Schon kurz nach seinem Amtsantritt spürt Herbert Diess den Gegenwind des Großkonzerns Volkswagen. Der Bayer muss vor seinem Vorhaben abrücken, die Fertigung der Komponenten auszulagern und so die Produktion bei Volkswagen rentabler zu machen.

Hat diese Rückbesinnung auf die Wertschöpfungstiefe eine Signalwirkung auf die ganze Automobilbranche? Herbert Diess ist einer, der als meinungsstabil gilt. Schon zu seiner Zeit als BMW-Einkaufs-und Entwicklungschef kehrte der gebürtige Münchener mit eisernem Besen. Die Zulieferer stöhnten unter seinem harten Spardiktat, genauso, wie später die BMW-Ingenieure. Wenn Diess von einer Sache überzeugt war, zog er sie knallhart durch. Im Zusammenhang mit seinem Namen fiel in München immer wieder der Ausspruch “über Leichen gehen”. Für so ein Alpha-Tier es auch undenkbar unter Harald Krüger als BMW-Vorstandchef zu arbeiten.

Kein Durchmarsch auf den VW-Thron

Also kam das Angebot aus Wolfsburg, VW-Markenchef zu werden, genau zum richtigen Zeitpunkt und der Bayer folgte dem Ruf nach Niedersachsen nur allzu gerne. Für den allmächtigen VW-Konzernlenker Winterkorn ist Diess der perfekte Mann für den neuen Job. Schließlich ist eine der Kernkompetenzen des Bayern das Senken von Kosten und das Straffen von Abläufen. Ein harter Macher passt genau in Winterkorns Pläne des enger geschnallten Gürtels. Schließlich will der VW-Boss bis 2017 mindestens fünf Milliarden Euro bei der Kernmarke einsparen und noch einmal einen ähnlich hohen Betrag bei den restlichen Marken. So sollen die Ausgaben um rund zehn Milliarden Euro sinken und die sich die Rendite im gleichen Zug erhöhen. Da kommt der bayerische Sanierer-Revolverheld gerade recht. Außerdem gilt Diess als Vollblut-Ingenieur, eine nicht zu unterschätzende Eigenschaft im Winterkorn-VW-Führungszirkel.

Doch wer auf einen Durchmarsch des Ex-BMWlers auf den VW-Konzern-Thron getippt hatte, sieht sich getäuscht. “In Wolfsburg gibt es auch andere Manager mit Ambitionen”, erklärte ein Insider auf dem Genfer Automobilsalon. Dazu kommen noch die verzwickten Macht-Verhältnisse bei Europas größten Autobauer: Das Land Niedersachsen hält 20 Prozent der VW-Aktien und kann jede Entscheidung im mächtigen Aufsichtsrat blockieren. Hinzu kommt eine mächtige Arbeitnehmervertretung, die vom einflussreichen Betriebsratsvorsitzenden Bernd Osterloh geführt wird.

Verzwicktes Machtgefüge

Ab ersten Juli ist Diess nun in Amt und Würden. Schon vor seiner Inthronisierung hatte er die VW-Fabriken des Konzerns inspiziert und war dem Vernehmen nach, ob der nicht ineffizienten Produktionsweise entsetzt. Die Gründe hatte er schnell ausgemacht: viele teure Hightech-Maschinen, viel zu viel Personal und einige Probleme bei den Produktionsabläufen. Letztere sind ja nicht neu. An der Umsetzung des mit großem Tamtam angekündigten Modularen Querbaukasten (MQB) ist schon der ehemalige Produktionsvorstand Holger Macht gescheitert. Für Diess lag ein Lösungsweg aus dieser Fertigungszwickmühle auf der Hand. Raus aus der Wertschöpfungstiefe, Auslagerung des Komponentenbaus und letztendlich auch Personalabbau, um die kostspieligen modernen Anlagen auch nutzen zu können. Aber da grätschte sofort Bernd Osterloh dazwischen. Der gilt zwar als Diess-Unterstützer und fordert einen deutlich schlankeren, weniger zentralistischen Konzern, aber Personalabbau? Kommt nicht in die Tüte.

Diese Gemengelage ist neu für den Sanierer. In München war das Wort des Vorstands Gesetz, weil die Familie Quandt das Sagen bei BMW hat. Ganz anders in Wolfsburg, wo das Machtgefüge deutlich komplizierter ist. “Herbert Diess muss einen Spagat hinbekommen, die Effizienz der Marke verbessern, was auch harte Einschnitte mit sich bringt. Und den Betriebsrat und die Mitarbeiter mit ins Boot nehmen. Das wird keine ganz einfache Aufgabe werden”, sagt Professor Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management (CAM). Dem Bayern scheint jetzt die Verzwicktheit seiner Aufgabe klar zu werden. Einfach mal mit dem eisernen Besen kehren ist bei VW nicht. Also rückt Diess von seinem ursprünglichen Plan ab, die Komponenten-Produktion auf die Zulieferer auszulagern und so die Kosten deutlich zu senken.

Diess besänftigt die Gemüter

Bei VW sind 600.000 Menschen beschäftigt, die jeden Schritt der Führung argwöhnisch beäugen. Deswegen beeilte sich der neue VW-Markenchef, die Gemüter zu besänftigen. “Die Hausfertigung ist wichtig. Für ein Unternehmen mit einer Größe wie Volkswagen ist eine hohe Fertigungstiefe vorteilhaft”, ließ Herbert Diess in der VW-Betriebsratszeitschrift “Mitbestimmen” verlauten. Damit bläst er in das gleiche Horn, wie Martin Winterkorn, der trotz aller Sparanstrengungen versprochen hatte, kein Werk zu schließen. Eine Auslagerung der Fertigung wichtiger Komponenten hätte vermutlich Personalreduzierungen zur Folge gehabt. Dieser Konflikt mit der Belegschaft soll konzernweit vermieden werden. Auch Porsche geht diesen Schritt, gliedert unter Ex-Chef Wendelin Wiedeking ausgelagerte Produktionsschritte wieder ein und erhöht so die Fertigungstiefe.

Diese Rückkehr zu traditionellen Produktionsmethoden ist allerdings kein Trend, sondern der speziellen VW-Situation geschuldet. “Aus meiner Sicht geht auf globaler Ebene die Verlagerung der Produktion zum Zulieferer weiter. Die Wertschöpfungstiefe der OEMs wird sich insgesamt weiter reduzieren. Allerdings werden die Hersteller versuchen in zentralen Kompetenzfeldern auch neues Know-how aufzubauen”, ist sich Stefan Bratzel sicher. Zu den wichtigen Aufgaben, auf die sich die Autobauer in Zukunft konzentrieren, gehören die Elektromobilität, das Thema Vernetzung und IT sowie Dienstleistungen. Wie dieser Weg zu beschreiten ist, macht McLaren vor: Die Engländer fokussieren sich auf die Elemente, die einen Sportwagen ausmachen, wie zum Beispiel den Motor, den Leichtbau, das Fahrwerk oder die Lenkung. Allerdings ist McLaren im Vergleich zu Volkswagen ein Mini-Hersteller. Deswegen hat der neue starke Mann in Wolfsburg, Herbert Diess, eine Aufgabe herkulischen Ausmaßes vor sich: Die Kosten zu senken und die Rendite zu erhöhen, ohne die Produktion zu verschlanken und Personal abzubauen. Gelingt dem Bayern dieser Kunstgriff, dann hat die Poleposition für die Nachfolge Martin Winterkorns als Konzernchef inne.

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