Sobald man es mit amerikanischen Straßensportlern zu tun bekommt, beschleichen einen zwiespältige Gefühle. Zum einen denkt man an kraftstrotzende Klassiker, wie die Corvette andererseits kommen einem Innenraumwüsten aus Plastik in den Sinn. Diese Vorurteile werden schnell widerlegt, wenn man sich hinter das Alcantara-Lenkrad in die bequemen Sportsitze fallen lässt. Klavierlack und Leder prägen das Bild. Schaut alles ganz ordentlich aus und fühlt sich auch gut an. Auch wenn nicht die Perfektion eines Audi-Innenraums erreicht wird, ist das ein deutlicher Fortschritt gegenüber den Ambiente-Sünden vergangener Tage. Lediglich beim Griff an den Blinkerhebel greift die Handinnenfläche an nicht allzu wertiges Hartplastik.

Leistungsgewicht von 3,3 kg pro PS

Dabei wird genau dieser Stock oft gebraucht werden, denn der Cadillac ATS-V brettert mit der Kraft von 346 kW / 470 PS über die deutschen Straßen. Damit schlägt er den BMW M3 um 39 PS. Das ist insofern interessant, als das beide von einem Sechszylinder Motor zu sportlichen Höchstleistungen getrieben werden. Lediglich die Anordnung der Töpfe ist unterschiedlich – ein V im Ami und – wie es sich gehört – in Reihe beim Münchener. Lediglich der Mercedes C63 AMG lässt den Ami mit seinen 510-V8-Bi-Turbo-PS stehen. Doch beim reinen Tempobolzen macht der US-Boy mit 3,9 Sekunden beim Sprint auf Landstraßen-Tempo eine gute Figur und ist damit einen Wimpernschlag schneller als der BMW. Die Höchstgeschwindigkeit von 304 km/h ist für das Wettrennen auf den Autobahnen zwischen Garmisch und Flensburg sicher kein Nachteil.

Das ist für die Amerikaner genauso wichtig, wie das Leistungsgewicht von 3,3 Kilogramm pro PS. Denn bei aller Mercedes-PS-Herrlichkeit, der imageträchtige Gegner, den die Amerikaner im Visier haben ist der BMW M3 / M4. Kein Wunder, dass es den Cadillac ATS-V sowohl als Limousine als auch als Coupé gibt. Gerade fahrdynamisch gilt der BMW in den USA als Referenz in der Mittelklasse. Und da, genau da, haben die Cadillac-Entwickler den Hebel angesetzt. “Wir haben uns die Konkurrenz und natürlich den M3 ganz genau angeschaut”, erklärt Tony Roma – Chefentwickler der Cadillac-V-Sparte.

Gut austariertes Fahrwerk

Das Resultat dieses Kurventanz-Kräftemessens spürt man auf jedem Meter Landstraßen Asphalt, den man mit dem ATS-V zurücklegt. Die Geradeaus-und-sonst-nichts-Attitüde, die vergangene Ami-Sportler charakterisierte, ist wie weggeblasen. Der schnelle Cadillac stürzt sich mit einer behänden Angriffslust auf jede Kurve, der sich vor der deutschen Konkurrenz nicht zu verstecken braucht. Das Spiel mit den Richtungsänderungen bereitet einen Höllenspaß und läuft immer nach dem gleichen vertrauenserweckenden Muster ab: anbremsen, einlenken, Scheitel treffen, rauf aufs Gas und ab damit. Mit einem Durchschnittsverbrauch von 11,6 Litern pro 100 Kilometern ist der ATS-V kein Kostverächter.

Das Fahrwerk des sauschnellen Cadillacs kaschiert die 1,7 Tonnen Gewicht des Cowboys gekonnt, ist sehr exakt abgestimmt und auf Höchstleistung getrimmt. Das Heck kündigt das Mitlenkbedürfnis freundlich mit langsam steigenden Nachdruck an und ist daher ein ziemlich zuverlässiger Partner bei der freudespendenden Jagd auf der Ideallinie. Auch die Lenkung ist ziemlich präzise, erreicht nur bei der Rückmeldung über die Beschaffenheit der Straßenoberfläche beziehungsweise der Traktion nicht ganz das Niveau der Steuerung in den BMW-M-Modellen. Die Achtstufen-Automatik stammt aus der Corvette und unterstützt den Vorwärtsdrang mit schnellen Gangwechseln. Wer es ernst mit der Rennfahrer-Karriere meint, klickt sich mit den beiden Wippen durch die Gänge und nutzt so die Kraft des maximalen Drehmoments von 603 Newtonmetern, die erst ab 3.500 U/min voll bereitstehen, aus. Der ATS-V will gedreht werden. Und bei dem wohlklingenden V6-Aggregat ist das kein Nachteil. Je nachdem, welchen Fahrmodus man wählt Tour, Sport, Track oder Ice verwandelt sich das Aggregat in eine knurrende und röhrende Bestie.

Passend zur Tonlage dies Triebwerks, wandelt sich auch die Attitüde des Cadillac ATS-V von möglichst weichgespült und komfortabel (Tour) bis hin zu “volle Attacke” bei Track. Dann wird dem Fahrer freie Hand gelassen, was angesichts der scharfen Abstimmung des Amis Freude und Herausforderung zugleich ist. Bleibt nur der Preis: Ab 69.900 Euro ist die Limousine zu haben, beim schicken Coupé sind es 72.500 Euro. “So viel Sportwagen, für diesen Preis. Was wollen Sie mehr?”, fragt Tony Roma. Eigentlich nichts, lautet die stille Antwort.

Sie möchten gerne weiterlesen?

press-inform