Ein nicht ganz regenfreies Wochenende im ausklingenden Winter, ein paar Stunden Freizeit und ein unspektakulär spektakulärer Ferrari mit 740 PS – eine automobile Begegnung, wie sie nicht jeden Tag geschieht. Der Frühling kann kommen.

Samstag und Sonntag unterscheiden sich bei vielen mittlerweile kaum noch von den anderen Tagen der Woche. Klar, etwas Zeit für Familie und Freunde ist das eine, doch immer mehr müssen auch am Wochenende arbeiten. Ein paar Stunden Luft sind schwer aus dem prallen Kalender zu pressen – doch einen Ferrari F12 Berlinetta gibt es nicht alle Tage zu bewegen. Auch wenn die Sonne nicht gerade vom Himmel strahlt – das muss jetzt sein. Ehe es ins fahraktive Alpenvorland geht, steht die vermeintliche Spießrutentour durch die Münchner Innenstadt an. Doch wo bleiben hoch gereckte Daumen und gezückte Handykameras? Hier und da ein paar interessierte Blicke, doch wirkliches Aufsehen sieht bei einem Supersportler anders aus. Das liegt wohl nicht nur beiläufig an der silbermatten Lackierung und am Design des F12, dass sportlich, elegant, schick und sportlich, aber alles andere als martialisch daherkommt. Wo ein Lamborghini Aventador optisch wie akustisch brüllt und allenthalben für Aufsehen sorgt, hält sich der Berlinetta zurück, obschon er mit seinem 740 PS starken 6,3-Liter-V12-Triebwerk in der gleichen Leistungsklasse wie die Flunder aus Sant Agata residiert.

Ab ins Voralpenland

Der Ferrari F12 Berlinetta ist ein Supersportwagen, auf Wunsch bis zu 350 km/h schnell, doch die Münchner Stadtbevölkerung, Edel- wie Nobelkarossen und Sportwagen ähnlich gewöhnt wie VW Golf oder 3er BMW, kann mit dem F12 scheinbar wenig anfangen. Kaum jemand, der den Berlinetta nicht kennt, würde ihm die mehr beeindruckenden 545 kW / 740 PS zutrauen, mit dem das galoppierende Pferd aus Maranello jeden 911er-Fahrer im Klangstakkato ins Beschleunigungsnirwana katapultiert. Ferrari ist derzeit im Umbruch. Das liegt weniger an der Verpflichtung des Formel-1-Piloten Sebastian Vettel und seinem überraschenden Saisonsieg im zweiten Rennen. Ferrari hat mehr als viele andere Hersteller damit zu kämpfen, dass immer strengere Abgasvorschriften die Einführung von Turbomotoren in die elitäre Modellplatte erzwingen. So sind der California und der neue 488 bereits mit aufgeladenen Triebwerken unterwegs, während der mächtige V12-Sauger des F12 noch frei atmen kann und seine Leistung rein konventionell mit einer Direkteinspritzung produziert. 80 Prozent des des maximalen Drehmoments von 690 Nm stellt der Direkteinspritzer seinem Piloten bereits ab 2.500 U/min zur Verfügung – das hilft bei normaler Gangart in der City oder über Land. Ändert nichts daran, dass der potenten Zwölfzylinder erst oberhalb von 5.000 Touren so richtig Laune macht und sich auf Wunsch bis weit über die 8.000er-Marke ins Hirn des Piloten brennt.

So elegant und dezent-sportlich sich der 4,62 Meter lange Ferrari F12 von außen in Szene setzt – im Innern ist er ein echter Sportler. Die Schalensitze mit zugegeben eingeschränktem Verstellbereich passen sich überraschend perfekt dem eigenen Körper an. Hier lässt es sich auch auf längeren Strecken aushalten, obwohl einige Komfortfunktionen fehlen. Das Cockpit mit dem bekannten Schalterwirrwarr am Lenkrad ist dagegen Geschmackssache und fernab von edel. Wirklich schön oder gar nur praktisch ist es nicht. Das liegt an mäßig platzierten Bedienelementen für Blinker, Scheibenwischer und was man sonst noch so im Alltagsbetrieb braucht. Die Mittelkonsole und besonders die Bedienung für die Klimaautomatik mögen darüber hinaus nicht zu einem Auto der Weit-über-300.000-Euro-Liga passen. Die Schalter sind mitunter derart preiswert, dass sie einem Fiat Ducato nicht im Handwerkerkreis zu Auszeichnungen gereichen würden. Nicht viel besser: die Bedienung der beiden animierten Cockpitanzeigen links und rechts vom mittig implantierten Drehzahlmesser. Wilde Dreh- und Drückorgien wursteln einen in den Untermenüs herum oder lassen einen das nächste Navigationsziel eingeben. Besser, man weiß wie heute wohin es gehen soll. Ziel: kurvenreiche Straßen im Alpenvorland – Spaß: gigantisch. Gut für den Alltagsnutzen: der 320 Liter große Laderaum lässt sich auf 500 Liter erweitern wenn es mit dem Geschoss doch einmal etwas mehr als eine Tagestour ins Oberbayrische sein soll.

