Claas Stroh und Pascal Nagel beim APS 2021

Pascal Nagel und Claas Alexander Stroh führen durch den automotive production summit 2021.

Einen Abriss über das Ausmaß der Herausforderungen, denen sich die Autobranche derzeit ausgesetzt sieht, gibt unter anderem IHS-Analyst Henner Lehne. Die Branche müsse sich vor allem mit dem Wandel zur Elektromobilität und mehr Nachhaltigkeit befassen, aber auch mit der Corona- und Materialkrise auseinandersetzen. Für das Jahr 2030 rechne man bei IHS mit einem Anteil von rund 50 Prozent an elektrischen Neuwagenverkäufen, für das Jahr 2025 mit 22,5 Prozent. Neben ersten Ländern, die das Verbot des Verbrennungsmotors gesetzlich verankern, werde es auf dem Weg zur Emissionssenkung auch „De-facto-Verbote“ geben, etwa Einfuhrverbote in bestimmte Regionen wie Innenstädte oder eine höhere Besteuerung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor.

Neben dem Druck, der durch die Elektromobilität zunehmend bei Herstellern und Zulieferern ankommt, stehen diese jedoch auch vor dem Problem der Halbleiterkrise sowie dem Mangel an anderen notwendigen Materialien. Neben der Senkung der globalen Fertigung habe die Entwicklung eine weitere Dimension: Durch das plötzliche Auftreten sowohl von Corona als auch des Halbleitermangels sei es für die Unternehmen unmöglich gewesen, die Nutzung und den Aufbau eigener Kapazitäten vor und während der Krise akkurat zu planen.

E-Mobilität muss als Chance zur Modernisierung begriffen werden

Über die Transformation der eigenen Produktion in Richtung elektrischer Modelle spricht auch Rene Wolf, Geschäftsführung, Ressort Fertigung bei der Ford-Werke GmbH. Aktuell verwandelt der Autohersteller das Kölner Fiesta-Werk in das Cologne Electrification Center, welches künftig als Blaupause für andere Standorte dienen soll. Dabei liegt der Fokus auf einer umfassenden Modernisierung aller Systeme. „Wir nutzen diese Transformation auch, um die ‚Factory of tomorrow‘ zu erstellen“, erklärt Wolf. Ein besonderes Augenmerk liege dabei auf neuen Technologien aus dem Bereich Industrie 4.0 sowie Konzepten der Lean Production.

Unter anderem setze man in diesem Zusammenhang gerade eine starke Digitalisierung von Informationen um, die bislang meist in gedruckter Form vorliegen. „Wenn heute jemand nicht weiß, wie er ein Gericht kochen soll, schaut er bei YouTube nach“, so Wolf. Eine ähnliche User Experience strebe man auch bei Fachinformationen für die eigenen Mitarbeiter an. Ebenfalls nehme man eine Neuausrichtung bei den benötigten Qualifikationen der Belegschaft vor: Man brauche in Zukunft weniger Werkzeugmacher oder Fertigungsmechaniker, während die Nachfrage nach hochqualifizierten Mitarbeitern, etwa im Bereich Software oder Maschinenbau, steigen werde. Neben der Beschäftigung von rund 130 Auszubildenden pro Jahr setze man hierfür auf Weiterbildungsprogramme für bestehende Mitarbeiter, deren ursprüngliche Berufsbilder weniger gefragt werden.

Lean, green und digital

Peter Weber, BMW
Peter Weber spricht über die Strategie BMWs.

Peter Weber, Leiter des BMW-Werks in München stellt derweil die Maßnahmen des Autobauers vor, um die Produktion „lean, green und digital“ zu gestalten und somit dem eigenen Anspruch einer flexiblen, effektiven und nachhaltigen Produktion gerecht zu werden. In mehreren Phasen habe man die System- und Prozessintegration der elektrischen Modelle in vorhandene Produktionslinien umgesetzt. Ab 2025 soll mit der Neuen Klasse das „größte Unternehmensprojekt der letzten Jahrzehnte“ starten und einen kompromisslosen Fokus auf Elektrifizierung legen, so Weber. Zudem treibe man neben der Qualifizierung der Belegschaft in Richtung neuer Antriebe auch die Ausgliederung der Motorenproduktion von Verbrennern an andere Unternehmensstandorte voran. Außerdem stehen weitere Baumaßnahmen am Werk München im Fokus: Im Anschluss an die letzte Produktion im Motorenwerk werde man dieses abreißen und neue Montagehallen für E-Fahrzeuge aufbauen, erklärt Weber.

Die Herausforderungen, die sich aktuell für die Produktion von Audi ergeben sowie die entsprechenden Lösungsansätze, erläutert hingegen Andreas Lehe, Leiter Strategic Planing beim Ingolstädter Hersteller. Den veränderten Bedingungen durch neue Wettbewerber und Kundenwünsche sowie schärfere Regularien begegne man mit Verbesserungen in den Bereichen Effizienz, Nachhaltigkeit, Smart Production, Kollaboration und Simplicity.

Im Fokus steht unter anderem das Ziel, 2025 das letzte Modell mit Verbrennungsmotor in die Produktion zu nehmen und 2033 komplett auf elektrifizierte Antriebe umzustellen. Um die digitale Transformation des eigenen Unternehmensbereichs voranzutreiben, setze man auf ein engmaschiges Partnernetz mit anderen Unternehmen oder wissenschaftlichen Institutionen. Konkrete Use Cases auf dem Weg zur Industrie 4.0 betreffen unter anderem die Fahrzeuglokalisierung, die Mensch-Roboter-Kollaboration und die intelligente Fabriksteuerung.

