Derzeit passiert im amerikanischen VW-Werk in Chattanooga nicht viel. Kaum ein Auto verlässt die Werkshallen, nur wenig Material wird angeliefert und auch die Belegschaft scheint in Tennessee aktuell nicht in voller Mannstärke anzutreten. Dabei läuft es für die Wolfsburger im Land der unbegrenzten automobilen Möglichkeiten gar nicht einmal schlecht. Der Dieselskandal ist nahezu vergessen und der unter USA-CEO Hinrich J. Woebcken eingeleitete Neustart scheint ebenfalls in rechten Bahnen zu verlaufen. Dass in Chattanooga derzeit nicht viel geht, hat einen ganz anderen Grund. Das Werk wird gerade von der überwiegenden Limousinenproduktion des Passat auf den Atlas umgeschichtet. Während einer zweiwöchigen Pause werden die Bandarbeiter vom Passat verstärkt auf den größeren Atlas-SUV geschult, der im amerikanischen Werk zukünftig das Volumen ausmachen soll.

Der Absatz des amerikanischen VW Passat, baulich und technisch deutlich unter der europäischen Variante positioniert, ist in den ersten beiden Monaten des Jahres um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Der über fünf Meter lange Atlas, in den USA im Midsize-Segment angeboten, stieg Mitte 2017 in das amerikanische Produktportfolio ein und verkaufte in den ersten beiden Monaten 2018 über 9.069 Einheiten, während der Passat auf 5.475 Fahrzeuge absackte. Da sich der amerikanische Automarkt zunehmend von Limousinen zu Crossover und SUVs verlagert, will auch Volkswagen seine Produktion der geänderten Nachfrage anpassen. Neben dem aktuell fünf- bis siebensitzigen VW Atlas wird im kommenden Jahr auch die Coupéversion des VW Atlas Einzug in die Chattanooga-Produktion halten, der als seriennahe Cross-Studie seine Weltpremiere auf der New York Autoshow in dieser Woche feiert. Zudem gibt es Planungen, in Tennessee auch Elektrofahrzeuge der I.D.-Familie zu produzieren. Die Analysten von IHS gehen davon aus, dass die Chattanooga-Produktion im Jahr 2020 auf rund 167.000 Einheiten steigen wird; 2017 waren es nur 112.632 Fahrzeuge.

Mit einer Konzentration auf neue SUV-Modelle und das neue Kompaktklassemodell Jetta will Volkswagen in den USA zur Volumenmarke werden, die einen Marktanteil von fünf Prozent erreichen kann. "Es ist möglich und wir glauben, dass wir es erreichen können. Wir denken, dass wir ein sehr solides Produktportfolio für die USA haben. Wir haben ein neues Marketingteam, das hart an der Markenerfahrung und der Marke arbeitet", sagt VW-Markenvorstand Herbert Diess, "wir glauben, dass es möglich ist - nicht in einer kurzen Zeit, vielleicht in einem Zehn-Jahres-Plan."

Jetta und Atlas sollen es richten

Der VW-Chef bestätigte, dass in den nächsten zehn Jahren vier batterieelektrische Fahrzeuge für die USA vorgesehen sind. Möglicher Produktionsstandort: Chattanooga / Tennessee, da sich das vergleichsweise junge Werk bei Bedarf - gerade im Bereich der Batterietechnik - deutlich erweitern ließe. Zudem soll der 4,50 Meter lange Tharu (in den USA wohl mit einem anderen Namen) als kleiner Bruder des amerikanischen VW Tiguan auch in den USA eingeführt werden. Derzeit wird der Tiguan in Nordamerika allein als 4,70 Meter lange XL-Variante angeboten. Unterhalb ist unverändert der alte VW Tiguan Limited im Programm, der mit einem Preis von knapp über 20.000 Dollar insbesondere jüngere Kunden ansprechen soll. Produziert wird die alte Tiguan-Variante im ehemaligen Karmann-Werk Osnabrück. Beizeiten soll die erste Tiguan-Variante jedoch auslaufen und vom neuen VW Tharu ersetzt werden, der in der zweiten Jahreshälfte 2018 zunächst in China auf den Markt kommt. Die US-Variante soll in Puebla / Mexiko vom Band rollen. Ähnliches gibt es zwei Klassen darüber. Der amerikanische VW Atlas mit seiner Länge von 5,04 Metern wird in China als VW Terramont angeboten und bekommt eben auch hier einen Coupébruder.

Doch ob Volkswagen den Sprung ins Volumensegment schafft, entscheidet nicht zuletzt auch der Erfolg des neuen VW Jetta. In Europa hat der VW Jetta seit Jahrzehnten das Image eines Rentnerautos, während das in den USA sieht völlig anders aussieht. In den USA ist der Stufenheck-Bruder des Golf zumindest der Positionierung nach die sportlichste Möglichkeit, einen Volkswagen zu bewegen. Wer einen Jetta fährt, der ist jung, geht zu Uni oder College und mag am Wochenende Basketball, Baseball oder Eishockey. Zum Marktstart im Frühjahr (zunächst Mexiko, dann USA) wird der VW Jetta nur mit einem 1,4 Liter großen Turbobenziner angeboten, der 110 kW / 150 PS. Von den insgesamt 17,5 Millionen VW Jetta wurden bisher 3,2 Millionen Fahrzeuge in den USA verkauft. In der zweiten Jahreshälfte soll der Jetta auch in den China vorgestellt werden, wo er unverändert Sagitar heißen wird. Den Sprung nach Europa wird der kleine Bruder des Passat jedoch nicht mehr schaffen.

Langfristiges Ziel von VW-Chef Matthias Müller und seinem US-Stadthalter Hinrich J. Woebcken sind fünf Prozent aller US-Autos. Im vergangenen Jahr lag der US-Marktanteil von Volkswagen bei knapp zwei Prozent, was einem Volumen von knapp 340.000 Einheiten entspricht. Die Analysten von IHS prognostizieren bis zum Jahre 2025 einen Anstieg des Marktanteils auf 2,9 Prozent. In diesem Zeitraum sollen die SUV-Anteile der Wolfsburger auf 40 Prozent steigen. Im vergangenen Jahr, dem ersten mit den beiden neuen Modellen Tiguan und Atlas, lag dieser bei 23 Prozent. Deutlich zögerlicher sieht es mit den Elektrofahrzeugen der I.D. Familie aus, die bis 2025 in Nordamerika gerade einmal fünf Prozent des Markenvolumens betragen soll. Herbert Diess: "Kunden sind bereit, auf Elektrofahrzeuge umzusteigen, wenn der Preis stimmt. Wenn man nicht mehrere hundert Kilometer am Tag fahren muss, ist es wahrscheinlich das beste Fahrzeug, das man heute kaufen kann."

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