Münchner Gleichmut

Bereits noch im Stadtgebiet ist schnell zu spüren, dass die Münchner ihre Autoherzen nicht leichtfertig im Vorbeifahren verschenken, sondern der F12 auch ein paar Kilogramm auf die Waage bringt. Ein Leichtgewicht fährt sich anders, doch mit 740 PS und 1.630 Kilogramm Leergewicht muss man sich in Sachen Vortrieb keinerlei Sorgen machen. Erst einmal hinaus Richtung Bad Tölz fühlt sich der etwas ungelenk durch die City brüllende Doppelsitzer besser an. Ampeln, Kreuzungen und Tempolimits liegen hinter einem und so beschleunigt der Italo-Sportler im Handaufdrehen auf Tempi jenseits der 250er-Marke. Ein paar Minuten später auf der Landstraßen brennen sich die präzise Lenkung und das perfekte schaltende Doppelkupplungsgetriebe in Herz und Kopf des Piloten. Mit der Launch-Control geht es in 3,1 Sekunden auf Tempo 100. Noch spektakulärer sind jedoch die 0 auf 200 km/h in 8,5 Sekunden, denn hier hat der F12 kaum Gegner, sondern eher Opfer. Doch es geht auch andersherum. Aus Tempo 200 verzögert der Italiener in 131 Meter bis zum Stand – abhängig von Reifen, Temperatur und Fahrbahnoberfläche. Die selbst mit Winterreifen beeindruckende Bremsleistung hat einen guten Grund. Karbonbremsscheiben mit beachtlichen Durchmessern (398 mm vorn / 360 mm hinten) machen jedem Tatendrang des F12 schnell den Garaus. Die Rückmeldung im strammen Bremspedal: selbst im schnellen Ritt auf den Alpenstraßen prächtig.

Vergleicht man den Ferrari F12 Berlinetta mit dem vorherigen 599 GTB ist er nicht nur auf der Vorderachse agiler; er bringt die Motorleistung trotz Winterreifen und mäßiger Temperaturen deutlich besser auf die Fahrbahn um diese in geradezu illusorischen Vortrieb umzuwandeln. Ein elektronisches Differenzial kann die Motorleistung dabei in engen Kehren auf das kurvenäußere Rad legen. Das Fahrverhalten lässt sich dabei nicht nur Strecke und Tatendrang des Piloten, sondern auch durch die Fahrprogramme beeinflussen, die sich über den bekannten Drehschalter am Armaturenbrett variieren lassen. Der Race-Modus hat dabei auf kühler Landstraße nichts zu suchen. Im Fahrmodi “wet” ist man bei kühlem Wetter, leichter Restnässe und Winterreifen mit Abstand am besten bedient und ist trotzdem alles andere als langsam. Sonst ist der normale Sportmodus mit bissigerer Gasannahme weniger Regeleingriffen die rechte Wahl.

Überraschend zurückhaltend schlägt sich der mindestens 320.000 Euro teure Ferrari F12 Berlinetta beim Realverbrauch – zumindest angesichts des erwarteten. Trotz flotter Gangart drückte er weniger als 17 Liter durch die Einspritzdüsen – gerade einmal zwei Liter mehr als in Aussicht gestellt. Da kann man angesichts des gebotenen Engagements auf Geraden und in Kurven nicht maulen. Doch es bleibt die Frage, wie lange sich Ferrari derartige prächtig tönende Zwölfender ohne jede Zwangsbeatmung noch erlauben kann? Denn auch ein Supersportler darf an den Schreibtischen in Brüssel, Berlin, Peking oder Washington wohl nicht mehr lange derartige Trinkqualitäten an den Tag legen. Besser man genießt das hier, jetzt und heute – die Rückfahrt Richtung München muss ja nicht auf dem direkten Wege sein und das Wetter scheint zu halten. Immerhin hat gerade ein Milchbauer von seinem Traktor den Daumen hochgereckt. Der muss am Wochenende auch arbeiten.

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