Ein Ford Focus RS steht für vieles: Rückenschmerzen auf schlechtem Untergrund, Muskelkater in den Armen beim Einparken und Wenden sowie ein überaus prolliges Auftreten. Doch nicht die schlechten, sondern vor allem seine positiven Eigenschaften zeichnen ihn über Jahre hinweg aus. So gehört er zu den einzigen Sportwagen, die bisher lediglich über ihre Vorderachse bis zu 350 PS auf die Straße bringen konnten, ohne dabei allzu große Kontroll- oder Gripverluste zu vermelden. Gleichzeitig bietet er nicht nur seinen Insassen, sondern auch viel Gepäck und bei Bedarf sogar ganzen Einrichtungsgegenständen ausreichend Platz. Den Ford Focus RS auf sein brachiales Sportler-Gen zu reduzieren, ist demnach schlicht weg falsch. Ihn als Alltagsauto zu deklarieren allerdings ebenso. Er ist ein sehr sportlicher Allrounder und somit für nahezu jede Zielgruppe attraktiv.
Besonders die sportlich affinen Kunden werden beim neusten Spross der RS-Fordfamilie mindestens zwei Begriffe mehrmals lesen, um ganz sicher zu gehen, dass ihnen ihre Augen keinen Streich spielen. “Allradantrieb und ein Driftmodus?”, wird automatisch die innere Stimme fragen. Da ein Allradantrieb beim genauen Nachgrübeln nicht direkt zum simplen Driften einlädt, kommt dieses Fahrprogramm wie gerufen. Das Besondere und daher auch Drifterleichternde an diesem Allradantrieb ist, dass bis zu 100 Prozent der Antriebsleistung an die Hinterachse geleitet werden können. Und dass satte 350 PS selbst bei den Fahrwerkskönigen aus dem Hause Ford so langsam aber sicher nach einem Allradantrieb schreien, ist auch klar.
Schon von außen zeigen sich erste Unterschiede zum Vorgängermodell. Kurz gesagt, er wirkt etwas defensiver, sprich nicht mehr ganz so prollig. Zwar prangt über seinem Hintern ein Dachspoiler, doch wirkt er überraschend zurückhaltend. Die Sicken und Lufteinlässe am Rest des Fahrzeugs schreien ebenfalls nicht unbedingt nach Aufmerksamkeit. Im Innenraum geht es nicht gerade motorsporttypisch komfortabel zu. Die Sitze bieten einen guten und festen Seitenhalt, ohne dabei zu aufdringlich die Gedärme einzuquetschen. Die bei rasanter Fahrt einzigen beiden Hand-Berührungspunkte, das unten abgeflachte Lenkrad und der Schaltknauf, liegen gut in der Hand. Letzterer bietet mit kurzen Schaltwegen sechs Gänge an. Das Lenkrad ist in seiner Sensibilität anpassbar und somit für jede Situation fordtypisch präzise bedienbar.
Erfreulich ist, dass schon nach wenigen Metern auf einer kurvenreichen Handlingstrecke klar wird, dass sich sowohl die Programme Normal, Sport und Track genauso spürbar auf das Gesamtfahrerlebnis auswirken, wie auch der frische Driftmodus. Der 1.529 Kilogramm schwere RS lässt sich speziell in diesem Modus so leicht durch die Seitenscheibe pilotieren, dass den bis zu vier Passagieren nur noch zwei Optionen bleiben: es lieben oder hassen. Dank der gewünscht indirekteren Lenkung und einer angepassten Traktionskontrolle, wird jeder zum Driftkönig. Wird der ESP-Off-Schalter etwas länger gedrückt, steht einer in puncto Reifenverschleiß kaum noch zu toppenden Fahrt nichts mehr im Wege.
Von dem 7,7 Liter Norm-Verbrauch kann sich dann zwar verabschiedet werden, doch sollte das in diesem Falle einmal egal sein. Neben seinem zeitraubenden Querfahr-Modus beherrscht er natürlich auch die Längsbeschleunigung. Nach 4,7 Sekunden fliegt die Tachonadel über die Tempo 100-Markierung, bei 266 Kilometern pro Stunde ist Schluss. Der 2,3 Liter große Reihenvierzylinder mit Turboaufladung liefert dabei ein amüsantes, aber nicht zu lautes Konzert. Der trotz Antriebswechsel nur 70 Kilogramm schwerer gewordene Ford Focus RS bietet viel Spaß für verhältnismäßig kleinen finanziellen Aufwand. Ein 31 PS stärkerer, aber auf 250 Sachen abgeregelter Allradkonkurrent aus dem Süden Deutschlands, der Mercedes-AMG A 45 4Matic, kostet 12.000 Euro mehr.
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Marcel Sommer; press-inform