Virtuelle Fabrik von BMW mit der Software von Epic Games.

BMW hat gemeinsam mit dem US-Spieleentwickler Epic Games innovative Entwicklungsmethoden sowie Tools kreiert, die bei vielen Design- und Arbeitsprozessen zum Einsatz kommen. (Bild: BMW)

Tschüss Kartonschieber. Wird auf dem Shopfloor neu- oder umgeplant wird dies kaum noch physisch getan, sondern mit Virtual und Augmented Reality. Wobei VR vor allem für die frühe Planung etwa der Montage von Antriebseinheiten eingesetzt wird. Und die Teile hierfür ebenfalls mit virtuellen Werkzeugen entwickelt werden: Powertrain-Ingenieure optimieren zunehmend ihre Komponenten mit künstlich intelligenten Simulationstools, so dass bereits der erste Prototyp eine noch vor Jahren undenkbare Reife hat.

„Digitale Methoden sind dabei, den Automotive-Entwicklungsprozess zu revolutionieren“, schallt es daher vom Entwicklungsdienstleister IAV, der seit Jahren in seinem „Digital Lab“ unter anderem die erweiterten Realitäten nutzt, um Entwicklungsprozesse zu vernetzen und digitalisieren – unter anderem in der Powertrain-Entwicklung. Gerade hier böte sich VR an, um Simulationsergebnisse zu visualisieren, so das Berliner Unternehmen. Wichtig sei es dabei, die abstrakten Simulationsergebnisse zu visualisieren und damit greifbarer zu machen. Etwa wenn die Ingenieure mit ihren Kunden via Datenbrillen gemeinsam Details der Motor- oder Getriebekonstruktion diskutieren.

Virtuelle Animationen helfen dabei insbesondere bei komplexen Komponenten wie Automatikgetrieben. Oder um beizeiten zu testen, wie sich Antriebsteile möglichst schlank montieren und warten lassen. Am Rande: Ganz coronakonform lassen sich so Vor-Ort-Meetings vermeiden, wenn jeder im virtuellen Raum, von der Entwicklung bis zur Produktionsplanung, mitreden kann, ohne das eigene Büro dafür verlassen zu müssen.

Kein Wunder, dass Unternehmen wie Epic Games gesuchte Partner von Autoherstellern sind. Der US-Entwickler von Computer- und Videospielen („Fortnite“) arbeitet nach eigenen Angaben mit neun der zehn größten Fahrzeughersteller zusammen, um Anwendungen mithilfe seiner Unreal Engine-Visualisierungsplattform zu unterstützen. Darunter Daimler und BMW. Bei den Münchnern gelang es mit einem VR-Tool binnen sechs Wochen, die elektrischen Antriebsstrangderivate für den neuen Stromer i4 in bestehende Produktionslinien zu integrieren. Mithilfe von Echtzeit-3D-Renderings wurden Produktionsschritte und Platzanforderungen etwa für Werkzeug oder Ersatzteile geplant und umgesetzt.

Auch Audi arbeitet mit virtuellen Montageabläufen in der Produktion. Am Standort Neckarsulm werden Herstellungsschritte des neuen E-Tron GT virtuell erprobt und optimiert. Bei BMW soll künstliche Intelligenz die Logistik auf dem Shopfloor in Schwung bringen. Dies vor allem durch intelligente Logistikroboter, Datenanalyse und virtuelle Simulation von Logistikprozessen. KI kann im 3D-Scan verschiedene Objekte wie Behälter, Gebäudestrukturen oder Maschinen erkennen und so in einer virtuellen Layoutplanung hochauflösende 3D-Scans von ganzen Gebäuden und Fabrikanlagen erstellen.

Die Technologie ermöglicht es den Ingenieuren, in einer Planungssoftware einzelne Objekte aus dem 3D-Scan zu entfernen und individuell zu verändern. Umplanungen innerhalb der Produktionshallen sind dadurch einfacher zu simulieren und besser nachvollziehbar.

Fertigung des Audi E-Tron in den Böllinger Höfen
Auch Audi setzt bei der Produktion des Audi E-Tron GT auf virtuelle Montageabläufe. (Bild: Audi)

KI wird zur Schlüsseltechnologie

Die Beispiele zeigen, dass die Digitalisierung kräftig an Fahrt aufgenommen hat. Mehr als jeder zweite Maschinen- und Anlagenbauer ist überzeugt, dass künstliche Intelligenz eine Schlüsseltechnologie für die eigene Wettbewerbsfähigkeit ist, berichtet Frank Karcher, Personalleiter bei Tata Consultancy Services Deutschland. Für Karcher sind Maschinen- und Anlagenbauer Vorreiter bei der Nutzung digitaler Technologien und Prozesse. Vor allem im Automobilbau. Aber beherrschen die Anwender auch die neuen Tools? Bei altgedienten Produktionsplanern und Powertrain-Entwicklern bestehen daran Zweifel.

Ohne Weiterbildung läuft auch bei Werkern am Band wenig. Jedoch sollten junge Ingenieure, die gerade die Hochschule verlassen haben, fit für Industrie 4.0 sein. „Die Ingenieursausbildung hinkt dem digitalen Fortschritt hinterher. Hier besteht Nachholbedarf“, sagt Ingo Rauhut, Geschäftsführer des Fachbeirates Beruf und Arbeitsmarkt im VDI. Die digitale Transformation an den Hochschulen lasse weiter auf sich warten, bedauert Rauhut. Einen Grund dafür sieht er auch darin, dass es in den Professuren gewisse „Bewahrungstendenzen“ gebe: „Wenn jeder sein bisher gespieltes Thema weiterhin für unverzichtbar hält, wird es schwer, neue digitale Module in die Curricula einzubauen.“ Ein Umstand, den Studierende schon seit Jahren bemängelten. Mitunter sind die Lehrkräfte noch nicht einmal im anbrechenden Zeitalter der Elektromobilität angekommen, ganz zu schweigen von der tiefgreifenden Digitalisierung.

Dabei sei das Thema mit Industrie 4.0 schon seit der Hannover Messe 2011 in der Welt, bemerkt Franziska Šeimys, Referentin für Bildungspolitik beim VDMA: „Seitdem beobachten wir eine kontinuierliche Entwicklung der Unternehmen des Maschinenbaus in Richtung digital gestützter Produktion und interner sowie externer digitaler Vernetzung.“ Der Maschinen- und Anlagenbau stehe im Zentrum der Industrie-4.0-Bewegung. Allen voran Autobauer und Zulieferer. Der Branche bleibt meist allerdings nur die mühsame Qualifizierung ihrer Kräfte – gerade im Bereich Datenanalyse. Ohne die läuft bald nichts mehr. Rauhut: „Es kommt darauf an, nicht nur zu wissen, wie man Daten erhebt, sondern auch, was man damit anfangen kann.“ Man könnte auch sagen: Digitalisieren geht vor Elektrifizieren.

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