Ein Elektroauto hat bekanntlich Vor- und Nachteile. Da wären das lautlose Fahren, das sofort anliegende Drehmoment, ein geringerer Bremsenverschleiß und so weiter. Gleiches gilt für die seit Jahren wiedergekäuten Nachteile wie eine zu schlecht ausgebaute Infrastruktur, hohe Anschaffungskosten und das Gefühl, trotz gerade vollendeter Ladung im Geiste schon wieder auf Reserve zu fahren. Doch was heißt das überhaupt? Ein mehrwöchiger Praxistest bringt erste Erkenntnisse. Name des Testobjektes: Der ab 31.289 Euro exklusive monatlicher Batteriemiete kostende Nissan e-NV200 Evalia. Ein Fünfsitzer im Kleid eines Kastenwagens. Der Traum einer Großfamilie. Oder etwa nicht?
Eine Grundvoraussetzung für den Erwerb eines Elektroautos, egal welchen Formats, sollte die Möglichkeit sein, es auch Zuhause aufladen zu können. Eine mit einem elektrischen Anschluss versehene Garage oder ein Carport muss sein. Besteht diese Möglichkeit nicht, Finger weg! Auch, wenn einem von vielen Seiten her weißgemacht wird, dass ja das Aufladen entweder in der Arbeitsstelle oder an einer der zahlreichen Ladestationen diese Lücke wettmachen kann. Es stimmt einfach nicht. Ein Stromauto möchte ja auch mal am Wochenende bewegt werden, was den Tipp mit der Arbeitsstelle schon mal zunichtemacht. Und die so schön ausgemalte Theorie mit den eigentlich ja fast schon zahllosen Ladesäulen, stimmt nur zum Teil. Der Nissan e-NV200 Evalia kann aber dafür überhaupt nichts. Er überzeugt schon auf den ersten Blick durch sein modernes Äußeres, was ein wenig über die Tatsache hinweghilft, dass er ja eigentlich als Nutzfahrzeug konzipiert worden ist. Na gut, die Blattfedern an der hinteren Starrachse schaffen es nicht ganz diese ursprüngliche Konstruktionsidee während der Fahrt auf unebener Straße zu überspielen - zu hart und sprunghaft wirkt die Hinterachse. Aber dafür bietet der Evalia genau das, wovon eine Großfamilie träumt: viel Platz.
Mit viel Platz sind mindestens 2.300 Liter Gepäckraum gemeint. Wird die Rückbank umgeklappt, kommen nochmals 800 Liter hinzu. Das Besondere ist aber noch nicht einmal das pure Volumen, sondern die Tatsache, dass mit einem Einkaufswagen sogar ein Stückchen in den Kofferraum hineingefahren werden kann. Zu verdanken haben es seine Besitzer der mit 52 Zentimeter sehr niedrig ausgefallenen Ladekante. Gleichzeitig bietet die sehr gewaltige und nach hinten sehr viel Platz zum Aufschwingen benötigende Heckklappe einem 1,90 Meter-Menschen stehend Unterschlupf. Bei Regen eine geradezu perfekte Konstellation. Der Innenraum ist spartanisch, oder wie ein Familienvater sagen würde, leicht zu säubern mit viel Plastik und wenig Schnörkel ausgestattet. Ablagefächer, Klapptische und die Möglichkeit drei Sitzerhöhungen nebeneinander auf der Rückbank zu installieren sprechen für ihn. Einzig die wie Schießscharten geschnittenen kleinen Schiebefenster an den beiden, für enge Parksituationen sehr praktischen Schiebetüren sind nicht gerade kinderfreundlich. Interessant ist hingegen, dass diese Türen während der Fahrt gar nicht geschlossen sein müssen. Zumindest gibt es kein darauf hinweisendes Piepen, sollten sie aus Versehen oder mit purer Absicht offen gelassen worden sein.
