Der tiefgrüne Bentley 4,5 Litre Blower aus dem Baujahr 1930 steht in Halle 11 der Gruga-Messe etwas am Rande. Trotz aufgeklappter Motorhaube und Bestzustand gehen die meisten Besucher an dem legendären Vorkriegsmodell mit Le-Mans-Historie ohne größere Beachtung vorbei. Ein paar Meter weiter sieht das ganz anders aus. Ein weißer Porsche 911 S, ein gelbes T-Modell gleicher Basis, ein Aston Martin DB5 und ein Lancia Delta Integrale erfreuen sich größter Beliebtheit. Kameras klicken, Verkleidungen werden angehoben und der Köpfe entrückt fachsimpelnd in die Motorräume gesteckt. Die meisten Messestände sehen aus, als wären sie im Stile von Schuhgeschäften aus den 60ern inszeniert worden. Jeder Zentimeter wird ausgenutzt; kaum etwas lässt sich genau beurteilen - geschweige denn eine Fahrzeugtür sich öffnen. Die Hallen auf der Techno Classica 2016 wirken wie eine historische Automobilorgie - man lebt im Überfluss und suhlt sich allzu wohlig darin. 2.500 angebotene Fahrzeuge, 1.250 Aussteller und mehr als zwei Dutzend Autohersteller aus der ganzen Welt - das bietet weltweit keine andere Klassikveranstaltung. Selbst in den Oldtimer-Wolkenkucksheimen in Pebble Beach, am Comer See oder Amelia Island kennt man die Techno-Classica in Essen - auch wenn kaum einer weiß, wo das Herz des Ruhrgebiets nur annährend liegen könnte.

Von Jahr zu Jahr wird der Luftballon aus phantastischen Wertsteigerungen größer. Klassiker, die einst mit 20.000, 40.000 oder 60.000 Euro bereits stramme Verkaufspreise erzielten, sind längst in sechsstellige Sphären entschwunden. Die Gründe für den weltweit anhaltenden Young- und Oldtimerboom liegen auf der Hand. Zum einen haben klassische Fahrzeuge die Menschen schon immer begeistert. Zum anderen locken manche Oldtimer nach wie vor mit Wertsteigerungen, die zum Jahrtausendwechsel allenfalls kühne Aktienpakete offerierten. Und dann ist da der emotionslose Markt der aktuellen Autos. Hier dreht sich zunehmend alles um intelligente Fahrerassistenzsysteme, das rechte Downsizing, hohe Sitzpositionen oder das autonome Fahren. Politisch inkorrektes PS-Geprotze ist out und die Autohersteller kämpfen mit Regulierungsbehörden sowieso um jedes Gramm CO2. Kein Wunder, dass Autos hierdurch zunehmend unsexy werden. Der Anteil der Dienstwagenfahrer wird immer größer und so mancher möchte am Wochenende eben doch nicht mit einem silbernen VW Passat Variant 2.0 TDI Bluemotion oder einem dunklen BMW 318d xdrive Touring durch die Gegend kutschieren. Da entsinnt man sich nur allzu gern seiner Kindheit, als die automobile Welt zumindest aus der verklärten Retrospektive noch in bester Ordnung war. Netter Nebeneffekt: es gibt sowieso keine Zinsen auf dem Tagesgeldkonto und da kommt ein Klassiker auf dem Sprung zum H-Kennzeichen doch gerade Recht.

