Auch Mittelkinder werden älter. So bleibt der Range Rover Velar in der neuen Modellgeneration zwar weiterhin zwischen Evoque und dem mit der Marke gleichnamigen Klassiker anzusiedeln, ein eigenständiger Charakter ist er dennoch geworden. Beim Exterieur äußert sich dies durch die coupéhafte Seitenpartie, die das Fahrzeug deutlich länger als seine Brüder erscheinen lässt – obwohl der Klassiker sowie Range Rover Sport und Discovery weiterhin etwas mehr als die knapp 4,80 Meter messen. Der Zögling, der im britischen Solihull gefertigt wird, bringt dabei in der getesteten Diesel-Variante als D300 SE neben einem Gewicht von 2,1 Tonnen auch einiges an Kraft auf die Straße: 300 PS und ein maximales Drehmoment von 650 Newtonmetern lassen das sportliche SUV mit Automatikgetriebe in 6,5 Sekunden auf 100 km/h beschleunigen.
Im Interieur zeichnet sich der Velar durch eine schlichte Eleganz aus und punktet durch Details. So besteht etwa die Perforation der Sitzbezüge aus aneinandergereihten Union Jacks. Und auch die Lautsprecherabdeckungen werden mit einem Lochmuster der britischen Flagge geziert. In der Mitte thront das 12,3 Zoll TFT-Instrumentendisplay über einem gesonderten Touchscreen für Fahrmodi und Klimabedienung. Es lässt sich im Neigungswinkel verstellen und bewahrt nicht nur dank der ausgelagerten Funktionen den erfrischend minimalistischen Ansatz des Gesamtdesigns. Der Fahrer wird vor zu vielen Menüpunkten und Einstellungsoptionen bewahrt.
JLR unterdrückt Geräusche im Innenraum
Pluspunkte sammelt der Velar zudem beim Kombiinstrument. Dieses ist beidseitig individualisierbar und kann – wie viele Konkurrenzmodelle – etwa die Navigation oder die genutzten Medien je nach Wunsch anordnen. Einzig das Design des Kombiinstruments selbst ist Geschmackssache, erscheint es doch etwas altbacken. Im Gegensatz dazu steht das stilvolle und zeitgemäße Lenkrad, mit dem sich besagte Funktionen steuern lassen. Wenngleich die Touchfunktion der Lenkradknöpfe dabei etwas mühselig ist. Ergänzt werden die Dienste des Infotainments mit Pivi Pro, das zum Beispiel Echtzeit-Verkehrsinformationen oder einen Kraftstoffpreis-Service bietet.
Für den Wohlfühlfaktor soll neben Panorama-Schiebedach sowie klimatisierten Massagesitzen vor allem das Active Road Noise Cancelling sorgen. Auf Basis der Schwingungen, welche von der Fahrbahnoberfläche ausgehen, berechnet das System eine destruktive Interferenzwelle und unterdrückt dadurch Geräuschspitzen um zehn Dezibel sowie den Gesamtgeräuschpegel um drei bis vier Dezibel. Anhand der Sitzbelegung wird die Funktion für sämtliche Passagiere optimiert und die Gegenfrequenz über das Meridian-Soundsystem ausgesendet. Welchen Effekt das neue System nun wirklich hat, ist schwer abzuschätzen. Jedenfalls bleibt beim Fahrerlebnis keine sonderlich laute Geräuschkulisse in Erinnerung. Es scheint zu funktionieren.
Der Velar fühlt sich auch abseits der Straße wohl
Zudem wartet das SUV mit dem bekannten Bündel an Fahrerassistenzsystemen auf: Abstands-, Brems-, Spurhalte-, Totwinkel- und Aufmerksamkeitsassistent gehören ebenso zum getesteten Gesamtpaket wie die Verkehrszeichenerkennung, Kollisionsvermeidung, Einparkhilfe und das Head-up-Display. Der Spielraum, um sich von der Konkurrenz abzugrenzen, wird immer geringer. Darüber hinaus hat der Velar durchaus den Anspruch, sich im Gelände zu behaupten und bringt aus diesem Grund einiges an Offroadtechnik mit.
So lässt sich der Allradantrieb mit variabler Drehmomentverteilung in unterschiedlichen Modi für Gras, Schotter und Schnee, sowie Schlamm oder Sand nutzen. Die All Terrain Progress Control sorgt für eine konstante Geschwindigkeit bei anspruchsvollen Geländebedingungen sowie beim Bergauf- und Bergabfahren, während die Luftfederung das Gefährt abseits befestigter Straßen in sichere Höhen hebt. Komplettiert wird dies durch Kameras und Sensorik, die einen Rundumblick sowie einen „Durchblick“ auf den Unterboden ermöglichen. Funktionen, die auch im engen Stadtverkehr durchaus von Vorteil sein können.
Fahrerassistenzsysteme sorgen für Qual der Wahl
Beim „Gesamtpaket“ der Assistenzsysteme nimmt JLR eine ähnliche Zweiteilung vor, wie die meisten Autohersteller: Geschwindigkeitsbegrenzer und Abstandsregeltempomat. Während die Zweckmäßigkeit der ersten Option jedoch im Regelfall durch die Adaptive Cruise Control (ACC) entfällt, erhalten beim Velar beide Assistenten ihre Existenzberechtigung. So gewährleistet die ACC auf Autobahnen oder monotonen Landstraßenfahrten ein rundum automatisiertes Fahrerlebnis, bei dem das SUV automatisch Verkehrszeichen übernimmt, abbremst, Gas gibt und den Abstand zum Vordermann hält. Auch im Stop an Go hat das System seine Berechtigung. Im Stadtverkehr, bei Ausfahrten, Kreisverkehren und anderen Interferenzen funktioniert die Einspeisung der Navigationsdaten jedoch nicht ausreichend gut genug – menschliche Bremsvorgänge sind unausweichlich.
Bei derartigen Verkehrsbedingungen bietet sich die Adaptive Speed Limitation (ASL) an, die das Limit ebenfalls an Verkehrszeichen anpasst, bei Betätigen der Bremse jedoch aktiviert bleibt. Der Fahrer muss sich in diesem Sinne von einigen Funktionen des automatisierten Fahrens verabschieden, indem er vollumfänglich für Gas- und Bremse verantwortlich ist, spart sich aber das repetitive Reaktivieren der ACC sowie die bangen Momente, ob das System nun wirklich zu voller Zufriedenheit arbeitet. Es wäre zwar wünschenswert, dass JLR eine Gesamtlösung präsentiert, die für alle Verkehrssituationen gleichermaßen funktioniert. Doch wer die Funktionsgrenzen der beiden Features kennt, wählt je nach Situation rasch die richtige Assistenz. Die Qual der Wahl hat somit positive wie negative Aspekte.