Aldi Süd macht es vor
Ist der Nissan e-NV200 Evalia erstmal beladen, verhält er sich auf der Straße wie ein typischer Stromer. Bei volldurchgedrücktem Strompedal sorgen 254 Newtonmeter ohne Verzögerung für eine flotte Beschleunigung. Dabei wird leider auch direkt klar, dass die 15 Zöller an der Vorderachse für derlei Aktionen nicht wirklich erdacht sind. Wird auch nur eine leichte Kurve bei gleichzeitig starkem Beschleunigen gefahren, geht es über die durchdrehenden Vorderräder gen Seitenstreifen. Für 109 PS nicht schlecht, denkt sich der Pro-Stromer. Elektroauto unerfahrene Passagiere kommen zudem aus dem Staunen nicht mehr heraus, soviel sei versprochen. Wer den rechts unterhalb der Lenksäule positionieren Knopf zur Deaktivierung der akustischen Warngeräusche drückt, hat nicht nur beim Rückwärtsfahren kein Eismann-Klingeln, sondern auch beim langsamen Vorwärtsfahren auch nicht mehr das UFO-ähnliche Summen im Ohr. Was er so schnell nicht aus seinem Kopf verbannen kann, ist die Tatsache, dass die mit 170 Kilometern angegebene Reichweite bei 100 Prozent vollgeladener 24 kW-Lithium-Ionen-Batterie niemals zu erreichen sein wird. Werden bei einem realen Fahrverhalten, sprich bei Nutzung von Autobahn, Landstraße und im Stadtverkehr 120 Kilometer erreicht, ist dies schon ein Grund zu feiern. Vor allem die Fahrt auf der Autobahn wird zu einem regelrechten inneren Kampf und weckt ungeahnte Züge in einem. Tempolimits, je niedriger sie ausfallen umso besser, werden dankend zur Kenntnis genommen und strikt eingehalten. Jedes weitere kmh schmälert die Reichweite um ein Vielfaches. Na gut, die mit 123 Kilometer pro Stunde angegebene Höchstgeschwindigkeit lässt sich laut digitalem Tacho um satte 13 km/h toppen. Aber das macht jeder Nissan-Fahrer nur ein einziges Mal. Zu hoch ist der Kilometerpreis. Da fragt sich der Kunde natürlich völlig zurecht: "Warum zahle ich eigentlich mindestens 86,87 Euro pro Monat für die Batteriemiete, wenn die doch nur so wenig Kapazität hat?" Er kann froh sein, dass er nur so wenig zahlt. Wer sich für eine Laufzeit von zwölf Monaten und eine jährliche Laufleistung von 25.000 Kilometer entscheidet, wird mit 149,49 Euro zur Kassen gebeten - monatlich versteht sich. Versteckte Kosten, die den Elektro-Bulli teurer denn je machen, denn dafür ließe sich einiges an fossilem Kraftstoff tanken.
Wird der Strom also mal wieder knapp, gibt es verschiedene Möglichkeiten sich welchen zu beschaffen. Beim Nissan e-NV200 Evalia wären das derer drei. Über die haushaltsübliche Steckdose innerhalb von zehn Stunden. Pro zehn Prozent-Ladegewinn darf hier demnach mit einer Ladestunde gerechnet werden. Per Wallbox zuhause oder an der Ladesäule an der Straße in der Hälfte der Zeit oder per Schnelllader namens CHAdeMO, dem Akronym von Charge de Move, einer Ableitung von Charge for moving. Einem Gerücht zufolge soll CHAdeMO eine Ableitung vom japanischen Satz O cha demo ikaga desuka - was mit "Wie wäre es mit einer Tasse Tee?" zu übersetzen wäre. Der Name weißt demnach schon auf die Tatsache hin, dass in nur einer halben Stunde, also einer Teepause, die Batterie bis zu 80 Prozent wieder aufgeladen werden kann. Danach ist zum Schutze der Batterie aber auch Schluss. Der Discounter Aldi Süd hat einige seiner Filialen mit solch einer Ladestation ausgestattet. Und da nahezu kein Familieneinkauf in weniger als 30 Minuten zu schaffen ist, wirkt dies nicht nur perfekt. Es ist perfekt. Was diese Perfektion abrundet, ist die Tatsache, dass der zur Ladestation dazugehörige Parkplatz blau markiert und für Verbrennungsfahrzeuge gesperrt ist. Und genau da liegt das Problem der öffentlich zugänglichen Ladesäulen. "Bisher war es Kommunen wie Essen oder auch Dortmund noch nicht erlaubt, Ladepunkte mit Park- oder Halteverboten für Verbrenner auszuweisen. Für uns ist das doppelt unerfreulich. Unsere Kunden sind unzufrieden und beschweren sich bei der Kommune und bei uns. Gleichzeitig können wir hier keinen Umsatz aufgrund von Verbrennern verbuchen, der jedoch zur Amortisation der Säulen eingeplant ist", erklärt mit Harald Fletcher der Leiter Kommunikation RWE Effizienz. Und weiter: "Erst mit dem neuen Gesetz für Elektromobilität ist Kommunen erlaubt, Parkplätze für Emobilität gezielt auszuweisen. Wir begrüßen das selbstverständlich."
Strom aus... was nun?
Spannend zu beobachten ist allerdings, dass dieses Elektromobilitätsgesetz zwar am 12. Juni 2015, also vor über einem Jahr, in Kraft getreten und im Bundesgesetzblatt veröffentlicht ist, sich aber nahezu nichts geändert hat. Was das für Auswirkungen in der Praxis hat, macht den Kauf von Elektroautos für Autofahrer, die keine Möglichkeit haben daheim aufzuladen, völlig zunichte. Denn so viele Applikationen es zum Auffinden von Ladesäulen inklusive Verfügbarkeitsanzeige auch gibt. Es gibt noch keine einzige Smartphone-, PC- oder auch Nissan Connect-App, die einem zu irgendeinem Prozent versichern kann, dass der dazugehörige Parkplatz auch frei ist. Nur um ein Beispiel aus dem Praxistest zu nennen: Nach zehnmaligen Vorbeifahrten zu jeder nur erdenklichen Tages- und Wochenzeit an der RWE-Ladesäule in der Humanstraße 3 in Essen waren dort immer die beiden dazugehörigen Parkplätze besetzt. Was aber auch völlig klar ist. Denn diese beiden Parkplätze gehören zu den wenigen Chancen, möglichst nahe der Fußgängerzone zu parken. Und wenn es nicht verboten ist, wer soll es den Verbrenner-Fahrern verübeln?