Wohin so etwas führen kann, ist in den prall gefüllten 21 Hallen an der Gruga bestens zu sehen. Auf den meisten Messeständen kann man kaum einen Schritt vor den anderen setzen, weil sich Young- und Oldtimer dichter als dicht aneinanderdrücken. Die Informationsschilder in den Windschutzscheiben weisen Preise aus, dass einem nicht nur in den ersten Hallen der Atem stockt. Die unüberschaubare Armee der Porsche 911 jeglicher Ausgestaltung ist nicht nur in ihrer Vielzahl beängstigend. So tummeln sich rund um den weißen Porsche 911 T 2.2 von 1970 für 96.900 Euro auf dem Freigelände vor Halle 7 genauso viele Schaulustige wie um den grellgrünen 911 Carrera 2.7 RS aus dem stimmungsvollen Jahr 1973, für den in Halle 7 stramme 749.000 Euro aufgerufen werden. Da nimmt man eine Alfa Romeo Giulietta 1.6 der Serie I aus dem Jahre 1980 für 7.000 Euro mit einem ebenso zufriedenen Nicken zur Kenntnis wie den Renault 5 GTL, einen Citroen DS 21 oder den beigen Ford Granada 2.3 GL von 1981. Die Schar der Mercedes 300 SL Flügeltürer wird überrestauriert wie eh und je immer kleiner. Stattdessen fahren sich immer mehr 220er und 190 SL Versionen in die finanzstarke Öffentlichkeit. Das weiße Mercedes 220 Cabriolet soll dem niederländischen Händler 145.000 Euro bringen und der auch unrestaurierte 190 SL in schwarz-weiß von 1960 trägt ein stattliches Preisschild: 124.900 Euro. Einen Lamborghini Countach der letzten Generation wollten vor Jahren allenfalls eingefleischte Stier-Fans mit gedanklichem Lebensmittelpunkt Santa Agata in der Garage haben - heute kostet so ein Modell an der Ruhr lockere 590.000 Euro.

Wahnwitzige Preise

Für den orangefarbenen BMW 2002 tii von 1975 ruft der schwedische Händler 55.000 Euro auf. Der dynamische Bayer ist einer der zahllosen Jubilare auf der größten Klassikmesse der Welt. Der 02er feiert 2016 ebenso einen runden (40.) Geburtstag wie die W 140er-Baureihe der Mercedes S-Klasse (25 Jahre), der Hensen Interceptor (50 Jahre), Lamborghini Miura (50 Jahre) oder der längst zum Klassiker gewordenen VW Golf GTI, der ebenfalls seinen 40. Jahrestag zelebriert. Gerade die jüngeren Oldtimer und Youngtimer stehen in Essen deutlich mehr im Vordergrund als noch vor Jahren. Dazu geben die Europäer mit den Schwerpunkten Deutschland, England und Italien klar den Ton an, während sich auf dem Markt der Amerikaner abgesehen von den ungebrochen solide gepreisten Muslce Cars wenig tut. Nach wie vor kaum existent sind historische Japaner, von denen auf der Techno-Classica nur ein paar Handvoll sportlicher Versionen und Toyota Land Cruiser nennenswerte Aufmerksamkeit bekommen. Klar auf dem absteigenden Ast in den Gruga Hallen: die meisten Vorkriegsmodelle, von denen allenfalls ein BMW 328 oder einen Alfa Romeo 6C aus der schwächelnden Verkaufsmasse heraussticht. Was das für die Marktpreise bedeutet, wird man schnell bei den internationalen Oldtimerversteigerungen und den Preisverleihungen sehen.

Doch die Messe in Essen lebt nicht von den gleißend hellen Ständen der Autohersteller, die die historische Leistungsschau längst zu einer ertrag- und imageträchtigen Marketingplattform entdeckt haben oder den zahllosen Klassikhändlern mit ihren astromischen Verkaufserwartungen. Wenn etwas auf der Techno-Classica beständig bleibt, dann sind es die hunderte von Teilehändlern, die von einem Blinkerhebel für einen Heinkel über Fußmatten für den Jaguar E-Type bis zum Kofferset für den Citroen 2CV alles anbieten, was nur annährend etwas mit klassischen Autos zu tun haben könnte. Dazu die kaum kleinere Anzahl von Devotionalientandlern, bei denen es weit mehr zu entdecken gibt, als großformatige Steve McQueen Poster, die mittlerweile eine ähnlich hohe Auflage wie Siebdrucke von Roy Lichtenstein haben dürften.

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