Die Automobilindustrie findet so langsam neue Wege, um ihren Fußabdruck im Sinne der Nachhaltigkeit zu verbessern. Doch bislang lag ein großer Fokus auf den sogenannten „internen Komponenten“ wie zum Beispiel Lenkräder oder Türgriffe aus recyclingfähigen Materialien bis hin zur Batterie für E-Autos. Doch abseits der internen Komponenten wird ein wichtiger, aber sehr kohlenstoff-lastiger Produktionsprozess oft übersehen: die Reifenherstellung. Laut der US Tyre Manufacturers Association hat allein die amerikanische Reifenproduktion im Jahr 2017 mehr als 3,5 Millionen Tonnen CO2 freigesetzt – das entspricht ungefähr dem Fußabdruck des Staates Kongo mit seinen 87 Millionen Einwohnern in einem ganzen Jahr.
Und obwohl der wahre Umwelteinfluss erst während der Nutzung folgt – laut der britischen Vertretung der Reifenproduzenten sogar 80 Prozent des gesamten Fußabdrucks -, sind die Auswirkungen der Produktion bereits immens: Drei Milliarden Reifen werden laut der Zeitschrift Science of The Total Environment jährlich produziert, weitere 800 Millionen entsorgt. Oder in anderen Worten: Obwohl die Emissionen pro Reifen relativ niedrig sind, ist ihr Gesamteinfluss aufgrund der schieren Masse enorm.
Nokian baut Null-Emissionen-Werk
Dieser Herausforderung hat sich der finnische Produzent Nokian Tyres verschrieben und hat im rumänischen Oradea eine Produktionsanlage errichtet, deren Emissionen bei Netto-Null liegen sollen. „Unsere rumänische Fabrik ist ein Beleg für unsere Bestrebungen in Sachen Nachhaltigkeit“, erklärt Leena Kaipainen, VP und Group Treasurer bei Nokian. „Sie wird einen neuen Industriestandard begründen, denn es werden ausschließlich erneuerbare Energien verwendet und hochgradig automatisierte, energie-effiziente Prozesse angewandt.“
Um sicherzustellen, dass die Bemühungen um eine nachhaltigere Reifenproduktion tragfähig sind, ist es unerlässlich, den Weg der Rohstoffe durch die automobile Lieferkette verfolgen zu können. Für mehr Transparenz bemühte sich Nokian Tyres um die Zertifizierung ISCC PLUS für das Stammwerk in Finnland. Dies war der Startschuss für die Einführung nachhaltiger Rohstoffe in den eigenen Produktionsprozess. Die ISCC PLUS-Zertifizierung stellt die Nachhaltigkeit und Rückverfolgbarkeit von Rohstoffen sicher. Das Unternehmen plant, diese zertifizierten Materialien zukünftig in ihren Flagschiff-Produkten zu verwenden – ein bedeutender Schritt in Richtung des selbstgesetzten Ziels von 50 Prozent recycelten oder erneuerbaren Rohstoffen im gesamten Produktlebenszyklus bis 2030.
Neben der Rückverfolgbarkeit der Rohstoffe ist die Gummiproduktion ein Knackpunkt bei der Reifenherstellung. Nokians Projekte ziehen in der Automobilindustrie viel Aufmerksamkeit auf sich, doch glücklicherweise sind sie nicht die einzigen, die sich einer nachhaltigen Produktion widmen.
Bridgestone will Recycling-Quote erhöhen
Weitreichende Nachhaltigkeitsziele für Lieferkette und Produktion hat sich auch Bridgestone ins Lastenheft geschrieben. Mit einem eindeutigen Verpflichtung zu nachhaltiger Produktion und Kreislaufwirtschaft arbeitet das japanische Unternehmen darauf hin, die Verwendung recycelter und erneuerbarer Materialien über den gesamten Produktionsprozess hinweg zu erhöhen. Bis 2030 soll der Anteil bei 40 Prozent am gesamten Materialeinsatz betragen.
Die Bemühungen sind breit gefächert: Sie reichen vom Einsatz von Naturkautschuk und aus Biomasse hergestelltem Gummi bis hin zu einem verringerten Treibstoffbedarf durch einen geringeren Rollwiderstand und somit eine höhere Energieeffizienz. Das Unternehmen investiert zusätzlich in neue Produkte, die den eigenen CO2-Fußabdruck reduzieren, und stärkt die Wiederverwendung alter Materialien. Die selbstgesteckten Ziele von 37 Prozent übertraf Bridgestone bereits 2023, als recycelte und erneuerbare Ressourcen bereits 39,6 Prozent des Ressourceneinsatzes über die gesamte Produktion hinweg ausmachten. Im Mai desselben Jahres führte man das Reifenmodell Turanza EV ein, einen Reifen für E-Autos, der bereits zu einem hohen Anteil aus erneuerbaren und recycelten Rohstoffen besteht. Unter anderem sind dies 20 Prozent Naturkautschuk, 18 Prozent recycelter, synthetischer Gummi und recycelter Ruß.
