An passenden Redewendungen mangelt es nicht, wenn man die aktuelle Entwicklung rund um das VW-Werk in Wolfsburg beschreiben möchte. Ob 'Back to the roots' oder 'Schuster, bleib bei deinen Leisten' – sie alle treffen den Kern dessen, was aktuell in Ostniedersachsen angesagt ist. Dabei sah es noch vor zwei Jahren ganz anders aus. Das sagenumwobende Trinity-Werk sollte Wolfsburg in neue Sphären heben und weltweit Maßstäbe in Sachen Produktionseffizienz definieren. Doch dann kam Oliver Blume. Und der rasierte einen Phantasieplan nach dem nächsten. Mitte 2024 ist man in Wolfsburg erst einmal wieder stolz auf das, was man erreicht hat. Und an vorderster Front steht da nach wie vor der Golf. Das Auto der Deutschen schlechthin feiert 50-jähriges Jubiläum. Allein in Wolfsburg wurde es mehr als 20 Millionen Mal gebaut. Nachdem vor nicht allzu langer Zeit vieles auf ein Ende der Golf-Ära hindeutete, ist man bei VW zur Erkenntnis gelangt, dass eine Beerdigung des Kultgefährts, welches den zwölf Millionen Mal gebauten Käfer längst in den Schatten gestellt hat, womöglich doch keine schlaue Idee wäre. Nun, so der Plan, soll der Golf ab 2028 auf der zukünftigen Einheitsplattform SSP als reines E-Auto weitergeführt werden.
Bis dahin wird er in verschiedenen Derivaten, ebenso wie der Tiguan, der Touran und ab Ende 2024 auch der Tayron in Wolfsburg gefertigt. 2023 verließen rund 480.000 Autos die 1938 fertiggestellte Fabrik. Insgesamt produzierte das Werk seit Gründung mehr als 48 Millionen Fahrzeuge. Das Volkswagen-Stammwerk beschäftigt als größtes zusammenhängendes Automobilwerk der Welt nicht nur rund 70.000 Mitarbeiter, sondern dient gleichzeitig als Unternehmenszentrale und Hauptsitz der Marke Volkswagen Pkw. Von der 6,5 Quadratkilometer großen Gesamtfläche des Werks ist ein großer Teilbereich der technischen Weiterentwicklung in bedeutenden Bereichen wie E-Mobilität, Digitalisierung oder dem autonomen Fahren gewidmet.
Wolfsburg fertigt aktuell kein reines Elektroauto
In der Produktion selbst lief bis März 2023 auch noch der Seat Tarraco vom Band. Anders als dessen planmäßiges Auslaufen verhielt es sich beim ID.3. Der erste Stromer aus dem Hause VW sollte ursprünglich auch nach Wolfsburg wandern. Doch die viel zu geringe Nachfrage nach den Elektroautos zwang die Manager dazu, ihre Pläne einmal mehr zu ändern. Zwar sei der Standort bereit, schnell umzustellen und auch Elektroautos zu bauen, so ein Sprecher. Da die Kapazitäten in Zwickau und Emden aber ohnehin nicht ausgereizt sind, besteht kein Bedarf an einem zusätzlichen Produktionsstandort für den ID.3.
Auch ohne Trinity bleibt Wolfsburg das Zentrum
Wer noch nie selbst im Wolfsburger Werk unterwegs war, kann schlicht nicht nachempfinden, welch gigantische Dimensionen sich am Rande des Mittellandkanals erstrecken. Während in den neusten Gebäuden hunderte von Robotern wie von Zauberhand die Einzelteile verschrauben und verkleben, sind wenige Meter weiter in den ältesten Hallen noch Einschusslöcher aus dem Zweiten Weltkrieg sichtbar. Die Historie ist spürbar. Neben modernsten Mega-Pressen hat der OEM vereinzelt noch alte Maschinen stehengelassen. Tradition spielt bei VW eine große Rolle.
Neben dem Golf möchte Volkswagen auch dem Tiguan zu einer elektrischen Zukunft verhelfen. Ab 2026 soll ein vollelektrisches SUV im volumenstarken A-Segment in hohen Stückzahlen von den Wolfsburger Bändern rollen. Dass es sich dabei mehr oder weniger um eine Art elektrischen Tiguan handeln wird, ist ein offenes Geheimnis. Zwar hat sich VW – anders als vom gleichnamigen Werk – noch nicht komplett vom Trinity-Modell verabschiedet. In Wolfsburg hat es aber zumindest keine Zukunft mehr. Und man wird den Eindruck nicht los, dass sie in Niedersachen darüber nicht gerade unglücklich sind. Denn natürlich wird Wolfsburg auch ohne Trinity das wichtigste Werk des Weltkonzerns bleiben.
Die Gewerke im Wolfsburger VW-Werk
Im Presswerk werden Stahlrollen, die bis zu 30 Tonnen wiegen, in Platinen geschnitten. Anschließend erhalten diese ihre dreidimensionale Form. Die Außenhäute für Seitenteile, Türen, Deckel und Hauben entstehen durch Kaltumformung, während Karosserieteile, die höchste Crashsicherheit bieten, durch Warmumformung hergestellt werden. Im Presswerk werden täglich über 400.000 Karosserieteile mit einer Presskraft von bis zu 8.700 Tonnen geformt.
Der Karosseriebau folgt dem Prinzip des Modularen Querbaukastens (MQB). Diese Baukastenstrategie ermöglicht die Produktion von Fahrzeugen, die vom Kleinwagen bis zum Geländewagen reichen, durch die Verwendung ähnlicher Teile und einen geringeren Aufwand. Ein RFID-Transponder steuert jedes Fahrzeug durch die Produktion, indem er die genaue Ausstattung kennt. Seit dem Golf 7 verwendet VW hochfesten Stahl, um die Karosserien noch stabiler und sicherer zu machen und gleichzeitig das Gewicht zu reduzieren. Im Karosseriebau arbeiten rund 3.100 Roboter, die im Sekundentakt über 600 Teile zu einer Karosserie zusammenfügen, was zu einem Automatisierungsgrad von rund 95 Prozent führt. Die Lackiererei des Werks hat eine Fläche, die etwa 48 Fußballfeldern entspricht. Täglich können hier bis zu 3.800 Karosserien in fünf Schichten lackiert werden, wobei etwa 320 Roboter im Einsatz sind.
In über 230 Schritten und zahlreichen Handgriffen wird die Karosserie schließlich zum Auto. Ein Volkswagen besteht aus mehr als 8.000 Teilen. Ein Viertel der Mitarbeiter in der Produktion arbeitet in der Montage und wird von Robotern und ergonomischen Hilfsmitteln unterstützt. Die Produktion erfolgt im 3-Schicht-System, wobei Taktung und Planung dafür sorgen, dass vom ersten Blechteil bis zum fertigen Fahrzeug alles innerhalb kürzester Zeit abläuft. Das Werk verfügt über ein Straßennetz von etwa 75 Kilometern und ein Schienennetz von etwa 60 Kilometern. Täglich liefern rund 1.000 Lkw und etwa 700 Eisenbahnwaggons Millionen von Einzelteilen.