ZF-Testfahrzeug überholt ein anderes Fahrzeug

Zulieferer wie ZF stellen derzeit By-Wire-Technologien intensiv auf die Probe - denn ohne diese könnte die autonome Mobilität eine Utopie bleiben. (Bild: ZF)

Es ist der Traum eines jeden Fahrschülers. Der Hyundai Ioniq 5 parkt seitwärts in eine enge Lücke, ohne dass dafür das Lenkrad auch nur ein Hauch bewegt werden müsste. Die Koreaner nennen das Krabbenfahren. Der Trick: Alle vier Räder drehen sich im rechten Winkel zum Bordstein, was das raum- wie kurbelsparende Einparken ermöglicht.

Hyundai Mobis, die Bauteilsparte des Automobilherstellers, hat die neuartige Lenktechnologie in einem Video vorgestellt. Zu sehen ist, wie das e-Corner genannte System das Autofahrerleben in engen Innenstädten leichter macht. Dazu zählt auch die „Nulldrehung“, mit der man sich etwa aus engen Sackgassen befreien kann: Dabei werden die Vorderräder nach innen gedreht, während sich die Hinterräder nach außen drehen, womit ein 360-Grad-Turn möglich wird. Beim „Diagonalfahren“ werden alle vier Räder um 45 Grad in die gleiche Richtung bewegt, sodass man auch knapp Hindernissen auf der Straße auszuweichen kann.

Diese neue Form der Bewegungsfreiheit wird durch die Kombination aus Brake-by-Wire, Steer-by-Wire, Dämpfer und In-Wheel-Motoren möglich, die an jedem Rad montiert sind. Durch die frei beweglichen Rad-Lenkungs-Einheiten wird das Fahren in nie dagewesener Form flexibel.

Hyundai Mobis' Crab Walk im Video:

Warum Steer-by-Wire die Zukunft ist

Elektromobilität und Digitalisierung werden künftig also auch die Art, wie Fahrzeuge manövriert werden, neu definieren. OEMs und Zulieferer arbeiten an innovativen Lenk-, Radaufhängungs- und Achskonzepten. Was naheliegt, denn zum einen verfügen die meisten Elektroautos über mindestens einen Motor an einer oder beiden Achsen, wobei diese auch in den Rädern untergebracht werden können, wie man es von den Nabenmotoren bei Elektrorollern kennt.

Steer-by-Wire-Technologien werden seit Jahren entwickelt und demnächst in Fahrzeugen von GM, Lexus und Nio zu finden sein. Gestänge und Zahnräder sind dann obsolet: Stattdessen ist ein elektromechanischer Steller zwischen den Rädern die alleinige Quelle der Lenkkraft - eine mechanische Verbindung zwischen Lenkrad und Lenkgetriebe gibt es nicht mehr. Die Kommandos kommen von einem Lenkradaktuator im Cockpit. Er verfügt über Sensoren, die die Drehung erfassen, hat aber auch einen eigenen Antrieb. Über diesen reproduziert das System das natürliche Lenkgefühl und die Rückmeldung von der Straße.

Auf einen Blick: Was sind die Vorteile von Steer-by-Wire?

Steer by Wire Lenkung von Bosch
(Bild: Bosch)

Höhere Präzision: Da das System auf Elektronik basiert, sind die Lenkreaktionen präziser und schneller als bei mechanischen System

 

Verbesserte Kraftstoffeffizienz: Der Wegfall von mechanischen Komponenten reduziert den Energieverbrauch

 

Anpassungsfähigkeit: Steer-by-Wire-Systeme können leichter an die Vorlieben und Bedürfnisse des Fahrers angepasst werden. Sie können zum Beispiel verschiedene Lenkungsmodi für unterschiedliche Fahrbedingungen oder Fahrstile bieten

 

Sicherheitsverbesserungen: Durch fortschrittliche Algorithmen und Sensorik kann ein Steer-by-Wire-System potenzielle Gefahren erkennen und präventiv reagieren, um Unfälle zu vermeiden

 

Kompatibilität mit autonomem Fahren: Steer-by-Wire-Technologie passt gut zu den Anforderungen autonomer Fahrzeuge, da sie eine einfache elektronische Kontrolle der Lenkung ermöglicht

 

Haptische Rückmeldung: Obwohl es sich um ein elektronisches System handelt, können moderne Steer-by-Wire-Systeme durch haptische Rückmeldungen ein realistisches Lenkgefühl vermitteln

Was bieten Bosch und ZF in Sachen By-Wire?

