Der Fiat Tipo ist das Auto des Jahres! So lautete eine der Schlagzeilen vor 27 Jahren, als der italienische Autobauer noch eine Macht im Klein- und Kompaktwagen-Segment war. Das ist lange her, in den letzten Jahren beschränkte sich die italienische Herrlichkeit im Grunde auf den Gute-Laune-Zwerg Fiat 500 und seine Derivate, bald kommt der Spider dazu und jetzt soll der Tipo die Verkaufszahlen nach oben schnellen lassen. Und das ausgerechnet im Kompakt-Segment, wo ein Hauen und Stechen um jedes Marktanteil-Prozent herrscht. Da haben sich die Vertriebsstrategen in Turin einiges vorgenommen. Der Tipo soll genau in die Lücke stoßen, die der Skoda Octavia nach oben verlassen hat. "Wir wollen wieder zum Hauptdarsteller im Kompakt-Segment werden", trommelt Fiat-Europachef Luca Napolitano.
Viel Auto fürs Geld lautet die Devise oder im besten italienisch-deutschen Marketing-Duktus "Es braucht nicht viel, um mehr zu bekommen". Die Limousine ist ab 13.990 Euro zu haben, der Fünftürer (kommt im Juni) kostet mindestens 14.990 Euro und der Kombi, der ab Herbst beim Händler steht, dürfte demnach 15.990 Euro kosten. Fiat will den Preiskrieg mit einem cleveren Konzept gewinnen: Es wird drei Karosserievarianten (Limousine, Fünftürer und Kombi), drei Getriebe-Varianten (Handschaltung, Automatik und Doppelkupplungsgetriebe) und drei Ausstattungsvarianten geben, die aber noch aufgepeppt werden können. Das Kalkül dahinter: Die Käufer freuen sich so über das günstige Auto, dass sie gerne zu höherwertigen Ausstattungslinien greifen und so die Marge erhöhen. Die Produktionskosten bleiben bei dem Varianten-Minimalismus überschaubar. Die Motoren-Auswahl ist ebenfalls überschaubar: zwei 1.4-Liter Benziner mit 70 kW / 95 PS beziehungsweise 88 kW /120 PS und zwei Diesel - entweder den 1.3-Liter mit 70 kW / 95 PS oder den 1.6 Liter-Vierzylinder mit 88 kW /120 PS.
Die Italiener sind so überzeugt von ihrem Golf-Gegner, dass sie dem Käufer ein 30-Tages-Rückgaberecht gewähren. "Wenn Sie während dieser Zeit mit Ihrem Tipo nicht zufrieden sind, können Sie ihn gegen ein anderes Auto aus dem FCA-Konzern tauschen", strahlt Napolitano. Wie dieses kundenfreundliche Konzept in Deutschland umgesetzt werden soll, steht noch in den Sternen. Unter anderem muss geklärt werden, ob die gefahrenen Kilometer angerechnet werden oder nicht.
In Italien ist das Interesse an dem Tipo-Kombi jedenfalls schon riesengroß. Zwei Radfahrer, die ausgestattet waren, als ob sie für die Tour der France trainierten, unterbrachen ihre Tempobolzerei für mehrere Minuten um das Vehikel genau unter die Lupe zu nehmen. Auch wenn die Designer bei den Heckleuchten offenbar Anleihen beim Toyota Auris Touring Sports genommen haben, kann sich der Italo-Lademeister sehen lassen. Auch innen: Statt einer reinen Hartplastik-Wüste findet man ein paar Klavierlack-Applikationen, unterschäumte Flächen und eine Lederausstattung. Das Cockpit ist entschlackt und übersichtlich. Das Infotainment wird über einen Sieben-Zoll Touchscreen gesteuert, der wie bei Mercedes aus dem Armaturenbrett ragt. Die Handhabung des Infotainments ist zwar nicht so ausgefuchst, wie bei den deutschen Herstellern, klappt aber ziemlich schnell ohne große Eingewöhnungszeit. Auch das TomTom-Navigationssystem verrichtet seinen Dienst zuverlässig. Warum es aber neben einer Rückfahrkamera Parksensoren hinten, aber nicht vorne gibt, bleibt ein Geheimnis der Fiat-Vertriebsstrategen.
Platz ist beim 4,57 Meter langen Kombi durchaus vorhanden: Die Sitze vorne bieten zwar wenig Seitenhalt und eine zu kurze Beinauflage, lassen aber den beiden Insassen genug Raum. Auch hinten muss man die Knie nicht neben die Ohren nehmen - ganz im Gegenteil. Beinfreiheit genug vorhanden und selbst großgewachsenen Menschen fällt der Dachhimmel nicht auf dem Kopf. Der Kofferraum leidet mit einem Volumen von mindestens 550 Litern nicht unter dieser Raum-Opulenz. Legt man die Rückenlehnen um, ist Ladefläche eben, steigt aber leicht an. Angenehm: Die Heckklappe schwingt so weit auf, dass man mit 1,85 Metern Körpergröße darunter stehen kann. Die labbrigen seitlichen Abtrennungen im Kofferraum sollten bis zum Verkaufsstart nachgebessert werden.
Wer sich beim Kombi diesen vollen Luxus gönnt, ist allerdings mit rund 22.000 Euro dabei, was definitiv kein Sonderangebot ist, aber ein vernünftiges Preis-Leistungs-Verhältnis bietet. Dass auch die Italiener nicht zaubern können, um die Kosten niedrig zu halten, merkt man an der kaum vorhandenen Dämmung des laut rumpelnden Vierzylinder-1.6-Liter-Diesel-Motors. Das 88 kW / 120 PS-Aggregat verrichtet seine Arbeit dank des maximalen Drehmoments von 320 Newtonmetern wacker, kann aber eine Antrittsschwäche unterhalb von 2.000 Umdrehungen nicht verhehlen. Die Sechsgang-Handschaltung ist hakelig und das Fahrwerk durchaus straff. Mit der überraschend präzisen und mitteilsamen Lenkung lässt sich der Tipo auch mal schneller um die Ecken bugsieren, allerdings meldet sich der 1.395 Kilogramm schwere Italiener mit scharrenden Rädern zu Wort. Die Fahrleistungen lassen den Tipo nicht zur rollenden Schikane mutieren: Nach 9,7 Sekunden erreicht der Italiener Landstraßen-Tempo und beschleunigt weiter bis maximal 200 km/h. Der Norm-Verbrauch von 3,7 l/100 km/h erscheint trotz des Start-Stop-Systems optimistisch.