Staus und Geschwindigkeitsbegrenzungen machen das bekannteste Oldtimerrallye der Welt zu einer Gleichmäßigkeitsfahrt ohne sportlichen Wert. Obendrein rebellieren Umweltbehörden, Bürgermeister und Gemeinden gegen das Spektakel – die Mille Miglia hat es schwerer denn je. [mit Fotostrecke]
Wer sich mit einem gewaltigen Schlachtross wie dem Bentley Blower 4,5 Litre Supercharger, dem spektakulären BMW 328 Mille Miglia Roadster oder dem grandiosen Alfa Romeo 6C 1750 durch die historischen Innenstädte von Parma oder Ferrara kämpft und Hände von Kindern abklatscht, während es kurvenreich hinauf nach San Marino geht oder einmal auf die Piazza del Campo in Siena gerollt ist, wird dies kaum vergessen. Die Menschenmassen applaudieren, sind begeistert und lassen sich die Teilnehmer als automobile Gladiatoren fühlen, die das Land einst in Rekordzeiten von kaum mehr als zehn Stunden durchpflügten – von 1927 bis 1957 wohl gemerkt im öffentlichen Straßenverkehr von Brescia bis Rom und wieder zurück. Die phantastischen Durchschnittsgeschwindigkeiten von über 150 Kilometern pro Stunde auf der über 1.700 Kilometer langen Gesamtstrecke sind damals wie heute unvorstellbar. Seit den späten 70er Jahren ist die Mille Miglia eine Gleichmäßigkeitsfahrt für Oldtimer ohne realen sportlichen Wert. Doch das Renomee, was diese mittlerweile auf vier Tage ausgewälzte Tour durch Italien mit sich bringt, lässt sich allenfalls mit Oldtimerveranstaltungen wie der Villa d’Este am Comer See oder dem spektakulären Concours d’Elegance im kalifornischen Pebble Beach vergleichen.
Millionengeschäft Mille
Wo sonst sind spektakuläre Vorkriegsmodelle wie Mercedes SSK, Bentley Blower oder die einst exklusiven OM-Modelle aus der Start-Stadt Brescia in bewegter Fahrt einmal auf den schönsten Straßen Italiens zu bestaunen? Wo können sich Oldtimerfans aus der ganze Welt sonst einmal Rennwagen wie einen Ferrari 315, einen Mercedes 300 SLR oder einen Jaguar XK 120 anschauen, mit Piloten sprechen oder den emsigen Mechanikerteams fachsimpeln? Die Warteliste, zur Mille Miglia zugelassen zu werden, ist lang. Viele Teilnehmer warten mit ihren automobilen Rennpreziosen Jahre, ehe es in Brescia an den Start zur Mille Miglia geht.
Doch auch wenn Hunderttausende von Zuschauer jubeln, die teilnehmenden Autohersteller den Mille-Miglia-Tross durchs ganze Land zu einer gewaltigen Marketingveranstaltung machen und der Veranstalter mit stolz geschwellter Brust durch den elitären Kreis den knapp 450 Oldtimer stolziert, wird die Kritik an der Veranstaltung von allen Seiten lauter. Die Ausweitung von zweieinhalb auf gut dreieinhalb Tage, um den publikumsträchtigen Sonntag einzuschließen, nimmt den einst überlangen Etappen von weit mehr als zwölf Stunden ihren Schrecken, aber auch ihre Einzigartigkeit. Während sich zahlreiche Kommunen darum bewerben, dass der ertragreiche Mille-Miglia-Tross bei ihnen ertragreiche Durchfahrt hält, machen andere Gemeinden die Schotten dicht. Noch schlimmer für die Teilnehmer: mit der begleitenden Polizei besteht zwar während der Mille Miglia eine ungeschriebene Regelung, die geltenden Verkehrsbeschränkungen weitgehend außer Kraft zu setzen, einige Gemeinden sehen das aber anders. So gab es im vergangenen Jahr immer wieder saftige Bußgelder und somit kurz vor der diesjährigen Veranstaltung unangenehme Post aus Italien mit entsprechenden Zahlungsanforderungen – mittlerweile erfolgreich vollstreckbar von deutschen Ordnungsbehörden.
Gemeinden grummeln – und jubeln
500 bis 1.000 Euro oder mehr kommen hier schnell zusammen. Für die meisten Teilnehmer angesichts einer Teilnahmegebühr von rund 7.000 Euro und dem einzusetzenden Oldtimer aus der Zeit der echten Mille Miglia von 1927 bis 1957 im Wert von zumeist hunderttausenden bis Millionen von Euro nicht mehr als eine artgerechte Vergnügungssteuer. Doch es geht vielen hier ums Prinzip. Die jahrzehntelange Unantastbarkeit der “kleinen Reise um die Welt” ist längst gestört. Umweltbehörden poltern, Bürgermeister toben und immer mehr Mille-Miglia-Anrainer wollen den millionenschweren Luxustross nicht mehr durchs Land rasen sehen, so schön Mercedes 300 SL Flügeltürer, Porsche 356 oder die historischen OM-Modelle zu Beginn des Starterfeldes auch sein mögen. Denn jeder weiß, dass nicht die rund 80 Wertungsprüfungen auf Gleichmäßigkeit den Reiz der Rallye ausmachen und es vielen auch nicht darum geht, Kinderhände in Buonconvento, Peschiera oder Rom zu schütteln, sondern weitgehend verkehrsrechtsfrei mit einer automobilen Legende durch einige der schönsten Regionen von Italien zu donnern, während das Publikum am Straßenrand Fahnen schwenkt und die Piloten bejubelt.
Der Veranstalter müht sich nach Leibeskräften, jenen Spagat aus Geneigtheit für zahlungskräftige Teilnehmer, unterstützende Autoindustrie, grummelnde Ordnungsbehörden und Kommunen hinzubekommen. Doch während die Teilnehmer jubeln und die Zuschauer jedes Jahr aus England, Deutschland oder Belgien an die Strecke der Mille Miglia pilgern, wird die Kritik an der allenfalls mäßigen Organisation der 1.700-Kiometer-Tour lauter. So genannte Pace Cars bremsen die geschwindigkeitssüchtigen Heroen der Landstraße in einzelnen Gruppen mehr ein als in den Jahren zuvor und zwingen diese zu automobilen Gänsemärschen. Das können sich die Gladiatoren der Neuzeit natürlich nicht gefallen lassen – und kommen im nächsten Jahr doch sicher wieder. Schließlich gibt es so ein Oldtimerrennen nur einmal auf der ganzen Welt.