"Muss das wirklich an einem Freitagabend sein?", schallt es von einem Balkon in sicherer Entfernung erbost herunter. Ein Blick auf die Uhr zeigt, es ist 19 Uhr. Was den Herrn im fünften Stock aus seinem Fernsehsessel gejagt hat war jedoch kein Rasenmäher, Vorschlaghammer oder Schlagzeug. Es war das kurze Umparken eines automobilen Exoten. Genauer gesagt eines McLaren 540C in rotem Gewand. Na gut, auch das kurzfriste Fluten der acht in V-Formation montierten Brennräume mit insgesamt 3,4 Litern Fassungsvermögen sorgt für einen akustischen Orkan. Doch normalerweise folgt daraufhin mindestens ein nach oben gereckter Daumen von vorbeilaufen- oder fahrenden Passanten. Dass es auch mal ein satt präsentierter Mittelfinger sein kann, liegt hingegen vielmehr am vor Neid grün angelaufenen Gegenüber, als an dem 540 PS-Orchester. Denn eines steht nach rund zwei Wochen Selbstversuch fest: Deutschland ist Neidland. Aber irgendwie auch Gönnerland zugleich. Letzteres aber nur, wenn den "Drück ma drauf Alter!" und "Lass ma mitfahrn!"-Forderungen stattgegeben wird. Ist dies nicht der Fall: Stinkefinger.
Dabei wirkt der 160.000 Euro teure Einstiegs-McLaren gar nicht mal so aufregend. Erst recht nicht in der äußerst defensiven, dunkel roten Farbe. Zur Auswahl stehen schließlich auch noch giftgrün und knatschorange. Ok, die Front lässt bereits erahnen, dass sowohl die zu erwartende Höchstgeschwindigkeit von Tempo 320 also auch der Durchschnitts-Benzinverbrauch von 10,7 Litern auf 100 Kilometern einem die Tränen in die Augen treiben. Allerdings muss an dieser Stelle mit einem großen Vorurteil aufgeräumt werden. Denn ein Supersportwagen kann tatsächlich auch relativ wenig verbrauchen. So geschehen während einer gemütlichen 125 Kilometer-Fahrt mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 100 Kilometern pro Stunde. Nach gut einer Stunde und fünfzehn Minuten ist auf dem manigfaltig individualisierbaren Bildschirm im Cockpit ein Durchschnittsverbrauch von 8,3 Litern abzulesen. Echte Sportwagenfans sagen jetzt natürlich "Für 125 Kilometer brauche ich keine halbe Stunde." Bei Starkregen, auf 285er Breitreifen, mit 540 PS und Heckantrieb sollte der Verstand allerdings auch bei ihnen das Tempo drosseln.
Gleiches macht das Fahrzeug in der kalten Jahreszeit aber auch von selbst. Denn die aufgezogenen Winterreifen haben eine zugelassene Höchstgeschwindigkeit von 240 Kilometern pro Stunde. Und da auch ein stolzer Brite nicht das Ende der PS-Fahnenstange ist und es stets mindestens einen Verkehrsteilnehmer gibt, der noch mehr Wumms unter der Haube hat, wird es kribbelig. Hat sich auf der freien Autobahn ein vom Motorengeräusch und Design herausgefordert fühlender Sportwagenfahrer im Windschatten verankert und die Tachonadel, beziehungsweise die digitale Tempo-Anzeige schnellt gen werksseitig installiertem 240er-Limit, muss gehandelt werden. In diesem Falle muss rechtzeitig auf die rechte Spur gewechselt werden, da ansonsten der Hinterherfahrende einfach durch einen durchfährt, da der Begrenzer so stark eingreift und es dem Hintermann in keinster Weise signalisiert wird. Hier sollte und muss dringend nachgebessert werden.
