Hätte es den Elchtest mit der kipplabilen Mercedes A-Klasse nicht gegeben - wahrscheinlich hätte sich das elektronische Stabilitätsprogramm (ESP) auf dem Automobilmarkt deutlich schwerer getan. Dabei waren die deutschen Autofahrer hierbei nicht nur im europäischen Vergleich die Ausnahme. In Ländern wie Spanien, Italien, England oder den Niederlanden fand das ESP bei den Autofahrern Ende der 90er und Anfang der 2000er Jahre deutlich zögerlicher Interesse. Noch schlimmer in den USA oder Asien - hier sind viele Fahrzeuge erst seit einigen Jahren mit dem lebensrettenden Schleuderverhinderer zu bekommen.

Wieder einmal war es Mercedes, der das ESP im Jahre 1995 beim Luxus-Coupé (Baureihe C 140) der Mercedes S-Klasse als erster auf den Markt brachte. Der Siegeszug des ESP ist seither ungebrochen. Brauchten ähnliche Innovationen wie Airbags oder ABS viele Jahre, hat sich das elektronische Stabilitätsprogramm schnell etabliert. Innerhalb weniger Jahre waren selbst Fahrzeuge aus den unteren Segmenten zumindest gegen einen Aufpreis mit ESP zu bekommen. Sind es oft langjährige Entwicklungen in kleineren oder größeren Teams, die eine technische Innovation nach sich ziehen, war dies beim ESP anders. Hinter der Idee steht ein einzelner Kopf mit Namen Anton van Zanten. Der 1940 in Indonesien geborene Niederländer kam über spannende Stationen in den Niederlanden, Deutschland, Iran und die USA schließlich zu Autozulieferer Bosch, wo er in der Entwicklung von Anti-Blockier-Systemen für Lastwagen arbeitete.

"Wir waren damals bei Bosch die einzigen, die an einem solchen System gearbeitet haben", blickt der 78jährige Wahl-Schwabe heute zurück, "als wir ESP Anfang der 90er Jahre als Fahr-Dynamik-Regelung FDR entwickelt hatten, sind wir vier Jahre durch die Welt gezogen. Niemand wollte das System haben. Wir waren bei allen Autoherstellern und alle haben nur den Kopf geschüttelt. Der einzige, der an einem ähnlichen System arbeitete, war seinerzeit Toyota. Als die Japaner hörten, dass wir von Bosch so weit sind, sollten wir unbedingt eine Woche nach Japan kommen und es dort vorstellen." Schließlich sprang Mercedes auf den Sicherheitszug auf, erkannte Potenzial und Wichtigkeit der technischen Symbiose von ABS, ASR und ASD und brachte das neue Sicherheitssystem - zunächst eben nur im Luxuscoupé der C-140-Reihe. "Danach waren dann die S-Klasse Limousine und dann die C-Klasse dran", sagt van Zanten, "ich wollte das Autofahren damals sicherer machen und unabhängig vom Fahrer einen sicheren Fahrzustand herbeiführen."

Seitenaufprall verhindern

Auch im damaligen DaimlerChrysler-Konzern hätte kaum jemand gedacht, dass der Schleuderverhinderer ESP schon bald einen Siegeszug beginnen würde. Als die Mercedes A-Klasse beim so genannten Elchtest kippte, brachten die Stuttgarter das Sicherheitssystem nicht nur in den kleinsten Stern, sondern rollten es schneller als geplant im gesamten Portfolio aus. Das sah bei der Konkurrenz nicht anders aus. "Erst ist Audi zu Bosch gekommen, die es noch in den damals neuen A8 bringen wollten", blickt van Zanten zurück, "und bei BMW hatte man uns erst nur belächelt. Als die dann hörten, dass Mercedes es will, wollten sie auf einmal auch. Dabei hatten wir bei Bosch das System die ganze Zeit mit einem Mercedes W 123 und einem 5er BMW vorgeführt, weil der damals fahrdynamisch das Maß der Dinge war." Von 1977 bis 2003 arbeitete der gebürtige Indonesier bei Bosch. Seinem ESP hat er die Treue gehalten. "Ich fahre noch immer eine Mercedes A-Klasse aus dem Jahre 2006", lächelt der 78jährige, "die gefällt meiner Frau so gut und wegen ihr bin ich schließlich nach Schwaben gekommen. Sie mag die hohe Sitzposition. Wenn ich jünger wäre, fände ich einen BMW Z3 oder Z4 klasse; aber jetzt bin ich dafür ohnehin zu alt."

