Es ist nicht so, dass der Audi RS6 im Serientrimm mit einem ausgeprägten Leistungsdefizit zu kämpfen hätte. 412 kW / 560 PS sorgen dank des doppelt aufgeladenen V8-Vierliter-Motors für einen sicheren Platz auf der linken Spur der Autobahn und wer will, hat in dem Powerkombi sogar noch die ganze Familie dabei. Wem 560 PS zu blass und 305 km/h Höchstgeschwindigkeit im Serien-RS6 zu blass sind, schaut gerne bei Edeltuner Abt in Kempten vorbei. Die Allgäuer pressen aus dem Kraftkombi und seinem Vierliter-Verbrenner bis zu 537 kW / 730 PS heraus und machen ihn weit über 300 km/h schnell. Doch es geht noch einiges mehr, denn jetzt haben die Abt-Entwickler einem Einzelstück einen Elektroboost eingehaucht, der dem Super-Pursuit-Mode von Michael Knights K.I.T.T. aus der US-Fernsehserie Knight Rider aus den 80er Jahren in kaum etwas nachsteht.
Dabei sorgt der Audi RS6-E bereits mit seiner auffälligen Kriegsbemalung für jede Menge Aufsehen. Der grau-silberne Lack ist mit dunkelgrauem-grünen Streifenzierrat überzogen und der fette 21-Zoll-Radsatz trägt einen Aerodynamikring, wie man ihn aus der Formel-E kennt. Innen ist das edle RS6-Interieur mit grünen Applikationen verziert, sodass es auch der letzte verstanden hat, dass neben dem potenten V8-Verbrenner auch ein Elektromotor seinen Dienst verrichtet.
"Der Elektromotor ist zwischen Achtstufenautomatik und Kardanwelle verbaut", erklärt Abt-Technikkopf Rolf Michl, der das Mehrgewicht für den elektrischen Energiestoß mit rund 250 Kilogramm beziffert, "er leistet 213 kW / 288 PS und 317 Nm maximales Drehmoment, die per Boost zur Verfügung stehen." Erzählen kann man viel und so steht die Probe aufs Exempel an. Da die Straßenzulassung für den Prototypen fehlt, wurde die Teststrecke ideal gewählt. Eine schnurgerade Piste direkt neben dem Flughafen Memmingen. Dort, wo sonst gerade einmal eine Handvoll Ferienflieger ihren Weg nach Süden findet, wird heute im Fahrersitz des Abt Audi RS6-E gedüst - auf Knopfdruck. Denn der Boost steht erst oberhalb von 100 km/h für einen Zwischenspurt zur Verfügung. Ähnlich war es auch beim düsterschwarzen KITT 2000 von Michael Knight.
Boost ab Tempo 100
Ein Druck auf den Starterknopf und der V8 brabbelt willig vor sich hin. Nicht zu überhören ist der Elektromotor zwischen den beiden Vordersitzen, dessen akustische Rotation wie ein Düsentriebwerk anmutet. Die Piste ist gerade einmal 1,1 Kilometer lang - so heißt es schnell sein - auf Gas und Bremse. Mit Vollgas auf Tempo 100 und dann den grünen Boost-Knopf am griffigen Lenkrad gedrückt. Der Elektroschub wirkt dank einer Gesamtleistung von 1018 PS und 1.291 Nm maximalem Drehmoment wie ein Vitamintritt in den Rücken und spätestens jetzt ist man die Rolle des Knight Riders eingetaucht. Dann voll in die Bremse, denn die Strecke ist für ein längeres Vollgasstück leider zu kurz. Zurück das gleiche Spiel - nochmals und nochmals.
Das mächtige Leergewicht von mehr als 2,2 Tonnen ist dem Abt-Koloss nur kurz anzumerken und spätestens beim erneuten Druck auf den grünen Taster fühlt man sich wieder wie der Flugkapitän des Jets, der gerade ein paar hundert Meter weiter Richtung Palma de Mallorca abgehoben hat. Die Beschleunigungswerte des Abt Audi RS6-E liegen auf dem Niveau eines Supersportwagens - insbesondere oberhalb von Tempo 100. Wenn sich der Elektroboost zu- und der Kopf des Fahrers zumindest für Sekundenbruchteile abschaltet, ist das Durchbrechen der 100er-Marke nach 3,5 Sekunden nur ein kurzes Intermezzo. Denn die 200er-Marke knackt der bunt beklebte Kombi in weniger als 9,5 Sekunden. Das sind zwei Sekunden weniger als das 730-PS-Monster ohne Elektro-Boost. Abgeregelt wird wegen der Reifen jedoch ebenfalls bei knapp über 320 km/h.
"Wir können 15 bis 20 Mal boosten", erklärt Abt-Mann Michl, "wie oft genau, hängt von der Stärke der Rekuperation ab. Das gekühlte Akkupaket stammt von Kreisel aus Österreich und hat eine Kapazität von 13,6 kWh." Leider ist der E-Motor nur für den rund zehnsekündigen Spaßboost gedacht; allein elektrisch fahren kann der sportliche Familienkombi nicht. Geht der Abt Audi RS6-E in Kleinserie? Erst einmal nicht - leider, denn mit dem Einzelstück will Abtnur zeigen, was mit einem Elektroantrieb als Spaßbringer gemacht werden kann. Doch das Thema Elektroantrieb wird bei den Tunern schneller als erwartet Einzug halten. "Doch so einfach wie ein paar andere Räder drauf oder etwas Motorelektronik ist es nicht", lächelt Rolf Michl. Er scheint schon etwas in der Hinterhand zu haben.