Die Nachhaltigkeitsaktivitäten Audis bündelt der Hersteller in der Mission: Zero, die neben der Dekarbonisierung auch die effizientere Ressourcennutzung sowie geschlossene Kreislaufsysteme umfasst. Unter anderem möchte man beim Hersteller Abwässer soweit wie möglich aufbereiten und erneut dem Produktionskreislauf zuführen.

Nachhaltigkeit und Innovation muss ganzheitlich gedacht werden

Innerhalb der eigenen Arbeit werde man derzeit von der Elektrifizierung und der digitalen Transformation geprägt, erklärt auch Roberto Henkel, Senior Vice President Digitalization & Operations IT bei Schaeffler. „Mit der Innovation im Produkt muss auch immer die Innovation in der Fertigung sichergestellt werden“, so Henkel. Konkret bedeute dies etwa agile Anläufe oder modulare sowie autonome Fertigungssysteme, die flexibler auf Anforderungen reagieren können als bisher. Gleichzeitig gelte es auch innerhalb der vierten industriellen Revolution, die Effizienz der Fertigung weiter zu steigern – sowohl hinsichtlich der genutzten Ressourcen, aber auch der entsprechenden Abläufe. Vor allem vor dem Hintergrund der Ressourceneffizienz, aber auch hinsichtlich der Nachhaltigkeitsbestrebungen der Branche sowie dem Resilienzgedanken gelte es, so Henkel weiter, die Supply Chains optimal zu managen und gemeinsame Lösungen mit Zulieferern aufzubauen.

Gehört die Zukunft der Microfactory?

Günther Schuh
Günther Schuh spricht zum Thema Microfactories.

Einen Schritt weiter in Richtung Zukunft blickt hingegen Günther Schuh, Inhaber des Lehrstuhls für Produktionssystematik an der RWTH Aachen, der in seinem Vortrag das Thema der Microfactory in Kontext des Elektro-OEMs E.Go aufgreift. Die These Schuhs: Das goldene Zeitalter des Blockbuster-Fahrzeugs ebbt zunehmend zu Gunsten individuellerer, flexiblerer, lokal orientierter und dezentralerer Anbieter ab. Statt auf langlebige Fahrzeugarchitekturen zu setzen, habe man daher bei e.Go den Ansatz einer möglichst hohen Änderungsflexibilität gewählt und setze statt einer globalen Supply Chain eher auf ein dezentrales Netzwerk.

Durch eine eher produktionsortientierte Denkweise sei zudem eine neue Fahrzeugarchitektur entstanden: Auf einem Aluminiumrahmen werden direkt thermogeformte Außenteile montiert, was eine schnelle Veränderung des Fahrzeugdesigns ermögliche, so Schuh. Durch die geringe Automatisierung in der Microfactory sei zudem auch in der Endmontage eine hohe Flexibilität erreichbar. Mit Hilfe dieses Produktionskonzeptes ermögliche man es unter anderem, flexibel und schnell Konzepte am Markt zu erproben, ohne hochskalierte Gewerke aufzubauen. Ein weiterer Vorteil sei die Möglichkeit, neue Microfactories als Kopie bestehender Werke neu aufzubauen und so eine Vereinheitlichung des Produktionsnetzwerkes frühestmöglich umzusetzen.

Skalierbarkeit im Fokus

Die Skalierbarkeit von Industrie 4.0-Systemen vertiefen darüber hinaus Steffen Cords und Walter Heibey von MHP im Rahmen ihres Vortrages. Vor allem im B2B-Bereich sowie im europäischen Umfeld sei die Fragmentierung der Märkte sowie der genutzten Systeme ein immenses Problem. „Die Umsetzung der Industrie 4.0 scheitert häufig an der Breite und Masse“, erklärt Walter Heibey. Entsprechende System müssten sich nun in der Skalierbarkeit beweisen. Um den Weg dorthin erfolgreich zu bewältigen, schlagen die MHP-Experten mehrere Schritte vor: Unter anderem seien Leuchtturmwerke im Produktionsverbund ein sinnvoller Schritt, sofern auch Mitarbeiter aus anderen Standorten am Prozess partizipieren können. Um die unterschiedlichen Anforderungen verschiedener Business Units, Standorte oder Mitarbeitergruppen optimal aufgreifen zu können, benötige man als Unternehmen zudem dezidierte Rollout-Teams, die entsprechende Anforderungen in der konkreten Umsetzung berücksichtigen können.

Ebenfalls essenziell sei eine Lösung, um die Vielzahl an vorhandenen Datenquellen und deren jeweiliger Semantik zu vereinheitlichen, sodass die Potenziale einer Cloud-Anbindung realisiert werden können. Eine mögliche Lösung sei die semantische Entkopplung verschiedener Ebenen über einen Digital Twin. Um die Heterogenität der einzelnen Werke abzuschwächen, könne es in diesem Zusammenhang sinnvoll sein, auf Federated Learning-Systeme zu setzen, die durch kontinuierlichen Dateninput optimiert werden.

Über die Möglichkeiten, die Künstliche Intelligenz als Beschleuniger für die Supply Chain und Logistik eröffnen kann, sprechen auch Matthias Bach und Angelika Schmid von IBM. Die Technologie könne etwa bei der Automatisierung in der Beschaffung helfen oder per Computer Vision die Produktionsabläufe verbessern. Gleichzeitig sei die Technologie keine Wunderwaffe, betont Schmid. Oftmals wären die Erwartungen an die Technologie entweder zu hoch oder auch zu niedrig, während Anwender häufig den Aufwand einer sinnvollen Implementation und die notwendige Arbeit in den Fachabteilungen unterschätzen.

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