Journalist und Ingenieur stehen vor einem e-Golf

Autor Johannes Winterhagen (l.) lässt sich von einem Bosch-Ingenieur die Funktionsweise des stufenlosen Getriebes erklären. (Bild: Bosch)

Volles Drehmoment ab dem ersten Meter. Dieses Fahrspaß-Versprechen bieten alle Elektroautos. Unabhängig davon, welcher Elektromotor verbaut wird, steigt die Leistung linear bis zu einer bestimmten Drehzahl, auch Eckpunkt genannt, das Drehmoment ist bis dahin konstant. Doch jenseits des Eckpunkts nimmt die Leistung nicht mehr zu, das Drehmoment hingegen ab. Das Resultat ist eine Durchzugschwäche, die sich besonders bei Überholvorgängen jenseits der Autobahn-Richtgeschwindigkeit bemerkbar macht.

Besonders ausgeprägt ist dieser Effekt bei den fremderregten Synchronmotoren, die im Massenmarkt vorrangig eingesetzt werden. Abhilfe würde ein schaltbares Getriebe schaffen, das – vergleichbar mit konventionellen Antrieben – höhere Geschwindigkeiten mit niedrigeren Drehzahlen erlaubt. Der Porsche Taycan war das erste Elektrofahrzeug, das zumindest mit einem Zweiganggetriebe an den Start rollte. Auf Fachsymposien wird bereits längere Zeit diskutiert, ob nicht ein Dreigang-Getriebe, das bei niedrigen Geschwindigkeiten ein besonders hohes Steigmoment erlaubt, die beste Lösung wäre.

Boschs Getriebe-Innovation böte mehrere Vorteile

Vor diesem Hintergrund hat Bosch ein Konzept für ein stufenloses Getriebe entwickelt, das speziell für Elektrofahrzeuge gedacht ist. Es hält den Motor unabhängig von der Fahrgeschwindigkeit immer in einem Kennfeldbereich, in dem das volle Drehmoment abgerufen werden kann. Weil Elektromotoren im Kennfeldbereich kurz vor dem Eckpunkt besonders effizient arbeiten,  soll der Stromverbrauch sinken, um rund drei bis vier Prozent in einem Pkw, bei Elektrolieferwagen sogar um bis zu zehn Prozent.

„Aktuelle Elektroantriebe stellen immer einen Kompromiss dar“, erläutert Dirk van den Heuvel. Er arbeitet für Bosch im niederländischen Tilburg, wo einst DAF die Variomatic entwickelte, den Urvater aller stufenlosen Getriebe. Die Mehrkosten, die der Einsatz eines solchen Getriebes verursachen würde, beziffert van den Heuvel auf nur zwei bis drei Prozent, weil die Batterie kleiner ausfiele und weniger stark gekühlt werden müsste. „Gegebenenfalls kann man auch einen kleineren Motor einsetzen“, sagt er. Außerdem böte das stufenlose Getriebe die Möglichkeit, den Elektrobaukasten eines Herstellers deutlich zu vereinfachen, weil man einen Einheitsmotor für alle Fahrzeugklassen anbieten könne.

stufenloses getriebe
Das neue CVT von Bosch könnte den E-Baukasten von OEMs merklich vereinfachen.

CVT bietet flottes Vorankommen bei hohen Geschwindigkeiten

Um die Praxistauglichkeit nachzuweisen, haben die Bosch-Ingenieure einen Volkswagen E-Golf umgerüstet. Der serienmäßige Elektromotor, eine Asynchronmaschine mit einem Drehmoment von 290 Newtonmeter, blieb an Bord. Erweitert wurde er um ein stufenloses Getriebe, wie es normalerweise in einem Mitsubishi Eclipse mit Verbrennungsmotor verbaut wird. Es überträgt die Kraft mit einem 26 Millimeter breiten Schubgliederband. Die Übersetzung erfolgt durch hydraulische Verstellung der Auflageflächen in einem Bereich von eins zu 2,64 bis 0,7 – was verglichen mit verbrennungsmotorischen Antrieben eine geringe Spreizung darstellt.

Einige Komponenten, die ein Elektroantrieb definitiv nicht braucht – etwa den Rückwärtsgang und einen Drehmomentwandler – wurden entfernt, dennoch wiegt der Prototyp rund 100 Kilo. Würde ein stufenloses Getriebe von vornherein auf den Elektroantrieb ausgelegt, soll es laut Bosch nur noch etwas mehr als 20 Kilo wiegen.

Neben dem erhöhten Fahrkomfort – Schaltungen entfallen gänzlich – bietet das CVT (Continuously Variable Transmission) vor allem flottes Vorankommen bei höheren Geschwindigkeiten. „Das wird irgendwann nicht mehr wichtig sein“, sagt ein Getriebefachmann, der für einen anderen Zulieferer arbeitet und nicht zitiert werden will. „Das Tempolimit kommt ohnehin und bis 130 km/h fahren die meisten Elektroautos doch ganz gut.“ Man habe sich entsprechende Konzept im eigenen Haus angesehen und zunächst ad acta gelegt.

Technologie mit unsicherer Zukunft

Dass trotzdem viele Zulieferer auf Elektroautos mit variabler Übersetzung hoffen, liegt an der hohen Wertschöpfung, die im Getriebebau realisiert werden kann. Einer gemeinsamen Studie von Agora Verkehrswende und Boston Consulting zufolge fällt jeder zweite durch Elektromobilität bedrohte Arbeitsplatz in der deutschen Industrie auf Zulieferer, die derzeit Motor- und Getriebeteile produzieren.  Doch zumindest nach aktuellem Stand ist von keinem Volumenhersteller bekannt, dass er schaltbare Getriebe in künftigen Elektroplattformen einsetzen will.

Zudem könnte eine neue Generation von Elektromotoren das Problem der Durchzugsschwäche entschärfen. Die geringste Drehmomentschwächung jenseits des Eckpunkts weisen nämlich fremderregte Synchronmotoren auf, die nach dem Prinzip eines Elektromagneten arbeiten und keine seltenen Erden benötigen. Solche Motoren werden zwar bereits im Renault Zoe seit Jahren verbaut, sind jedoch wegen der bislang verwendeten Schleifkontakte zum Rotor verschleißanfälliger als andere Motorenkonzepte. Der Zulieferer Mahle hatte im Frühjahr den ersten Prototypen eines fremderregten Synchronmotors vorgestellt, bei dem die Stromübertragung zum Rotor per Induktion erfolgt. Ob Motor oder Getriebe: Die deutschen Zulieferer setzen auch beim Elektroantrieb auf High-Tech.

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