Die Sichtkontrolle eines Scala Lidar-Sensors bei Valeo in Wemding.

Die Sichtkontrolle der Lidar-Sensoren obliegt an vielen Stellen des Produktionsprozesses noch den Beschäftigten. (Bild: Valeo)

Eine Kleinstadt in Bayerisch-Schwaben wird zum maßgeblichen Treiber des autonomen Fahrens. Knapp über 5.000 Einwohner zählt Wemding, das im Städtedreieck von Stuttgart, München und Nürnberg liegt. Die Bundesautobahnen A6, A7, A8 und A9 machen allesamt einen Bogen um die Ortschaft. Doch der Schein der Unbedeutsamkeit trügt. Mit rund 1.400 Mitarbeitern festigt Valeo dort seinen Stand im Bereich Fahrerassistenz. Auf 21.400 Quadratmetern reiner Produktionsfläche entstehen unter anderem Kamerasysteme, Elektronikbauteile sowie Ultraschall-, Radar- und Lidar-Sensoren.

Das Alleinstellungsmerkmal des Werks ist dabei die Lidar-Produktion. Bereits 2017 hatte der Zulieferer eine Linie für den Scala 1 in Betrieb genommen, im Jahr 2020 wurde eine weitere für das Nachfolgemodell eingeweiht. Mehr als 170.000 Einheiten wurden seither insgesamt produziert. Ein Unikum, denn es handle sich um die weltweit einzige Serienproduktion für Automotive-Lidar, hebt Clément Nouvel, CTO Lidar bei Valeo, den Stellenwert hervor. Sowohl Mercedes-Benz S-Klasse als auch Honda Legend sind aus diesem Grunde auf SAE-Level 3 unterwegs.

Stolze 99 Prozent aller Fahrzeuge, die mit Lidar-Sensoren ausgestattet sind, werden laut Unternehmensangaben mit Technologie aus Wemding bestückt. Ein eigener Produktionsbereich für die dritte Generation soll diesen Trend fortsetzen. „Für eine gemeinsame Linie ist die Innovation schlicht zu groß“, erklärt Markus Hein, Senior Site General Manager Wemding. Zu den Abnehmern zählt unter anderem Stellantis, gleich mehrere Modelle des Volumenherstellers sollen mit dem neuesten Lidar ausgestattet werden. Aber auch ein asiatischer Hersteller sowie ein US-Unternehmen für Robotaxis kamen hinzu. Damit summieren sich die Aufträge für den Scala 3 auf über eine Milliarde Euro.

Linien werden für neue Lidar-Generationen optimiert

Doch weshalb ist die Massenproduktion von Lidar so komplex und kostspielig, dass sie bislang noch keine Nachahmer findet? Die Antwort findet sich zunächst im Reinraum. Hier findet der Justage-Prozess des Optikmoduls statt, der ein hohes Maß an Sauberkeit und Präzision zugleich erfordert. Dabei wird der Laser auf die Linse fokussiert, der Empfängerchip vorbereitet und der Sender auf den Empfänger ausgerichtet. Automatisierung und Skalierung gehen dabei Hand in Hand, doch ohne Mitarbeiter kommt das Reinraumzelt nicht aus. Vor allem der Transport und das Zuführen der Teile sowie die Sichtkontrolle obliegt an vielen Stellen des Produktionsprozesses noch den Beschäftigten, erklärt Hein.

Ebenfalls vormontiert werden Rotor und Leiterplatten des Lidar-Sensors. An der Rotorlinie werden zu Beginn zwei Spiegel pro Rotor verklebt, eine Plasmareinigung durchgeführt und die Ebenheit geprüft. Danach wird der Rotor auf den Motor montiert und die Baugruppe automatisiert verschraubt. Die Zwischenmontagen des Scala 1 erfolgen noch halbautomatisch, wobei aus den komplexen Prozessen einige Lehren für die höher Automatisierung der nächsten Generation gezogen wurden, berichtet Tobias Vogel, Industrial Engineering Manager LiDAR. Das verdeutlicht sich am stärksten bei der Endmontage, wo Optikmodul und Rotor in den Sensor verbaut und an der End-of-Line-Station final kalibriert und getestet werden. Denn mit Hinzukommen des Scala 2 hielt die Hochautomatisierung auch Einzug bei den Schraubprozessen.

Die Produktion von Scala Lidar-Sensoren im Valeo-Werk Wemding.
Die Erfahrungen aus der Fertigung des Scala 1 haben einen höheren Automatisierungsgrad bedingt. (Bild: Claus Dick)

Ultraschallsensoren sind Vorbild bei der Massenproduktion

Das Knowhow für die Industrialisierung der Lidar-Produktion konnte Valeo unter anderem beim Bau von Ultraschallsensoren sammeln, erläutert Clément Nouvel. Seit 1991 wurden über eine halbe Milliarde Einheiten im dienstältesten Bereich des Standorts hergestellt. Jährlich kommen rund 50 Millionen hinzu. Mitte des letzten Jahres wurde für BMW gar eine eigene Linie für eine neue Generation errichtet. Eine weitere für diverse Auftraggeber befindet sich aufgrund der Volumenzuwächse noch im Aufbau. Auch hier kommen neue Fertigungsprozesse zum Tragen, so Hein. Insgesamt seien derzeit 13 Linien der alten Generation in Betrieb, sukzessive werden diese umgerüstet. „Wir fahren die neuen Linien hoch und die alten runter.“

