.

Wie Mikael Fermér, Solution Architect Vehicle Platform bei Volvo Cars sagt, werden die Megacast-Teile im hinteren Bodenbereich der neuen Fahrzeugplattform eingesetzt. Im Interview mit unserem Schwestermagazin Automotive Manufacturing Solutions (AMS) schildert er: „Es ist sinnvoll, die Entwicklung und Verwendung der Megacast-Teile auf diesen Teil der Karosserie zu konzentrieren.“ Es handle sich um einen belebten Bereich des Fahrzeugs, für den Flexibilität mit Blick auf die Sitze, die Aufhängung und Antriebsstrangkonfigurationen gefordert sei. Die entsprechenden Anlagen für die Herstellung dieser Teile sollen eine Jahreskapazität von 55.000 Tonnen bieten und mit Zykluszeiten von 140 Sekunden pro Etage arbeiten.

Mikael Fermér, Solution Architect Vehicle Platform bei Volvo Cars
"Megacasting unterstützt viele Lebenszyklen von Elektroautos", sagt Mikael Fermér, Solution Architect Vehicle Platform beim schwedischen OEM. (Bild: Volvo Cars)

Welche Vorteile bietet Gigacasting?

Automobilhersteller wie Volvo versprechen sich so vor allem mehr Flexibilität im Vergleich zu tradierten Plattformen. So will Volvo die Komplexität mindern, indem man verschiedene Karosserieteile und -funktionen in einem Teil integriert. Während man bei Tesla von einem Reduktionsverhältnis der Teile von 70 zu 1 spricht, wollen die Schweden ein Verhältnis von 100 zu 1 erreichen. Daraus könne sich ein Plus auch mit Blick auf die Qualität ergeben, heißt es etwa bei Volvo. Ein weiteres Argument für Megacasting sieht man beim OEM in einer hohen Einsatzquote von Sekundäraluminium.

Dem Leiter des Lehrstuhls für Umformtechnik und Gießereiwesen (utg) an der TU München, Wolfram Volk, zufolge eignet sich das Verfahren insbesondere für die Bodenmitte sowie den Hinterbau, da dort im Crashfall nicht so hohe Duktilitäten benötigt werden. Nur bedingt sieht er einen Einsatz im Vorderbau. Laut dem TUM-Experten ergeben sich aus einer Teilereduktion an sich aber noch keine betriebswirtschaftlichen Vorteile. Zudem werde eine Karosserie damit auch nicht per se leichter.

Welche Wandstärken sind beim Gigacasting möglich?

Tesla setzt für die Herstellung des hinteren Bodenblechs auf naturharte Legierungen und umgeht mit dem Verfahren die Wärmebehandlung. Laut Volk liegen keine profunden Erkenntnisse darüber vor, wie sich bei Bauteilen dieser Dimension der aus der Wärmebehandlung resultierende Verzug in den Griff bekommen lässt. Während man beim Druckgießen mit Blick auf die Blechdicken von einer Untergrenze von zwei bis drei Millimetern ausgehe, seien bei Blechschalen Wandstärken bis hinunter zu 0,7 Millimeter möglich, weiß Gießereiexperte Volk. Ihm zufolge liegt die Festigkeit von weichen Tiefziehstählen heute in einem Bereich von 140 bis 1.500 MPa. Naturharte Aluminium-Legierungen, die keine Wärmebehandlung vertragen, liegen dagegen gerade einmal bei zirka 250 bis höchstens 350 MPa, Aluminium-Knetlegierungen bei 500 bis 600 MPa.

Wie Martin Lagler vom Maschinenexperten Bühler gegenüber Automobil Produktion betont, kann man bei den Wandstärken technisch gesehen bis hinunter auf 1,8 Millimeter gehen. Dies sei kein Durchschnittswert, sondern eher einer für den Rand eines Karosseriebauteils.

Funktionsprinzip des Aluminiumdruckgusses im Karosseriebau
Beim Gigacasting werden mehrere Kilogramm geschmolzenes Aluminium in eine Gussform injiziert, ein Stempel drückt mit mehreren Tonnen Druck die Masse in Form, die anschließend abkühlt. (Bild: Volvo Cars)

Für welche Stückzahlen eignet sich Gigacasting?

Nach sinnvollen Stückzahlen befragt, bringt TUM-Experte Volk die Standzeiten von Druckgießformen ins Spiel: Bedingt durch den sogenannten Thermoschock gelte die Faustformel, dass eine Druckgießform 100.000 bis 150.000 Schuss halte. Volk betont: „Ein Umformwerkzeug hingegen schafft fünf bis sechs Millionen Teile. Wir sprechen also vom Faktor 20 bis 30.“ Für diese gussintensive Lösung gibt es dem Experten zufolge also einen klar limitierten Stückzahlbereich: Sehr kleine und sehr große Stückzahlen im Aluminium-Casting hält er daher für wenig attraktiv.

Das im Karosseriebau bei Großbauteilen junge Verfahren hängt beim Blick auf die Effizienz freilich stark vom Rohmaterial Aluminium ab. Hier könne ein OEM schon früh steuern, ob das Material wenig CO2-Belastung mitbringe, so wie es etwa BMW mit aus Sonnenstrom der Wüste hergestelltem Aluminium zeige, sagt Bühler-Experte Martin Lagler. Heute erreiche man Werte von vier Kilogramm CO2 pro Kilogramm Primäraluminium, was schon sehr gut für die energieintensive Primärproduktion sei. Mit Kohlestrom hergestelltes Aluminium aus China liege bei 20 Kilogramm CO2, also um den Faktor fünf höher.

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