Factory Tour

11. Jun. 2025 | 11:22 Uhr | von Thomas Geiger

Nio in Hefei

Hochbetrieb im NeoPark

Es begann in der Factory 1, für die Nio noch ein Joint Venture mit JAC eingehen musste. Mittlerweile schlägt das Herz des OEMs im NeoPark, wo rund um die Factory 2 ein Zentrum smarter Mobilität wuchs - nebenbei das größte Nio House der Welt.

Nio in Hefei

Im Industrieareal Hefei hat sich neben einigen Zulieferern vor allem Nio angesiedelt. (Bild: Nio)

Nein, das ist kein Tippfehler: Wer zu Nio nach Hefei will, der muss im Navigationssystem nach dem NeoPark suchen. Denn hier hat die Regierung der Provinz Anhui vor nicht einmal fünf Jahren für eine Milliarde Dollar ein Industrieareal aus der grünen Wiese gestampft, das allein der smarten und natürlich sauberen Mobilität verpflichtet ist – und in dem sich alles um einen großen Mieter dreht. Denn neben einer Handvoll Zulieferer hat sich zwei ICE-Stunden westlich von Shanghai vor allem Nio angesiedelt und nach der noch gemeinsam mit JAC betriebenen Factory 1 vor drei Jahren den Betrieb in der Factory 2 aufgenommen.

Bereits heute ist das 1,15 Quadratkilometer große Werk mit seinen aktuell 2.500 Mitarbeitern auf eine Jahreskapazität von 300.000 Autos ausgelegt, von denen sie im letzten Jahr mit nur einer Schicht und ein paar Überlauftagen lediglich 120.000 ausgeschöpft haben. Aber wie alles in China ist auch dieses Areal für Zuwachs gerüstet: „Wir haben hier noch Platz für ein zweites Werk von der gleichen Größe“, sagt Yi Yang aus der Werksleitung.

Nios Werk in Hefei in Zahlen:

Werk: Factory 2, Hefei, Provinz Anhui in China
Fläche: 1,15 Quadratkilometer
Produktion: Kapazität von 300.000 Fahrzeugen p.a. (2024: 120.000)
Baubeginn: April 2021
Produktionsbeginn: April 2022
Beschäftigte: 2.500

Nios Belegschaft ist im Schnitt gerade mal 25 Jahre jung


Allerdings müssen sie dafür über den Firefly, für den sie eine dritte Fabrik gebaut haben, nicht nur ihre Absatzzahlen in die Höhe bringen, sondern auch ihren Mitarbeiterstamm erweitern. Und das ist nicht einfach für eine neue Marke mit einem Werk in einer Provinz, in der mit VW, BYD, Changan und JAC noch vier weitere Hersteller produzieren. „Deshalb arbeiten bei uns fast ausschließlich Einsteiger, die wir in Kooperation mit den örtlichen Hochschulen selbst ausbilden und unsere Belegschaft ist mit durchschnittlich 25 Jahren ungewöhnlich jung“, sagt Yi Yang.  Um sie zu halten und neue Mitarbeiter zu locken, plant Nio nicht nur neue Werkshallen, sondern will dann auf dem Gelände auch Wohlanlagen bauen, Schulen, Fitnessstudios und Sporthallen, schwärmt Yi Yang über die neuen Arbeiter-Quartiere. Und ein neues Headquarter samt Hotelanlage soll es auch noch geben, zählt er weiter auf.

Als nagelneues Werk ist die „Factory 2“ auch ökologisch weit vorne und erfüllt die LEED Gold-Standards: Etwa die Hälfte ihres Energiebedarfs deckt die Fabrik mit den 53 GWh Solarstrom, den sie auf den Dächern ernten, die Klimaanlage läuft mit Wärmepumpen und eine ausgeklügeltes Wassermanagement reduziert den Frischwasserbedarf dramatisch. Und mit 90 Kilometer Datenkabel im Boden und einer 100 GB-Internetverbindung in jedem Winkel des Werkes wird Hefei förmlich zum Hotspot.

