Die Begegnung an der Kreuzung in Weil der Stadt hat etwas Bewusstseinerweiterndes. "Das ist endlich wieder ein echter Porsche. Die Turbo-Motoren im Carrera, des ist doch nichts G'scheites", schmettert der Mann in seinem Carrera 4S der Baureihe 997 in lupenreinem Schwäbisch, reckt seinen Daumen in die Höhe, setzt den Blinker und rauscht davon. Der Porsche-Fahrer steht mit seinem Turbo-Nihilismus bei der Traditions-Baureihe nicht alleine. Viele Puristen hängen an den frei atmenden hochdrehenden Motoren. Das Flehen der Sauger-Jünger wurde jetzt erhört.

Die Antwort auf die Wünsche der Traditionalisten trägt die schmucklose Bezeichnung Porsche 911 R und ist rein technisch betrachtet eine Melange aus Porsche 911 GT3 RS und dem GT3. Solche emotionslosen Analysen hört Andreas Preuninger, Projektleiter der GT Straßenfahrzeuge nicht besonders gerne. "Ein Auto ist die Summe der mechanischen Komponenten", doziert der Ingenieur und tappt mit den Fingerkuppen zärtlich das Dach des 911 R - "das ist aus Magnesium und damit ein Kilogramm leichter als die Alu-Variante." Dazu kommen noch Kotflügel, Scheiben aus Polycarbonat und die Kofferraumhaube aus Carbon. Die Rohkarosse stammt vom Porsche GT 3. Das Ergebnis der Kreuzung von zwei Fahrzeugen summiert sich auf ein Gewicht von 1.370 Kilogramm, das sind rund 600 Kilogramm weniger als ein aktueller Porsche 911 Carerra 4S.

Erinnerungen werden wach an den Ur-911 R. Ein Tiefflieger mit 800 Kilogramm Gewicht und 210 PS. Ein Geschoss, das Preuninger als den "Höhepunkt des Leichtbau-Wahnsinns" bezeichnet. Damals war ein Ingenieur namens Ferdinand Piëch an dem Projekt beteiligt. Knapp 40 Jahre später schraubte Preuningers Truppe mit "mehr Herzblut an jedem anderen Projekt" an einem Nachfolger des legendären Sportwagens. Die Grundlage für den neuen 911 R war ein Prototyp des 911 GT3 RS mit Handschaltung statt des Doppelkupplungsgetriebes.

Nach knapp 14 Monaten Entwicklungszeit war die Fahrmaschine fertig. Wie es sich gehört, mit einem eigens entwickelten Sechsgang-Handschaltungsgetriebe und ohne festsitzenden Spoiler. Um dennoch genug Anpressdruck zu generieren, waren verschiedene aerodynamische Kniffe, wie ein veränderter Unterboden, ein Spoiler, der höher herausschnellt, als bei den herkömmlichen Carrera-Modellen und ein Diffusor im Heck. So liegt der 911 R in der Hand, wie ein exakt ausbalanciertes japanisches Santoku-Messer. Das Herz des Puristen-Porsche schlägt im Heck des 911 R, hat vier Liter Hubraum, sechs Zylinder, wuchtet 368 kW / 500 PS auf die Kurbelwelle und stammt aus dem GT3 RS. Das ergibt ein Leistungsgewicht von 2,7 Kilogramm pro PS. 

Mit einem kurzen Dreh am Zündschlüssel erwacht der Sechsender zum Leben. Schon nach wenigen Metern verschmilzt der Fahrer in den Sportsitzen mit dem Vehikel. Bald wird klar, der 911 R ist nicht gemacht, um auf der Rennstrecke die letzten Zehntel aus der Rundenzeit herauszuquetschen. Die Heimat des 911 R ist die Landstraße. Der Boxermotor mit Einmassen-Schwungrad beschleunigt in 3,8 Sekunden auf Landstraßen-Tempo und hört erst bei 323 km/h auf. Doch diese Daten geben das Spektakel, da sich im Rücken des Fahrers abspielt, nur unzureichend wieder.

Beim Schlendern durch die Stadt, gibt sich der 911 R so zivilisiert, wie es ihm möglich ist. Aber sobald es auf die Landstraßen -je kurviger, umso besser - geht, erwacht das Biest zum Leben: Der Motor schnaubt, röchelt, saugt gierig nach Luft, untermalt von einem metallischen Sägen, das jedem Menschen mit nur einem Promille Benzin im Blut, die Nackenhaare gen Himmel wuchtet. Um das Gewicht zu reduzieren, haben die Väter des 911 R am Dämm-Material gespart und so kommt die Verbrennungs-Sinfonie beinahe ungefiltert beim Fahrer an, der sich vorkommt, wie im Auge eines Akustik-Orkans. Der Boxer wirbelt lustvoll bis 8.500 U/min, dass dem Piloten schnell klar wird, dass es an Blasphemie grenzt, diese Maschine, dieses Ungetüm bei weniger als 5.000 U/Min zum Asphalt-Tanz zu bitten.

Der wilde Rock 'n' Roll hat Sucht-Potential: Der 911 R stürmt ungestüm voran, mit einer Leichtigkeit das die anderen Autos zu Statisten mutieren. Die Schaltung hält jedes Versprechen, dass die Ingenieure gegeben haben: knackig kurze Wege. Klack, vierter Gang - automatisches Zwischengas - dritter Gang. Anbremsen, die serienmäßigen Keramik-Bremsen sind gut dosierbar. Einlenkpunkt treffen, auf den Scheitel zielen: Die Ultra-High-Performance Pneus krallen sich in den Asphalt und das Vehikel carvt wie am Zirkel gezogen durch die Kurve, Unglaublich, wie leicht und beherrschbar dieses perfekt austarierte Sportgerät auf der Ideallinie entlang tänzelt. Die direkte Lenkung gibt den Weg vor, das Fahrzeug folgt. Das Fahrwerk bügelt, wie ein echter Renn-Athlet jede Bodenwelle weg, wichtig ist, dass die Pneus nicht den Kontakt zum Untergrund verlieren. Die ultrastraffe Einstellung "Sport" ist für brett-ebene Rennstrecken gedacht, in der freien Asphalt-Natur springt der 911 R über die Unebenheiten. Mit jedem Meter zieht einen Über-911er in seinen Bann. Eigentlich will man dieses rollende Kunstwerk nicht mehr aus der Hand geben. Zu schade, dass die 991 Exemplare schon ausverkauft sind.  Wer das Glück hat, einen zu bekommen, muss horrende Aufpreise bezahlen. Die teuersten Autos liegen bereits bei knapp einer Million.

 

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