Zwei Industriemitarbeiter in Sicherheitsmontur / So wird die Produktion sicher

Sicherheit in der Automobilproduktion ist nicht nur eine Frage von Cybersecurity. Auch physisch müssen Mitarbeiter geschützt werden. (Bild: Adobe Stock / Gorodenkoff)

Als die tödlichen Schüsse im Werksgelände von Mercedes in Sindelfingen fielen, stand schnell die Frage im Raum, wie ein Gabelstapelfahrer eine Waffe ins Gelände schmuggeln und unentdeckt während der Arbeit bei sich führen konnte. Vorstandschef Ola Källenius zeigte sich schockiert, das Unternehmen versprach eine umfassende Analyse des Vorfalls. „Das Sicherheitskonzept für die Mercedes-Standorte soll bei Bedarf angepasst werden“, sagte ein Firmensprecher.

Ein Einzelfall, aber das Beispiel zeigt, wie facettenreich das Thema Sicherheits- und Risikomanagement an den Produktionsstandorten in der Praxis vorkommt. Neue Bedrohungslagen für die Corporate Security gibt es zuhauf. Denn während im Produktionswerk durch Automatisierung die Zahl vernetzter Geräte, Maschinen und Anlagen weiter voranschreitet, steigen in ähnlichem Umfang die Sicherheitsrisiken und Angriffspunkte vor Ort - nicht nur im Bereich der Netzwerke und IT-Systeme sondern auch bei der Zutrittskontrolle, den Einbruchmeldeanlagen, dem Brandschutz und der sogenannten Perimetersicherung. „Die Absicherung der Liegenschaften durch geeignete Schutzmaßnahmen ist für die gesamte Prozesskette unerlässlich“, bekräftigt Matthias Bohnert, Business Development im Automotive-Umfeld beim Sicherheits-Anbieter Securiton.

Spionage und Sabotage finden nicht nur online statt

Zwar gehören Fahrzeughersteller nicht zu den Betreibern Kritischer Infrastrukturen (KRITIS-Sektoren) dennoch ist die Gefahren- und Angriffsabwehr fester Bestandteil auf den Werksgeländen der Automobilbranche. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) hat hierfür ein eigenes Information Security Assessment (ISA) vorgelegt, das neben der Informationssicherheit auch den Prototyp- und Datenschutz betrifft. Dabei geht es nicht nur um die Abwehr von Hackerangriffen und anderen Cyber-Bedrohungen. Auf der Agenda der physischen Sicherheit stehen alle illegalen Aktivitäten wie Vandalismus, Spionage und Sabotage von Betriebsabläufen bis zur Gebäudeabsicherung und die grundstücksbezogene Perimeterüberwachung.

Das A und O sind gut ausgebildete und Hand in Hand agierende Sicherheitsteams, die sowohl mit Schadensereignissen, die aus dem Betrieb des Unternehmens selbst heraus entstehen können (Safety), als auch mit Angriffen von außen (Security) umgehen können. Ohne maßgeschneiderte Sicherungssysteme, die je nach individuellen Anforderungen Personal, Gebäude und andere Sachwerte überwachen und im Ernstfall Alarm auslösen, ist kein standfester Schutzwall gegen physische und virtuelle Attacken zu haben. Das strapaziert zwar die Kostenbudgets, zahlt sich aber durch erhöhten Sicherheitsstatus aus. Ein Merker im Pflichtenheft jedes Chief Security Officer (CSO): Unautorisiert darf niemand die Entwicklungs-, Produktions-, Test- oder Logistikumgebungen eines Standortes betreten oder verlassen.

Digitale Lösungen helfen bei physischer Sicherheit

Ohne Datenerhebung und schnelle Informationsverarbeitung geht bei Safety- und Security-Maßnahmen in OEM-Fabriken nichts mehr. „Der Fokus hat sich dahin entwickelt, dass die Informationsverarbeitung und -bereitstellung einen höheren Stellenwert erhalten hat“, sagt Christian Rentschler, Produktmanagement Videosicherheitssysteme bei Securiton. Beim Perimeterschutz stehen der klassischen Einzäunung des Werksgeländes längst intelligente Detektionssensorik und Videoüberwachung zur Seite. Das Stammwerk von Volkswagen in Wolfsburg etwa - mit einer Zaunlänge von 14,6 Kilometern eines der größten Produktionsstandorte der Branche weltweit - überwacht seine Werksgrenzen samt Zugangstoren mit 53 schwenkbaren Tag- und Nachtkameras. Besonders stolz ist die Wolfsburger Security auf eine unbemannte Drohne, die aus der Vogelperspektive Videobilder in Echtzeit über das Geschehen auf dem Werksgelände übermittelt. Die Luftüberwachung per drohnengestützter Videotechnik entlaste nach Werksangaben das Wachpersonal bei der Informationsbeschaffung und liefere sofort einen Überblick bei verdächtigen Vorkommnissen. Das Sicherheitsniveau am Standort, so heißt es, sei durch das Zusammenwirken stationärer und mobiler Aufklärungstechnik deutlich gestiegen.

Bei Securiton setzt man auf ein vernetztes Fünf-Stufen-Schutzkonzept mit intelligenter Videoüberwachung, das sowohl Grundstücksgrenze als auch Gelände, Luftraum, Gebäudeaußenhaut und Innenräume beinhaltet. KI-gestützte Videoanalysen bereiten die aktuellen Bilder nach zuvor erlernten Mustern – zum Beispiel die typische Vorgehensweise von ungebetenen Eindringlingen am Zaun – in Sekundenschnelle auf und unterscheiden nach Unternehmensangaben zuverlässig zwischen unerlaubtem Zutritt oder unauffälligem Verhalten. Ein weiteres Tool befasst sich mit der Luftraumüberwachung: „Die Kombination aus Boden- und Luftsicherung sind in der Praxis selten implementiert, daher stößt das Thema Drohnendetektion und -abwehr auf großes Interesse“, sagt Bohnert.

Batterieproduktion erfordert Verbesserungen im Brandschutz

Mehr Gewicht in den Sicherheitskonzepten der Fahrzeughersteller dürfte in naher Zukunft der Brandschutz bei der Herstellung und Lagerung von Lithium-Ionen-Batterien (LIB) erhalten. Nicht nur neue LIB-Fabriken sondern die gesamte Batterie-Wertschöpfungskette bergen Brandrisiken, die durch entzündbare Dämpfe und Stäube sowie technische Fehler etwa bei der Zellmontage entstehen. Exotherme Reaktionen und interne Kurzschlüsse führen zu einem unkontrollierbaren Ansteigen der Temperaturen, die entzündliche und für Mitarbeiter giftige Batteriegase freisetzen und sich schnell ausbreiten.

Bislang gibt es für eine effektive Brandbekämpfung noch keine verbindlichen Richtlinien für die Werksfeuerwehren. Versuchsreihen mit verschiedenen Löschmitteln und Forschungsprojekte für konstruktiv besser geschützte Lithium-Ionen-Akkus sind noch nicht abgeschlossen. Eine Studie von Siemens, TÜV Süd und der RWTH Aachen empfiehlt Gegenmaßnahmen – von der baulichen Trennung einzelner Prozessbereiche über die Installation intelligenter Branddetektoren und Löschanlagen, zum Beispiel auf Basis von Hochdruckwassernebel, bis zur Automatisierung spezieller Arbeitsschritte.

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