Es musste ja so kommen: Schon beim Blick auf das vergangene Jahr gab es neben Licht auch erste Schatten für die heimischen Hersteller von Werkzeugmaschinen. Stichworte: Handelskrieg USA-China, Brexit, abkühlende Weltkonjunktur und Strukturwandel in der Automobilindustrie. Der coronabedingte Lockdown in vielen Industriestaaten verstärkte den Negativtrend. „Nach guten Vorjahren kommt die kräftige Abkühlung mit einem Auftragsminus von 22 Prozent“, konstatiert der Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken (VDW) im Juni dieses Jahres.
Im zweiten Quartal 2020 sank der Auftragseingang der deutschen Werkzeugmaschinenindustrie laut VDW im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 46 Prozent. Das Thema Elektromobilität verlagert zudem Investitionsbudgets der Automobilindustrie stark in Richtung des elektrifizierten Antriebs. Keine Frage: „Wir sehen Volumenverluste für Werkzeugmaschinen, die im Bereich des konventionellen Powertrains Anwendung finden“, heißt es im aktuellen VDW-Jahresbericht 2019.
DMG Mori war vor sechs Jahren ein Pionier
Die Werkzeugmaschinenindustrie wäre schlecht beraten, das Themenfeld zu ignorieren, und sie wird fündig bei den Erfolgsrezepten, die sich aus Digitalisierung und Vernetzung ergeben: Vorbilder fürs Drehen, Fräsen, Schleifen oder Zerspanen sind automatisierte Hightech-Maschinen mit fortschrittlichen Shopfloor-Technologien für die integrierte und flexible Fertigung. Beispielsweise gehört der Datenaustausch zwischen mehreren Werkzeugmaschinen über standardisierte Schnittstellen bereits zum Repertoire einiger Maschinenbauer.
Auch das App-basierte Bedien- und Steuerungssystem für Maschinen findet sich immer häufiger auf den Displays in den Fertigungshallen. Das deutsch-japanische Unternehmen DMG Mori hat das erstmals vor sechs Jahren ausprobiert und die von Smartphones bekannten Miniprogramme auf dem Steuerungsbildschirm einer Werkzeugmaschine eingesetzt. Inzwischen haben Softwarespezialisten des Herstellers die Apps zu einer sogenannten Celos-Plattform weiterentwickelt, die für jeden Anwendungsfall die richtigen Programmschritte zur Verfügung stellt und bereits in mehr als 20.000 Maschinen des Herstellers zum Einsatz kommen.
Dreh-Schleif-Maschine für den Getriebebau
Der Maschinenbauer EMAG, mit festem Standbein im Getriebe- und Motorenbau, stattet seine Schleif- und Drehmaschinen mit der hauseigenen Pick-up-Automatisierung aus. „Die Digitalisierung von Werkzeugmaschinen verspricht eine grundlegende Produktivitätssteigerung“, bestätigt Roman Klement, Leiter Entwicklung Steuerungstechnik bei EMAG. Schon seit einigen Jahren steht bei dem Hersteller eine neue Maschinenkonstruktion im Fokus, die den Einsatz von verschiedenen Fertigungstechnologien für die Weich- und Hartbearbeitung sowie eine vollständige Automation vorantreibt.
Jüngstes Beispiel ist eine kombinierte Dreh-Schleif-Maschine für den Getriebebau, die speziell für die Anforderungen im elektrisch angetriebenen Fahrzeug ausgelegt ist. Das Multitalent beherrscht mehrere Disziplinen, die bei der Bearbeitung von Getrieberädern wichtig sind, wie das Hartdrehen der Planflächen, das Vordrehen der Bohrung und des äußeren Synchronkegels bis zum Fertigschleifen dieser Konturen.
Steigerung der Fertigungsgeschwindigkeit
Multitechnologie-Maschinen mit mehreren Spindeln sind numerisch gesteuerte Alleskönner mit großem Bearbeitungs- und Bauteilspektrum sowie Taktzeiten im Minuten- und Sekundenbereich, seit Kurzem ergänzt um ein integriertes Automationshandling. Während bislang Mitarbeiter Rohteile aus dem Werkstückbehälter auf das Bearbeitungsband der Dreh- und Schleifmaschine legen mussten, übernimmt ab sofort Kollege Roboter die stupide, aber wichtige Arbeit.
Die maschineninterne Pick-up-Spindel erhält das Werkstück pass- und positionsgenau für die weitere Bearbeitung zugeführt. EMAG hat für die richtige Bandbeladung eigens eine Bin-Picking-Zelle entwickelt, die mithilfe eines 3D-Kamerasystems die Positionen der Rohteile im Werkstückcontainer in Echtzeit bestimmt. Diese Daten werden genutzt, um einen Roboterarm zu steuern, der sich die einzelnen Bauteile Stück für Stück aus dem Container pickt („bin picking“) und anschließend in der richtigen Position auf dem Zuführband der Dreh- und Schleifmaschine ablegt. Vorteil: Die Fertigungsgeschwindigkeit steigt um durchschnittlich 15 Prozent.
Messsysteme an allen Achsen
Die Königsklasse unter den leistungsstarken Bearbeitungsmaschinen sind die 5-Achs-Vertikalfräsmaschinen. Das österreichische Unternehmen EMCO hat zusammen mit Tochterwerken in Italien seine Umill-Serie für die 5-Achsen-Simultanbearbeitung erweitert. Auch in diesem Fall geht es um Bestmarken bei akzeptablem Preis-Leistungs-Verhältnis im entscheidenden Benchmark von Performance und Effizienz. Das gute Stück ist laut Hersteller mit modernster Steuerungstechnik und smarten Strukturlösungen ausgestattet.
Man habe für den Maschinenaufbau, so ist zu hören, Bauteile aus Gusseisen und geschweißtem Stahl kombiniert, um dem Fräser auch bei größeren Werkstücken die bestmögliche Stabilität und thermische Symmetrie zu verleihen, die ein hochpräzises Fräsen erlauben. An allen Achsen befinden sich Messsysteme, die sofort Alarm schlagen, falls ein Bearbeitungsschritt aus dem Ruder gerät – bei einem maximalen Eigengewicht der Werkstücke von bis zu 400 Kilogramm keine schlechte Lösung.
Herstellerunabhängiger Kommunikationsstandard
Konnektivität ist die Voraussetzung für vernetzte Bearbeitungsmaschinen – wichtig für die Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten (Predictive Maintenance) sowie das Monitoring der Prozessabläufe und fehlerfrei aufeinander abgestimmter Produktionsschritte. Das hält Einzug im Maschinen- und Anlagenbau unter der Schirmherrschaft der Open Platform Communications Unified Architecture, kurz: OPC UA. Wilfried Schäfer, Geschäftsführer im Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken: „Das ist eine Basistechnologie, die zu einem gemeinsamen Ökosystem mit Plug-and-Play-Lösungen für Werkzeugmaschinen und andere Fertigungssysteme führt.“
Zusammen mit dem VDMA (Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau) arbeiten von den Verbänden organisierte Maschinenbauspezialisten in mehr als 30 Gruppierungen an den technologiespezifischen Schnittstellen – sogenannte Companion Specifications – des herstellerunabhängigen Kommunikationsstandards. Das Ziel: eine generelle Produktionsoptimierung.