
Nach einer Befähigung der Lackiererei mit Hilfe von BMW iX1 Karosserien im August 2024, laufen mittlerweile erste Erprobungsfahrzeuge der Neuen Klasse in Ungarn vom Band. (Bild: BMW)
Am ungarischen Standort Debrecen bereitet sich die BMW Group intensiv auf den Produktionsstart der Neuen Klasse vor, der für Ende 2025 geplant ist. Ein Investitionsvolumen von über zwei Milliarden Euro soll dafür sorgen, dass hier auf einer Fläche von mehr als 400 Hektar jährlich rund 150.000 vollelektrische Fahrzeuge entstehen. Zudem sind über 500 neue Arbeitsplätze geplant. „Erste E-Motoren der sechsten Generation lieferte unser Werk in Steyr bereits seit September für intensive Tests an die Zentrale in München. Seit kurzem verschicken wir auch E-Motoren direkt an das BMW Group Werk in Debrecen“, erklärt Klaus von Moltke, Leiter Motorenproduktion und Geschäftsführer des BMW-Werks Steyr.
Kurze Zeit später, im November 2024, begann der Autohersteller mit der Produktion erster Erprobungsfahrzeuge des X-Modells. Diese durchlaufen sämtliche Produktionsschritte. Besonderes Augenmerk liegt dem Autohersteller zufolge auf der Validierung der Fertigungsanlagen und -werkzeuge inklusive derer digitalen Anbindung. „Die Produktion der ersten Erprobungsfahrzeuge in Debrecen ist ein wichtiger Meilenstein für die Inbetriebnahme des neuen Werkes“, sagt BMW-Produktionsvorstand Milan Nedeljković. Mit den nahezu serienreifen Fahrzeugen stehen nun die gesamten Logistik- und Produktionsprozesse unter realen Bedingungen auf dem Prüfstand und werden zum Serienstart laufend optimiert.
Digitale Tools unterstützen Planung in Debrecen
Bereits in der Planungsphase setzte der Automobilhersteller in Debrecen auf digitale Planungstools, um komplette Prozesse in der virtuellen Welt darzustellen und zu simulieren. Eine besondere Rolle kommt dabei der Kooperation mit dem US-Unternehmen Nvidia und der gemeinsam entwickelten Planungssoftware Omniverse zu. Mit Hilfe des Tools soll die Planung nicht nur präziser und schneller vonstattengehen, sondern auch der kollaborative Austausch mit Mitarbeitern, Partnern und Lieferanten beschleunigt werden.
Das im Oktober 2023 eröffnete Ausbildungszentrum war eines der ersten komplett fertiggestellten Gebäude auf dem neuen Werksgelände, das in Betrieb genommen wurde. Das Trainingscenter mit einer Fläche von knapp 6.500 Quadratmetern und einem Investitionsvolumen von knapp 20 Millionen Euro betone die besondere Bedeutung der Aus- und Weiterbildung von hochqualifizierten Mitarbeitenden, so der OEM. „Die Neue Klasse ist unser Zukunftsversprechen, mit ihr machen wir Mobilität menschlicher, intelligenter und verantwortungsvoller. Die Transformation dorthin gestalten wir mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – sie machen bei BMW seit jeher den Unterschied“, verkündete Ilka Horstmeier, Personalvorständin bei BMW, im Rahmen der Eröffnung des Ausbildungszentrums.
Mit einer Kapazität von geplanten 300 Plätzen für Auszubildende im Jahr 2025 ist das Berufsausbildungsprogramm in Debrecen das größte seiner Art in ganz Ungarn. Das in Zusammenarbeit mit dem Trainingscenter angebotene duale Ausbildungsprogramm bietet Studierenden die Möglichkeit, Fähigkeiten zu erwerben, die als Grundlage für eine gesamte Karriere dienen sollen. Es handelt sich dabei um einen dreijährigen Kurs in den Bereichen Mechatronik, Elektronik, Automobilmechatronik sowie IT-Systeme und -Anwendungen.
Lackiererei in Debrecen ist fossilfrei
Als erste Technologie vor Ort wurde bereits im August 2024 die Lackiererei auf einer Grundfläche von 33.000 Quadratmetern und auf drei Stockwerken in Betrieb genommen. Durch den Einsatz verschiedener neuer Verfahren und Systeme ist die Anlage in Debrecen die erste Lackiererei im weltweiten BMW-Produktionsnetzwerk, die komplett ohne den Einsatz von fossilen Energieträgern arbeiten wird. Mit Hilfe des vollautomatisierten Prozesses will der Autobauer 30 Karosserien pro Stunden lackieren und diese Kapazitäten später noch deutlich erweitern. „Trotz aller Technologien, Innovationen und High-Tech – ein Automobilwerk ist nur so gut wie seine Menschen“, betont Nedeljković jedoch.
