Die Szene ist jedem Transport-Profi vertraut. Ein Lkw rollt auf einem Betriebshof an und will an an einer Schleuse andocken, um sich seiner Ladung zu entledigen. Zielsicher rangiert der tonnenschwere Laster rücklings auf eine Pforte zu, stellt den Container punktgenau ab und fährt dann sofort zu einer weiteren Wechselbrücke, um, die nächste Fuhre zu satteln. Alles nichts Neues und für einen erfahrenen Brummi-Lenker reine Routine. Nur dass beim ZF Innovation Truck kein Kapitän der Landstraße hinter dem Steuer sitzt, sondern ein Computer das Schwergewicht durch die Verladestation zirkelt. Allerdings mit einer Einschränkung. "Diese autonomen Level 4-Fahrten sind nur in einer definierten Umgebung möglich", erklärt Alexander Banerjee, Projektleiter Vorentwicklung Nutzfahrzeugtechnik bei ZF.

Deswegen ist ein Teil des genau abgegrenzten Areals mit RFID-Sensoren ausgestattet, um den Lkw, der natürlich auch einen GPS-Chip an Bord hat, zu orten und das Rangieren zu ermöglichen. Aber das autonome Fahren folgt auch bei den Schwergewichten der Straße den gleichen Regeln, die auch bei den Pkws gelten. Der Truck ist mit verschiedenen Sensoren ausgestattet, die alle an ein "Großhirn" berichten, bei dem die Fäden des Robo-Fahrers zusammenlaufen. Die Recheneinheit nennt sich "ZF ProAI" und entstammt der Kooperation mit Nvidia. Aber auch wenn, das Prinzip der Sensorfusion identisch mit dem der Pkws ist, gibt es doch signifikante Unterschiede. Denn in der Logistikbranche zählen zwei Dinge: möglichst niedrige Kosten und robuste Technik.

Also verzichtet der Truck auf einen teuren Lidar-Sensor und nutzt bewährte Laser und Kameras. Wie das Zusammenspiel dieser Komponenten funktioniert, sieht man beim Einfädeln des Containers auf die Wechselbrücke, die beide komplett sensorfrei sind. Am Lkw befinden sich eine Kamera und ein Laserdistanz-Sensor, um die Distanz zum Container genau zu bestimmen. Damit der Behälter ganz genau auf der Wechselbrücke eingefädelt wird, kommen noch jeweils zwei Kameras vorne und hinten zum Einsatz. Damit das alles reibungslos funktioniert, sind neben der immensen Rechenleistung des "Großhirns" auch möglichst viele elektrische Komponenten, wie zum Beispiel eine elektrohydraulische Lenkung oder ein Automatikgetriebe hilfreich, das mit einem Elektromotor hybridisiert ist. Die Schaltung mit dem sperrigen Namen "TraXon Hybrid" hat eine Leistung von 120 kW / 163 PS und spart bei den dicken Lasteseln Sprit, indem es das Gefährt rein elektrisch bewegt.

Jeder Cent zählt

Es wird noch rund drei Jahre dauern, ehe dieses System serienreif ist. Dann sollen die Lastwagen im Idealfall rund um die Uhr agieren können und so den Menschen entlasten. Immerhin sind rund 1.000 Trainingsstunden nötig, ehe ein Fahrer diese Manöver perfekt beherrscht. Trotzdem ereignen sich in den USA rund 70 Prozent der Unfälle auf dem Betriebsgelände, zudem suchen die Transportsysteme händeringend nach Truckern. Theoretisch kann diese autonome Lieferkette noch durch einen Robo-Gabelstapler ergänzt werden. Allerdings wird dieses klinische Szenario nicht von heute auf morgen eintreten, der Mensch wird noch eine ganze Weile nötig sein.

Eine weitere Logistikbranche, bei der jede Minute und jeder Cent zählt, sind die Paketdienstleister. Bei dieser speziellen letzten Meile, geht es hauptsächlich darum, dass die Postsendung pünktlich zugestellt wird. Um der anschwellenden Paketflut Herr zu werden, kombiniert ZF mehrere Technologien, in erster Linie ein autonom agierendes Fahrzeug, das bei Bedarf selbsttätig parkt oder - im Falle eines Halteverbots - kurz wartet, bis der Bote seine Fracht entnommen hat und dann zur nächsten Stopp-Möglichkeit weiterfährt. "Der Wagen folgt dem Fahrer, wie an einer virtuellen Leine", erklärt Dr. Gerhardt Gumpoltsberger, Leiter Innovationsprojekte bei ZF. Der Paketfahrer wird mit Hilfe einer sogenannten "Mixed-Reality-Datenbrille" immer über den Standort seines Lastesels und der Adresse des nächsten Pakets informiert.

Damit alles optimal koordiniert wird, hilft ein Cloud-basiertes System, das die Zustellwünsche des Empfängers abstimmt und die optimale Route berechnet. Allerdings gilt auch für diese Zukunftsvision, dass noch einige Jahre ins Land gehen werden, ehe sie Realität wird. Denn das Transportfahrzeug soll auch im Level 4 autonom fahren. "Wir werden diese Technik wohl zunächst in überschaubaren Orten sehen", vermutet Gerhardt Gumpoltsberger. Doch der Anfang ist gemacht.

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