Was das Werk neben der jungen Belegschaft und dem LEED-Standard für Yi Yang noch ausmacht, das ist vor allem seine große Flexibilität. Zwar müssen sich seine Kollegen keine Gedanken über unterschiedliche Antriebe machen, weil Nio anders als BYD & Co ausschließlich E-Modelle anbietet und sich nicht den Rückschritt zum Hybriden oder gar zum reinen Verbrenner erlauben will. Doch dafür bauen sie hier in Hefei theoretisch 3,5 Millionen Konfigurationen und fünf Modelle vom kleinen ET5 bis zum Flaggschifft ET9, über den vor allem die Kollegen in der Lackiererei stöhnen.

Als wären die bislang 20 Farben in der Palette nicht schon komplex genug, bestellen das neue Top-Modell jetzt auch noch besonders viele in der First Edition, die eigentlich nur als PR-Gag gedacht war – und allein 60 Stunden von Hand poliert wird. „Und anders als viele andere Hersteller wissen wir heute noch nicht, was wir in einer Woche produzieren werden“, erläutert der Werksmanager. Denn Nio baut seine Autos nicht auf Halde, sondern nur auf Bestellung. „Und trotzdem vergehen maximal zehn Tage zwischen der Auftragsannahme beim Händler und der Auslieferung hier bei uns in Hefei.

Welchen aufwand sie für diese Flexibilität betreiben müssen, erkennt man nicht nur an den riesigen Hochregalen mit Platz für 250 Rohkarossen, in denen sie die Autos vor dem Lackieren sortieren, oder daran, dass sie sich einen Rohbau für Aluminium und einen für Stahl leisten und obendrein ein Dutzend unterschiedliche Fügetechniken einsetzen. Ihr ganzer Stolz ist die Endmontage, bei der sie die sonst starren Linien aufgebrochen und dazwischen immer mal wieder ein paar „Assembly Islands“ eingerichtet haben. Diese Inseln sind quasi die Pufferzonen, in denen sie aufwändigere Arbeiten erledigen können, ohne den Gesamtablauf zu verzögern. Nur so lassen sich die fünf unterschiedlichen Modelle mit ihrer verschieden großen Komplexität in einem Fluss integrieren. Und dass dazwischen oft Dutzende Meter Leerraum bestehen, leistet der Sache keinen Abbruch. Erstens können Sie dort schnell und flexibel neue Inseln einrichten, wenn neue Modelle kommen und zweitens haben sie ja über 300 automatisierte Flurförderfahrzeuge, die neben den Komponenten auch die ganzen Karosserien durchs Werk kutschieren.

Der Mensch wacht, die Roboter arbeiten

Apropos Automatisierung: Während die 2.500 Mitarbeiter vor allem die Technik überwachen, machen die eigentliche Arbeit über 1.000 Roboter, denen die Menschen allenfalls in der Endmontage noch zur Hand gehen. Selbst die Schlusskontrolle wird mittlerweile weitgehend elektronisch erledigt. Mit Kameras und künstlicher Intelligenz kontrollieren sie die Passform vieler Interieur- und Exterieurteile. Für das Betriebssystem haben Sie eigens ein Testprogramm geschrieben, das am Ende der Produktion hundertfach die Fenster und Türen öffnet, die Spiegel verstellt, die Klimaanlage orgeln lässt oder die Musik aufdreht, um die einwandfreie Funktion zu überprüfen. Selbst den Weg raus auf die Teststrecke bewerkstelligt der Autopilot, nur die ersten Meter im echten Leben, fährt dann noch ein Mitarbeiter der Qualitätssicherung, bevor ein neues Auto zur Verladung vorbereitet wird.

Für überraschend viele Nios allerdings beginnt ihre Karriere quasi unmittelbar am Werkstor. Denn statt einer gewöhnlichen Pforte haben sie in Hefei das mit 4.000 Quadratmetern größte Nio House der Welt aufgebaut, in dem sie nicht nur viele tausende Besucher pro Jahr empfangen, die bald ohne Anmeldung und ohne Führer auf einen zwei Kilometer langen Rundgang durchs Werk gehen dürfen. Hier kommen im Monat auch zwischen 800 und 1.000 Kunden zur Neuwagenabholung und fahren dank hauseigener Zulassungsstelle als stolze Nutzer vom Hof.

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