Bei Bosch spricht man von „überragenden Vorteilen“ des Steer-by-Wire-Systems: „Weil hier die physische Verbindung zwischen Lenkrad und Rädern entfällt, eröffnet diese Technologie ein großes Feld an neuen Möglichkeiten, was auch diverse Folge-Innovationen wie Einzelradsteller oder komplett neue Cockpit- und Innenraumkonzepte ermöglicht“, sagt Gerta Marliani, Vorsitzende der Geschäftsführung der Robert Bosch Automotive Steering GmbH. So könne unter anderem das Lenkrad bei Steer-by-Wire versenkt oder verstaut werden, was vor allem für das Zeitalter des automatisierten Fahrens attraktiv sei. „Autonom fahrende Autos der Zukunft sind ohne solche Systeme nicht möglich“, ergänzt ein Sprecher von ZF.

Darüber hinaus bringe diese Technologie neue Sicherheitsfeatures im Bereich der Fahrdynamikregelung mit sich, sagt Marliani: So könne das Fahrzeug schon durch kleine automatisierte Lenkeingriffe stabilisiert werden, ohne dass der Fahrer am Lenkrad davon überhaupt Notiz nimmt. „Zudem lässt sich das Fahrgefühl eines Fahrzeugs individuell an die Anforderungen einzelner Fahrzeughersteller anpassen – von einer sportlicheren Übersetzung bis hin zu komfortableren Modi“, erklärt Marliani. Vorteile, die man bald schon zu spüren bekommen wird: „Wir möchten bis Mitte des Jahrzehnts Steer-by-Wire-Lenksysteme in Großserie auf den Markt bringen.“

Nach vielen Jahren der Erprobung wird auch ZF die neue Ära des Lenkens mit einer ganzen Reihe von By-Wire-Systemen einläuten: Steer-by-Wire einschließlich Hinterachslenkung, Brake-by-Wire mit integrierter Bremsregelung sowie eine elektronisch gesteuerte, aktive Dämpfung. „ZF bietet somit jegliche Dynamik - quer, längs und vertikal - by Wire“, fasst ein Sprecher des Zulieferers zusammen. Wobei im Fokus die Lenkung steht: Unter anderem mit dem Federbein-Vorderachskonzept Easy Turn, das im Fahrzeug einen Lenkeinschlagwinkel von bis zu 80 Grad ermöglicht. Aktuelle Vorderachsen schaffen etwa 40 Grad. Wende- und Parkmanöver gelingen dank des extrem hohen Radeinschlags deutlich einfacher. „So reduziert Easy Turn beispielsweise den Wendekreis eines typischen Mittelklasse-Pkws von zehn auf sieben Meter“, versichert der ZF-Sprecher.

Neben dem Vorderachs-Konzept hat ZF mit Active Kinematics Control (AKC) auch eine Lösung für die Hinterachse entwickelt: Dabei wird der Spurwinkel der Hinterräder verändert, sodass sich die Räder durch auf der Achse verbauten Aktuatoren um bis zu 12 Grad einschlagen lassen. Dadurch erhöht sich zum Beispiel die Wendigkeit beim Einparken, bei geringeren Geschwindigkeiten und im Stadtverkehr. Dies wird durch gegensinniges Einlenken der Hinterräder ermöglicht. Ebenso wird der Wendekreis des Fahrzeugs verkleinert. Gleichsinniges Einlenken der Hinterräder dagegen stabilisiert das Fahrzeug bei hohen Geschwindigkeiten (ab ca. 60 km/h) – insbesondere bei Ausweich- und Spurwechselmanövern.

Welche Vorteile hat By-Wire-Technik für den Fahrer?

Für Autofahrer brechen jedenfalls geradezu paradiesische Zeiten an: „Sie werden leichter einparken und manövrieren, weil sich der Lenkwinkel verändern und die Vorderrad- und Hinterradlenkung kombinieren lassen“, heißt es bei ZF, „Sie werden auch auf der Autobahn erheblich komfortabler fahren, da sich das Auto bei kritischen Fahrsituationen wie einem plötzlich ausbrechenden Heck leichter stabilisiert. Steer-by-Wire kann zu starke oder falsche Bewegungen des Fahrers am Lenkrad korrigierend ausgleichen.“

Und Hersteller profitierten von mehr Flexibilität. Angefangen bei der Innenraumgestaltung: Der Wegfall der Lenksäule ermöglicht eine leichtere Umsetzung für die Fahrzeugvarianten der Rechts- und Linkslenker sowie eine einfache Montage. „Das Wegfallen der Lenksäule eröffnet auch beim Frontend-Design neue Möglichkeiten, da im Fahrzeug mehr Platz zur Verfügung steht“, so der ZF-Sprecher. Dieser könne beispielsweise für einen Frunk (einen zusätzlichen Kofferraum unter der Fronthaube) genutzt werden.

„Heute ist die elektrische Lenkung die marktbeherrschende Technologie – könnte aber durch die Steer-by-Wire sukzessive abgelöst werden“, sagt Marliani, „Das wird zunächst in gewissen Bereichen Mehrkosten mit sich bringen, die aber durch eine Vielzahl neuer Sicherheits-, Dynamik- und Agilitätsfeatures im Vergleich zur elektrischen Lenkung schon bald überkompensieren können“, ist sie ist überzeugt.

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