Wohin nur mit all dem Elektroschrott? Das fragte sich Mauricio Esguerra bereits vor zwanzig Jahren und fand eine bestechende Lösung: Die Metalle von Bauteilen aus Computern und Co. extrahieren, kleinmahlen und mit Zement binden. Fertig ist der „Magment“ – magnetischer Zement. Erst später wurde dem Physiker, der damals noch in den Diensten von Siemens stand, klar, dass er damit ein Patent in den Händen hielt, durch das die Elektromobilität denkbar elegant vorangebracht werden könnte: Denn mit dem Magment als Fahrbahnbelag lassen sich E-Fahrzeuge – vom E-Scooter über Gabelstapler bis hin zu Lkw – drahtlos während der Fahrt oder beim Parken per Induktion laden.
Wie funktioniert das Laden mittels Beton?
Fährt ein mit einer Spule am Wagenboden und entsprechender Ladeelektronik ausgestattetes Fahrzeug über das Material entsteht, vereinfacht erklärt, ein Magnetfeld, wodurch Strom für den Akku übertragen wird. Kein Gefummel mit dem Ladekabel, keine ewigen Tankstopps, kein Ärger mit kaputten oder besetzten Ladesäulen. Dafür verspricht der magnetische Zement einen ähnlichen Wirkungsgrad wie eine konventionelle Kabellösung, verspricht der Erfinder: „Bis zu 95 Prozent des gesendeten Stroms kommen im Fahrzeug an“, sagt Mauricio Esguerra. Was auch daran liegt, dass der besondere Zement aus bis 90 Prozent elektrisch leitenden Teilchen vom Elektroschrott und keramischen Ferriten besteht.
Erst mit der Elektrifizierung des Verkehrs erkannte der Kolumbianer das Potenzial seiner Idee und gründete vor sieben Jahren zusammen mit Partner Ralph Lucke, einem Materialwissenschaftler, das Startup Magment in Oberhaching bei München. Jetzt scheint die Zeit reif für die Lösung – zumal auf diese Weise Batterien kleiner dimensioniert werden können, was nicht nur der Reichweite der Fahrzeuge zugutekommt, sondern auch knappe Ressourcen schont.
Weiterer Vorteil: Während andere Technologien des induktiven Ladens mit relativ kleinen Bodenkacheln arbeiten, die bruchanfällig und vor allen sehr teuer herzustellen sind, oder Spulen in der Fahrbahn verbaut werden, worunter der Wirkungsgrad leidet, wird das magnetische Material wie normaler Zement verarbeitet. Es ist zudem äußerst robust, weil die chemische Bindung durch die metallischen Teilchen noch stärker ist als bei Sand und Kies. Um das Material in gleichbleibender Qualität massenweise herzustellen, kooperiert das Startup mit der Schweizer Holcim AG, einem der größten Baustoffproduzenten der Welt.
Während andere induktive Lösungen nur sehr bedingt skalierbar sind, ist das für den unkompliziert zu verarbeitenden Zement kein Problem – auch nicht kostenseitig: „Im Vergleich zu konventioneller Technik lassen sich mit unserem Material induktive Fahrbahnen vier- bis fünfmal günstiger herstellen“, erklärt Esguerra, „Wir sehen uns als Ermöglicher des induktiven Ladens.“
Hier kommt magnetischer Zement schon zum Einsatz
Und das zunächst in den USA. Dort laden bereits im Rahmen eines Pilotprojektes auf einem Highway im Bundesstaat Indiana vorrangig Lastwagen während der Fahrt ihre Batterien wieder auf. „Bei Temperaturschwankungen von minus 40 Grad bis plus 40 Grad ist das auch ein guter Härtetest für das Material“, sagt Esguerra. Er hat keinen Zweifel daran, dass die Fahrbahn auch widrigen Bedingungen trotzt und selbst bei hoher Belastung durch Schwerverkehr mindestens 25 Jahre haltbar sein wird. „Dann kann das Material wieder komplett recycelt werden, womit der Wertstoffkreislauf geschlossen ist“, unterstreicht der Firmenchef. Ohnehin spekuliert er auf das US-Geschäft. Denn die unter US-Präsident Joe Biden angestoßene Sanierungswelle der maroden US-Infrastruktur eröffnet dem Beton ungeahnte Absatzmöglichkeiten.
Aber auch im oberfränkischen Bad Staffelstein wird demnächst ein autonomer Minibus seine Akkus mit Magment laden. Ab dem nächsten Jahr soll der Zement vermarktet werden. Die Firma hat vor allem zunächst industrielle Anwender im Blick: So seien fast Dreiviertel aller Gabelstapler elektrisch betrieben und damit prädestiniert über einen entsprechend präparierten Werksboden zu rollen. „Von solchen Anwendungen in der Intralogistik kann dann der Funke auf andere Anwendungen überspringen, eben auch auf Elektroautos“, sagt der Gründer. So verwundert es nicht, dass Gabelstaplerhersteller wie Kion und Jungheinrich mit Magment kooperieren. Über das B2B-Geschäft soll das Zwölf-Mitarbeiter-Startup rasch expandieren. „Wir suchen händeringend Ingenieure und andere Fachkräfte“, klagt der Chef, dessen Mannschaft nicht so schnell wachsen kann wie sie sollte.
Denn Esguerra hat ein Ziel fest im Blick: „Wir wollen der Gamechanger für die Ladeinfrastruktur der Elektromobilität und Mikromobilität sein und diese den entscheidenden Schritt voranbringen.“ Das sagt einer, der seit sieben Jahren mit seinem Elektroauto mitunter an dem unkomfortablen Kabelsalat an öffentlichen Ladesäulen verzweifelt. Der Mann weiß, wovon er redet. Und wie es besser laufen könnte.