Um die Verwendung nachhaltiger Materialien sicherzustellen, entschied sich auch Bridgestone für die ISCC-Zertifizierung, nutzte den Ansatz der Massenbilanzierung und führte drei ISCC-zertifizierte Materialien ein: zirkulären Butadien-Kautschuk, Styrol-Butadien-Kautschuk sowie Ruß. Anfang dieses Jahres feierte das Modell Regno GR XIII der Japaner auf dem Heimatmarkt seine Markteinführung. Bei diesem Reifen kam ebenfalls Naturkautschuk mittels Massenbilanzierung zum Einsatz, der seinen Fußabdruck in der Produktion weiter verringerte und im Rahmen der Kreislaufwirtschaft verwendet werden kann.
Löwenzahn und grüner Dampf bei Conti
Währenddessen setzt Continental auf alternative Rohstoffe und Kreislaufwirtschaft. Bei ihrem Vorzeigeprojekt Taraxagum kommt erstmals ein aus Löwenzahn gewonnener Kautschuk zum Einsatz und ersetzt den aus den traditionellen Gummibäumen. Löwenzahn wächst auch unter härteren klimatischen Bedingungen, benötigt weniger Wasser und verursacht weniger Transportkosten. So sinkt die ökologische Belastung im Vergleich zur herkömmlichen Gummigewinnung.
Zudem strebt das hannoversche Unternehmen die Vorrangstellung in Sachen Kreislaufwirtschaft an. Man entwickelte innovative Prozesse, um qualitativ hochwertiges Gummi aus gebrauchten Reifen zu gewinnen und nutzbar zu machen, sodass es in der Produktion neuer Reifen verwendet werden kann. Zeitgleich arbeitet der Reifenhersteller an der Reduzierung des Energieverbrauchs in seinen Fabriken und fokussiert sich auf erneuerbare Energiequellen, um den eigenen ökologischen Fußabdruck zu verbessern.
Und auch wenn der Zulieferer noch nicht bei Netto-Null – wie im Nokian-Fall – angekommen ist, erreichte Continental in seinem Werk im portugiesischen Lousado dennoch einen wichtigen Meilenstein: Hier ist der gesamte Produktionsprozess bereits CO2-neutral. Die dortige Fabrik hat eine Produktionskapazität von 18 Millionen Reifen pro Jahr. Das Ziel: Die CO2-neutrale Produktion in allen Werken bis zum Jahr 2040. In Lousado wurde dieses Ziel durch einen innovativen elektrischen Dampfkessel erreicht, der Dampf statt aus Gas aus erneuerbarer Energie mit minimalem Energieverlust erzeugt. Bei dieser Technologie wird Wasser durch den Kessel gepumpt und auf Elektroden gesprüht, wo elektrischer Strom Wärme erzeugt, um das Wasser zu Dampf zu verdampfen. Um einen stabilen und zuverlässigen Betrieb zu gewährleisten, verfügt die Anlage in Lousado über einen konventionellen Gaskessel als Reserve. Dank dieser Flexibilität kann Continental die Produktion an Schwankungen bei der Verfügbarkeit erneuerbarer Energien und anderen Umweltfaktoren anpassen.
Durch die Nutzung einer Kombination aus selbsterzeugter Solarenergie und erneuerbarem Strom aus dem Netz ist es Continental gelungen, Erdgas als primäre Energiequelle für die Dampferzeugung in Reifenwerken zu ersetzen. Dampf ist entscheidend für den Vulkanisierungsprozess, bei dem Rohgummi in das flexible und elastische Material für Reifen umgewandelt wird. „Wir bereiten alle unsere Werke so vor, dass sie so viel erneuerbare Energie wie möglich nutzen können. Die Inbetriebnahme unseres Elektrodampfkessels in Lousado ist der Beginn einer spannenden Lernkurve“, sagt Bernhard Trilken, Leiter des Bereichs Produktion und Logistik bei Continental Tires.
Neben der CO2-neutralen Produktion hat das Werk Lousado eine branchenweit führende Energieeffizienz erreicht. Die Reifendivision von Continental hat ihren jährlichen Energiebedarf allein im Jahr 2023 um rund 150 Gigawattstunden gesenkt, was dem durchschnittlichen jährlichen Strombedarf von 12.500 Einfamilienhäusern entspricht. Diese Senkung wurde durch verschiedene Energiesparmaßnahmen, wie zum Beispiel Wärmedämmung, erreicht.
Das Engagement von Continental für Nachhaltigkeit geht über seine Produktionsprozesse hinaus. Das Unternehmen arbeitet auch aktiv daran, seinen CO2-Fußabdruck während des gesamten Produktlebenszyklus zu verringern. Der UltraContact NXT, ein in Lousado produzierter Serienreifen, ist ein Beispiel für die Bemühungen von Continental, nachhaltigere Produkte zu entwickeln.
Dieser Artikel ist im englischen Original bei unserem Schwestermagazin automotive manufacturing solutions (ams) erschienen.