Die eben noch vorbeigeschossene Sportwagenkonkurrenz macht wiederum beim nächsten Tunnel gern Platz, da hier der Sound eines vollbelasteten McLaren inklusive Schaltvorgang einfach unglaublich ist. An die guten alten und vor allem lauten Formel 1-Tage erinnernd kommt einem solch eine Balz-Fahrt tatsächlich wie eine kurze Zeitreise vor. Denn neben dem Grand Prix-Kopfkino zeigt die Reichweitenanzeige nach dem Passieren des rund einen Kilometer langen Tunnels plötzlich nicht mehr 250, sondern nur noch 80 Kilometer an. Ein Blick auf die Uhr zeigt schnell, dass dies offensichtlich nur an der ständig den aktuellen Gasfußeinsatz hinzuziehenden Reichweitenberechnung und keineswegs an einem Wurmloch liegt. Da werden schnell aus den 8,4 Litern über 30. Aber Spaß hat ja schon immer mehr gekostet als Langeweile. Unbezahlbar hingegen sind die Blicke von Kindern, wenn sich zum ersten Mal die Scherentüren gen Himmel öffnen. Kurz die hinter den Kopfstützen verstaute Sitzerhöhung auf den Copiloten-Sitz gelegt und los geht die erste Spritztour mit dem Nachwuchs. Allerdings beginnt die in den meisten Fällen mit blankem Unverständnis und einer verdrückten Träne. "Warum müssen die Flügel runter? Ich dachte wir fliegen jetzt!", tönt es von rechts. Wer die Chance hat, sollte daher auf einem Parkplatz auch mal kurz mit offenen Türen die eine oder andere Runde fahren, damit diese Tränen wenigstens schnell trocknen.
Richtig zum Heulen ist es einem Supersportwagen-Fahrer, wenn es darum geht Garagenauffahrten, Straßeneinbauten oder ähnliches zu meistern. Wäre da nicht die Möglichkeit per Lenkstockhebel die Fahrzeugfront um ein paar Zentimeter anzuheben, würde es regelmäßige Rückstaus geben. Wer jetzt glaubt, dass der Weg zur und letzten Endes auch in die Einzel-Garage Gründe zur Freude sind, wird eventuell beim Versuch die Fahrertür zu öffnen doch noch enttäuscht und muss rückwärts wieder herausrollen. Hier gilt es unbedingt genau nachzurechnen, ob alles passt. Und auch das Kofferraumvolumen, was im Falle eines McLaren unter der vorderen Klappe zu bestaunen ist, sorgt bei praktisch veranlagten Menschen nicht gerade für Begeisterung. Ein Kasten Wasser oder ein DHL-Paket der Größe M passen, mehr auch nicht. Wird im Winter noch der Plastiküberzug für den roten Flitzer transportiert, wird es richtig eng.
Das wird es auch in tempobegrenzten Gegenden wie der Innenstadt. Denn der im Innenraum auf das Notwendigste reduzierte McLaren 540C will gefordert werden. Selbst im humorlosen Automatik-Modus steigt stets der Wille in einem auf, dem dusselig grinsenden, sich nicht an die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit haltenden Überholenden das elegante Heck zu präsentieren. Wer in solchen Situationen sein Ego nicht im Griff hat, die Drehzahl per Schaltwippen an den Begrenzer treibt und nur mal kurz Durchbeschleunigt braucht sich innerhalb kürzester Zeit über derlei Situationen nicht mehr den Kopf zu zerbrechen. Denn der Führerschein wäre bereits nach nur wenigen Sekunden ungezügelten Gasfußstreckens abzugeben. Da bringt es einem auch nichts, dass solch eine kurze Unachtsamkeit einem für einen gewissen Moment den Gedanken an Freiheit und ein unvergessliches Grinsen ins Gesicht zimmert. Denn sowohl die Freiheit als auch das Grinsen können sehr schnell verfliegen. Da hilft das schwarz-weiße Erinnerungsfoto im Zweifel auch nichts mehr.