Wesentliche Voraussetzung für den Betrieb der Lackiererei in Debrecen ohne fossile Energieträger wie Erdgas ist das Power-to-Heat-Prinzip. Dabei werden alle für den Lackiervorgang notwendigen Öfen sowie weitere Prozesse komplett elektrisch betrieben – statt wie bisher üblich mit Erdgas. Der dadurch steigende Stromverbrauch soll wiederum ausschließlich aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt werden. Das Energieeffizienz-Konzept „Heat Grid“ kombiniert mehrere Maßnahmen zur effizienten Energierückgewinnung und erzielt laut BMW eine zusätzliche Energieeinsparung von bis zu zehn Prozent. Das Herzstück des Projekts ist ein großer Multivalent-Speicherkessel, der die Abwärme aus der Druckluftversorgung, den Trocknungsöfen und den Kälteanlagen bündelt. Diese Abwärme wird dann genutzt, um den Wasserkreislauf vorzuheizen.
Bei der Abluftreinigung kommt in Debrecen das eRTO-Verfahren (elektrisch regenerative thermische Oxidation) zum Einsatz, ein Prozess, der die Abluft aus der Lackiererei bei Temperaturen von 800 bis 1.000 Grad Celsius reinigt und dafür – anders als bisher – ausschließlich Elektrizität benötigt. Neben innovativen Technologien soll auch eine umfassende Digitalisierung zur hohen Effizienz der neuen Lackiererei in Debrecen beitragen. So befördern etwa AGV (Automated Guided Vehicles) die Rohkarosserien fahrerlos und vollautomatisiert zu den verschiedenen Arbeitsschritten. Darüber hinaus kommt eine Automatisierte Oberflächeninspektion (AOI) zum Einsatz, die mithilfe von künstlicher Intelligenz Unregelmäßigkeiten nach dem Lackieren erkennt und die Merkmale erfasst, die eine Nachbearbeitung erfordern.
Debrecen als Nachhaltigkeits-Treiber
Diese neuen, nachhaltigen Verfahren in der Lackiererei unterstreichen, dass Debrecen nicht nur technologisch, sondern auch konzeptionell zum Meilenstein für den OEM werden soll. „Mit dem Werk Debrecen setzen wir neue Maßstäbe für hochinnovativen Fahrzeugbau“, kündigte Nedeljković bereits im Rahmen der Grundsteinlegung im Juni 2022 an und verweist damit auf den strategischen Ansatz der BMW iFactory . Hinsichtlich der Nachhaltigkeitsziele für die Neue Klasse zeigt sich der Automobilhersteller ebenso ambitioniert: „Die CO2-Emission pro produziertem Fahrzeug liegt bei null. Damit werden wir beweisen, dass mit entsprechendem Willen und Innovationskraft nachhaltige Automobilproduktion möglich ist“, so der Produktionsvorstand weiter.
Debrecen soll durch den Verzicht auf fossile Energieträger einen spürbaren Beitrag zum Ziel beitragen, die CO2-Emissionen in der Produktion bis 2030 um 80 Prozent zu senken. Die genutzte Energie soll primär durch großflächige Photovoltaiksysteme erzeugt werden. Ein weiteres Standbein des grünen Ansatzes ist der Einsatz von Kreislaufsystemen in der Nutzung von Produktionsmaterialien und Ressourcen. Unter anderem werden Metallverschnitt und Späne, die beim Fräsen und Pressen entstehen, wiederverwendet. Die Abwärme von Kühlsystemen fließt zudem in einen Kreislauf und dient anschließend zum Heizen von Wasser und Räumen.
Werk Debrecen wird durch Batterieproduktion komplettiert
Noch lange bevor an Erprobungsfahrzeuge überhaupt zu denken war, startete BMW am Standort in Debrecen mit dem Bau eines ergänzenden Werkes für Hochvoltbatterien auf dem Gelände des ungarischen Fahrzeugwerks. „Die BMW iFactory steht auch für kurze Wege in der Logistik. Die enge Anbindung der Batteriefertigung an die Fahrzeugproduktion ist Teil unserer Strategie“, erklärt Markus Fallböhmer, Leiter Batterieproduktion bei BMW.
In Debrecen werden demnach die runden Batteriezellen der nächsten Generation in das Hochvoltbatteriegehäuse eingebaut – einen Metallrahmen, der in den Unterboden des Fahrzeugs integriert wird. Der Produktionsstart erfolgt parallel zum Beginn der Fahrzeugproduktion. Künftig sollen alle in Debrecen gebauten Fahrzeuge mit vor Ort montierten Hochvoltbatterien versorgt werden.