Die Mille Miglia ist brutaler, die Carrera Pan Americana anstrengender und länger, aber die Targa Florio ist eine ganz besondere Herausforderung für Mensch und Maschine. Die Ursache für die Unwägbarkeiten thront wie ein Menetekel 3.323 Meter über dem pittoresken Eiland, hat oft eine Rauchfahne und trägt den Namen Ätna. Der aktive Vulkan sorgt für tektonische Verschiebungen, die die Strecke der Inselrundfahrt ständig verändern. Wo vor Jahresfrist noch eine unversehrte Asphaltdecke durch die Landschaft führte, kann auf einmal ein Riss von mehreren Zentimetern Breite die Fahrt zu einem Höllenritt machen, der die Lenkradkünste des Fahrers auf die Probe stellt.
Vor allem, wenn man am Steuer eines Porsche 356 Super Speedster, der den Gegenwert eines Reihenhauses hat, sitzt. Die rollende Preziose Baujahr 1958 verzeiht viel und hilft dem Piloten so gut es geht. Dieser Porsche trägt schon die Zuffenhausener Marken-DNA in sich: Motor hinten und ein aktives Heck, das gerne mitlenkt. Aber auf dem besonders rutschigen Insel-Asphalt (noch so eine Herausforderung) verwandelt sich der silberne Klassiker hin und wieder in ein driftendes Biest, das mit einem schnellen Gegenlenken eingefangen werden will. Der flach gebaute 1.6-Liter-Boxer-Motor rasselt hinter dem Fahrer, dass sofort Gedanken an den VW-Käfer wach werden. Doch die 75 PS reichen, um den 760 Kilogramm schweren Zweisitzer auf 175 Stundenkilometer zu beschleunigen. In den höheren Drehzahlregionen kommt auch akustisch echtes Porsche Feeling auf.
Auf den ersten Blick wirkt der Speedster fragil und extrem puristisch. Eine winzige Windschutzscheibe, stellt ihren Zweck eindrucksvoll unter Beweis, als der Unrat einer Möwe auf dem Glas landet. Das Holz-Lenkrad hat den Durchmesser einer Pizza und der Kranz ist nur unwesentlich dicker als eine Rigatoni, liegt aber dennoch so gut in der Hand, dass sich der Zweisitzer problemlos um die Kurven zirkeln lässt. Die gibt es auf der legendären "Piccolo Madonie" (kleine Bergrunde) mehr als genug: 72 Kilometer, 600 Kurven und elf Runden. Zeit zum Durchatmen - Fehlanzeige. Das Asphaltband fordert den Fahrer unaufhörlich heraus. Wer im Ziel ankommt, hat gewonnen.
Klassische Rundfahrt
Jeder Zentimeter der Strecke steckt voller Historie. Hier landete Hans Herrmann mit seinem Porsche 550 Spyder schon kurz nach dem Start im Straßengraben, musste aber an der Unfallstelle ausharren, bis das Rennen zu Ende war. Trotzdem musste der Targa-Florio-Sieger des Jahres 1960 keinen Hunger leiden. Die Teamkollegen warfen dem verunglückten Favoriten nach jedem Boxenstopp im Vorüberfahren eine Brotzeit, auf schwäbisch "Vesper" zu. Diese besondere Variante von Essen auf Rädern war erfolgreich. "So gut und viel hat der in seinem Leben nicht gegessen", lacht Herbert Linge, der bei der Targa Florio nie schlechter als Sechster war.
Die schnelle Rundreise auf Sizilien gehört zu den klassischen Langstreckenrennen. Was 1906 vom ortsansässigen Grafen Vincenzo Florio als Werbe-Fahrt initiiert worden war, um Touristen auf die Mittelmeerinsel zu locken, erlangte schon bald Kultstatus. Die tollkühnen Männer in ihren donnernden Kisten feuerten ohne Rücksicht auf Verluste auf öffentlichen Straßen über die Landschaft und durch malerische Bergdörfer. Die Gefahr war ein ständiger Begleiter: Tiere kreuzten die Fahrbahn, Hufnägel schlitzten Reifen auf und selbst höchst talentierten Piloten ging der Asphalt aus. Die Folge waren nicht selten heftige Unfälle, bei denen Mensch und Maschine in Mitleidenschaft gezogen wurden. Der Begeisterung tat das keinen Abbruch. Im Gegenteil: Wenn der Lokal-Heroe Nino Vacarrella in einem Ferrari um die Kurven driftete, standen die Zuschauer dicht gedrängt am Straßenrand und wollten den kostbaren Lack mit den Händen berühren. Der Heimvorteil des Lehrers war nicht zu unterschätzen: Formel-1-Stars, wie Juan Manuel Fangio oder Graham Hill hatten ihre liebe Mühe heil ins Ziel zu kommen. Die Siegerliste strotzt nur so vor prominenten Namen, wie Wolfgang Graf Berghe von Trips oder Stirling Moss.
1974 setzte die FIA dem offiziellen Rennsport-Treiben ein Ende und entzog der Targa Florio den WM-Status. Doch zum 110 Jahrestag der klassischen Rundfahrt rückt die Insel wieder in den Mittelpunkt des Motorsport-Universums. Die hochgezüchteten Hightech-Boliden der Rallye-WM (WRC) knallen durch die Straßen. Zeitgleich zu dem PS-Spektakel können die Sizilianer die klassischen Oldtimer, wie einem Fiat 508 S oder Bugatti 35 B, auf den geschwunden Bergstraßen bewundern. Am meisten Applaus bekam eine wunderschöne Alfa Romeo Giulietta SZ Coda Tronca, direkt hinter unserem Porsche 356 Super Speedster. Der Fahrer: Das Oberhaupt der Agnelli-Familie John Elkann. Neben ihm: seine Frau Lavinia.
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