An der Linie fällt der hohe Automatisierungsgrad sowie die Qualitätssicherung mittels Kameratechnik auf: So werden beim Zwischenbau der ZUS-Membran etwa Mikrorisse und Oberflächenkratzer durch eine Kombination aus klassischen Algorithmen und künstlicher Intelligenz unterschieden. Nachdem diese dank Kameralokalisierung vollautomatisiert mit Gehäuse, Stopfen und Deckel versehen wurde, erfolgt schließlich auch beim ZUS-Wandler eine KI-Endprüfung der Drahtlage sowie des Lötpastenauftrags. Die Endabnahme wurde früher manuell vorgenommen, nun übernehmen dies acht verschiedene Vision-Systeme, bevor letztlich auch die Membran mittels Shape-from-Shading aus vier Kamerawinkeln überprüft wird.

Domain-Controller werden zum Wachstumsmotor

Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Produktion von Frontkameras, die 2004 aufgenommen wurde. Im zweistufigen Fertigungsprozess widmet sich der Reinraum zunächst den zugekauften Optiklinsen, bevor das Optikgehäuse mit dem inhouse hergestellten Image-Board verschraubt werden kann. „Um konkurrenzfähig zu sein, erreichen wir hier einen Automatisierungsgrad von weit über 90 Prozent“, berichtet Gregor-Robert Wichary, Activity Manager in Wemding. Für OEMs würden derzeit zwei dedizierte Linien existieren: eine für Volkswagen, eine für Stellantis und Honda. Zwei weitere seien gemischt. Die fünfte Low-Volume-Linie diene dem Bau von Prototypen.

Ein weiterer Wachstumsmotor ist das Geschäft mit Domain-Controllern. Gewachsen sei dies aus dem Ultraschallbereich, in dem einfache Steuergeräte für Einparksysteme gefertigt wurden, erläutert Markus Hein. Komplexere Fusion-Steuergeräte seien der nächste Schritt gewesen. Künftig werden im Sinne dieser Entwicklung mehrere Funktionen zugleich integriert. Als ADAS-Domain-Controller übernehmen die Hochleistungsrechner dabei die Verarbeitung und Steuerung riesiger Datenmengen. So hat der Zulieferer mittlerweile einen Großauftrag von BMW an Land gezogen, der Domain-Controller, Sensoren und Software für die Neue Klasse beinhaltet.

Ein gewisser Wettbewerbsvorteil für all diese Unternehmungen ist die integrierte Elektronikfertigung im Werk. Valeo bestückt alle notwendigen Leiterplatten selbst. Hierfür kommen Dual-Lines der SMD-Fertigung zum Einsatz, welche beide Seiten der Leiterplatten gleichzeitig verarbeiten. Pro Linie werden 170.000 Einheiten pro Stunde bestückt – eine Gesamtkapazität von sechs Milliarden im Jahr. Eine Zahl, die verdeutlicht, weshalb Wemding auch globale Verantwortung trägt. „Wir haben den Anspruch, der Knowhow-Standort schlechthin zu sein“, so Tobias Cislaghi, Industrial Engineering Manager SMT & Controller. Produktionsprozesse und Technologien würden als Blaupause für Standorte auf der ganzen Welt dienen.

Die SMD-Fertigung im Valeo-Werk Wemding.
Jährlich werden in Wemding sechs Milliarden Leiterplatten bestückt. (Bild: Claus Dick)

Wirtschaftlichkeit ist Voraussetzung der Smart Factory

Während der Automatisierungsgrad immer auch eine Frage des Volumens und der Prozesse ist, kennt die durchgehende Digitalisierung kein Groß und Klein. So zieht sich ein Traceability-System durch alle Fertigungsbereiche. Es sammelt logistische Daten für das einzelne Produkt sowie Prozess- und Qualitätsdaten zur Optimierung und Effizienzsteigerung der Linien. „Das Datengerüst hilft uns in Verbund mit den Ausfallteilen an der Linie, den Kurs zu finden und weitere Prozessschritte zu optimieren“, fasst Markus Hein zusammen.

Als nächster Schritt sei geplant, die Intralogistik und das Warehouse-Management für die Elektronikfertigung zu automatisieren. Das elektronische Warenlager wäre dann endgültig in den Produktionskosmos integriert. „Nach der Einlagerung soll bis an die Linie alles vollautomatisch laufen“, sagt Hein. Dafür vorgesehen, ist ein Schienensystem oberhalb der Produktion, das sich mit seinen Übergabestationen vom Logistikgebäude bis zur Elektronikfertigung zieht. Es ermögliche eine maximale Flächenausnutzung, hebt der Senior Site General Manager hervor, da der flächendeckende Einsatz von fahrerlosen Transportsystemen in den engen Laufwegen nicht praktikabel erscheint. „Wir automatisieren nicht der Automatisierung wegen.“ Schließlich steht Wirtschaftlichkeit als Zulieferer mehr denn je im Vordergrund.

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