Die Ergebnisse des elektronischen Stabilitätsprogramms, dem erst Mercedes seinen unhandlichen, aber ins Englische übersetzbaren Namen gab, sprechen für sich. Seit dem serienmäßigen Einbau von ESP in allen Mercedes-Modellen hat die sich Zahl der Fahrunfälle um mehr als ein Viertel reduziert. Toyota geht noch weiter und nimmt nach der Untersuchung von einer Million Unfällen mit Personenschaden an, dass der Einsatz von ESP die Anzahl der schweren Fahrunfälle um rund die Hälfte reduzieren könnte. Schlagkräftige Argumente für ein Sicherheitssystem. ESP sorgt kurz gesagt dafür, dass das Auto in einem sicheren Fahrzustand bleibt und nicht ins Schleudern gerät. Sensoren (von ABS und ASR/ASC/ASD) an den einzelnen Rädern messen die Drehzahl der einzelnen Räder. Ein in der Mitte des Fahrzeugs untergebrachter Sensor prüft, ob sich das Fahrzeug um die eigene Achse dreht (Giermoment) und so aus der Bahn geraten könnte. Weitere Sensoren sitzen am Motor und in der Lenkung. Hilfreich greift dem Fahrer das ESP zum Beispiel unter die Arme, wenn plötzlich ein Kind auf die Straße springt und ein hartes Ausweichmanöver nötig ist. ESP sorgt dafür, dass der Wagen auch in Grenzsituationen in der Spur bleibt und das Heck nicht unkontrolliert ausbricht (übersteuern). Bei Fahrzeugen mit einem hohen Schwerpunkt wie Geländewagen, SUVs oder Minivans verhindert das ESP zudem den Überschlag des Autos.

Sicherer Fahrzustand

Ähnlich die Wirkung, wenn ein Auto zu schnell in die Kurve in die Kurve fährt. Ohne ESP würde das Fahrzeug gegebenenfalls durch die Leitplanken brechen und abseits der Straße landen. ESP erkennt die gefährliche Fahrsituation, bremst einzelne Räder automatisch ab und verhindert zudem, dass der Fahrer weiter Gas geben kann. Besonders das Abbremsen des hinteren kurveninneren Rades sorgt dafür, dass das Auto sicher durch die Kurve kommt. ESP verhindert bei solchen Kurvenfahrten zu hohe Längskräfte, indem das Rad angebremst oder beschleunigt wird. Durch die integrierte Anti-Schlupf-Regelung werden selbst bei normaler Geradeausfahrt bei Bedarf die Längskräfte so eingeschränkt, dass die Räder weder blockieren noch durchdrehen können. So bleibt die Lenkfähigkeit selbst in Extremsituationen erhalten.

Entwickelt wurde ESP ursprünglich aus einem anderen Grund. Bricht ein Fahrzeug aus, schlägt es meist mit der Flanke gegen ein Hindernis. Jedoch sind die Seiten des Fahrzeugs trotz mittlerweile etablierter Seitenairbagsysteme wesentlich schlechter gesichert als Front oder Heck. Wenn ein Unfall nicht mehr zu verhindern ist, sollte ESP dazu dienen, den Aufprall in Richtung Front zu verschieben. Der Eingriff in die Fahrzeugelektronik geschieht innerhalb von wenigen Millisekunden. Das Fahrzeug bremst über den Bremskraftverstärker das Auto ab, auch wenn der Fahrer das Pedal gar nicht oder nur zu schwach tritt. Hier greift der Bremsassistent ein, der in Sekundenbruchteilen den vollen Bremsdruck aufbaut und so eine maximale Verzögerung ermöglicht. Die Grenzen der Fahrphysik lassen sich auch das elektronische Stabilitätsprogramm nicht außer Kraft setzen. Wer deutlich zu schnell in die Kurve fährt, wird auch mit ESP im Graben landen. Besonders auf glatten Fahrbahnen kommt das ESP schnell an seine Grenzen. Ausschalten sollte man das System im Straßenverkehr nie. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn man sich im Schnee oder auf Eis festgefahren hat oder Schneeketten anlegen möchte. Mit ESP ist ein Freiruckeln des Fahrzeugs kaum möglich.

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