Schafft es der Fahrer des Nissan e-NV200 Evalia dann doch einmal solch eine Ladesäule zu nutzen, gibt es drei mögliche Bezahlvorgänge. Erstens: Mit dem die Ladesäule betreibenden Unternehmen im Vorfeld einen Vertrag eingehen. Wird sich die Ladekarte der Stadtwerke Düsseldorf kostenfrei besorgt, darf sogar gratis Strom getankt werden. Und das auch im Parkhaus P7 des Düsseldorfer Flughafens. Das Problem ist hier: Die Chance einen der vier für Stromer reservierten Parkplatz zu bekommen ist nicht garantiert. Und wer dort einmal parkt und zwei Wochen im Urlaub ist, bleibt dort auch stehen. Hier muss eine weitere Lösung gefunden werden. Wird mit RWE ein 4,95 Euro im Monat kostender Vertrag eingegangen, bezahlen die Kunden 30 Cent pro Kilowattstunde an den jeweiligen Ladesäulen. Der Tankvorgang wird per Smartphone-App oder Hotline-Anruf initiiert und auch bezahlt. Die zweite Möglichkeit ist, sich von einem Fremdanbieter wie TheNewMotion eine kostenfreie Karte zu bestellen und auf die monatliche Grundgebühr zu verzichten, dafür aber einen fast doppelt so hohen Kilowattstundenpreis zu bezahlen. Gleichzeitig kann mit dieser Karte in ganz Europa bezahlt werden. Die dritte Möglichkeit ist die zugleich auch irrsinnigste. Wer über keinerlei Karte oder Vertrag verfügt kann per PayPal oder Kreditkarte zahlen. Das Zauberwort lautet hier Zeit- beziehungsweise Stundentarif. Und der hat es in sich. Mindestens 4,95 Euro für elf Kilowattstunden werden hier pro Stunde fällig. Wird fast leer an solch einer Ladesäule per Kreditkarte getankt, werden nach den benötigten zwei Stunden 9,90 Euro abgezogen - voll ist der Nissan dann natürlich noch nicht. Im Test hat er nach exakt 60 Minuten 40 Prozent hinzugewonnen.
Zu beachten ist schon auf dem Weg zur Ladestation der Weg selbst. Was sich wirr liest, ist durchaus ernst gemeint. Werden nur noch 15 Reichweiten-Kilometer im futuristisch anmutenden Display des Nissan e-NV200 Evalia angezeigt und die Ladesäule liegt nur ein paar Kilometer entfernt, mag der Stromer-Unerfahrene Fahrer denken "Kein Problem". Zugegeben, das ist es wirklich nicht, wird in den flachen Niederlanden oder noch besser ausschließlich bergab gefahren. Dann ist es sogar so, dass sich durch die Rekuperation von Bremsenergie die Reichweite vergrößert, noch bevor das Ladekabel eingesteckt ist. Liegt zwischen Ausgangspunkt und Säule jedoch eine leichte Steigung, könnte diese bereits den Plan durchkreuzen, da jeder noch so kleine Anstieg die Reichweite brutal in den Keller treibt. Ein Anstieg ist schlicht und ergreifend der hässlichste Feind im Leben eines Stromers. Da hilft dann auch kein Eco-Fahrprogramm oder eine per Automatikwahlhebel auferlegte verstärkte Rekuperation. Geht der Strom dann tatsächlich einmal noch vor Erreichen der Ladesäule zur Neige, stellt sich die große Frage "Was nun?" Und genau an der Stelle scheiden sich die Geister. Nissan vertritt ganz klar den längerfristig gesehen materialschonenderen Standpunkt und rätausschließlich zum Abschleppen per Anhänger. Andernfalls könnte der Motor beschädigt werden. Dem gegenüber gibt es nicht nur einen Videobeweis, der zeigt, dass durch das Abschleppen im D-Modus und gleichzeitigem leichten Bremsen die Batterie sogar wieder aufgeladen werden kann. Die dadurch gewonnene Reichweite entspricht zwar nur zu zwei Dritteln der Wahrheit, doch scheint auch dies zu funktionieren. Wer länger was von seinem praktischen Nissan e-NV200 Evalia haben möchte, der lädt ihn einfach rechtzeitig.