74. Eine Zahl, mit der Porsche-Fans im ersten Moment den ersten 911 Turbo oder gleich die ganze Generation G-Modell verbinden dürften. Doch wäre dies ja die Jahreszahl 1974. Die Zahl 74 allein steht aktuell für etwas ganz Besonderes. Denn auf Seite 74 des Handbuchs vom neuen Porsche 911 GT3 steht präzise beschrieben, wie die Launch Control, sprich der Raketenstart funktioniert. Der eine oder andere von sich überzeugte Autofahrer wird wahrscheinlich denken "Brauch ich nicht". Doch weit gefehlt.
Wenn 500 PS einzig und allein über zwei im Heck verankerte 30,5 Zentimeter breite Gummis an der Asphaltdecke angreifen, kommen auch Profis an ihre Grenzen. Also: Bremse mit links treten, das Gaspedal bis zum Bodenblech drücken, den Tanz der Drehzahlnadel bewundern und die Bremse lösen. Als wenn Captain Kirk den Befehl zur Warpgeschwindigkeit gegeben hätte, verschwimmt die Umgebung zu einem Einheitsbrei und der sagenumwobene Tunnelblick wird zur Realität. Das dabei ohrenbetäubende Sechszylinder-Boxermotorengekreische, das innerhalb von vier Litern Hubraum entzündet und am heißen Hintern knapp einen halben Meter unterhalb des gewaltigen Heckflügels aus zwei Endrohren in die Außenwelt dröhnt, könnte kaum standesgemäßer klingen. Für besonders hart gesottene Sound-Fans bietet Porsche noch die Klappenauspuff-Taste an. Ein weiteres Bestellargument für diese Nachbarschaftskrieg-Taste ist, dass sie nicht nur für einen basslastigeren Auspuff-Klang, sondern auch für ein leicht erhöhtes Drehmoment im Teillastbereich sorgt.
Auch als Reisebegleiter geeignet
Doch all das spielt eigentlich kaum eine Rolle, wenn die PDK-Sport-Taste gedrückt wurde. Denn in diesem Falle nordet sich die Drehzahlnadel erstmal richtig ein und es wird mit einem Male laut. Nun scheint jeder automobile Muskel so gespannt, als stünde er mit seinen Reifen in einem überdimensionalen Startblock. Von langen Urlaubsfahrten sollte in diesem Modus nicht einmal geträumt werden. Jetzt werden natürlich viele behaupten, dass ein GT3 aufgrund seines Mini-Gepäckabteils unter der vorderen Haube eh nicht zum Reisebegleiter taugt. Doch da irren sie sich. Denn in seiner Rohfassung ohne Käfig und Carbonschalensitzen wirkt der Raum hinten den beiden Sitzen wie eine gewaltige Gepäckoase. Na gut, Überseekoffer lassen sich aufgrund der recht begrenzten Ladeluke zwischen Chassis und Sitz nicht so leicht hineinwuchten. Doch der Platz wäre da.
Ein 152.416 Euro teurer Porsche 911 GT3 war und ist aber im eigentlichen Sinne eine reine Fahrmaschine mit nun 25 PS mehr Leistung, 20 Newtonmeter mehr Kraft und 0,2 Litern mehr Hubraum. Gleichzeitig konnte der Abtrieb durch den gewaltigen Heckflügel auf 155 Kilogramm gesteigert werden. Zusammen mit der Hinterachslenkung eine perfekte Voraussetzung für rasante Kurvenfahrten. Wer jetzt glaubt, dass ein 500 PS-Heckantriebsmonster wie ein rohes Ei durch enge Kurven pilotiert werden muss, der irrt erneut. "Ich lasse immer alle Helfersysteme an, dann weiß ich, ob ich gut fahre, oder, wenn ein Licht angeht, dass ich schlecht fahre", verrät auch Rennfahrer-Legende Walter Röhrl mit seinem typisch verschmitzten Gesichtsausdruck. Dass er am liebsten den ebenfalls erhältlichen Sechsgang-Handschalter fährt, verrät er natürlich auch noch. Nichts desto trotz rechnet Porsche mit einem signifikant höheren Siebengang-Doppelkupplungs-Getriebe-Anteil.
Automatik kennt perfekten Schaltpunkt selbst
Und das ist angesichts der perfekten Schaltvorgänge in keiner Weise verwunderlich. Ob hoch oder runter, die Automatik kennt den korrekten Schaltpunkt noch vor dem Fahrer selbst. Das Einzige, was der Mensch noch machen muss, ist die unglaublich direkte Lenkung zum richtigen Zeitpunkt zu bedienen. Ach ja: Und die Geschwindigkeit im Auge behalten. Denn die ist schneller in die verbotene Zone gejagt, als einem lieb ist. Aus dem Stand bis Tempo 100 vergehen 3,4 Sekunden. Weitere 100 Kilometer pro Stunde kosten die beiden Insassen weitere 7,6 Sekunden. Der Physik muss erst bei Tempo 318 nachgegeben werden.
Der Handschalter schafft sogar 320 Sachen, da das PDK-Getriebe einen schlechteren Wirkungsgrad aufweist. Die 17 Kilogramm Mehrgewicht spielen in solch Tempo-Zonen keine Rolle mehr. Sehr wohl eine beeindruckende Rolle spielen die bis zu 41 Zentimeter im Durchmesser großen Bremsscheiben, die für eine brachiale und magenzermürbende Verzögerung sorgt. Hier haben sich die Ingenieure bestimmt gedacht: "Wenn der Kunde schon wie eine Rakete nach vorn schießen möchte, dann kann er auch wie eine Raumkapsel am Boden landen." Nur schön, dass diese Boden-Boden-Rakete lediglich 65, beziehungsweise auf Wunsch 90 Liter Treibstoff mit sich führen kann. Sonst würde dieser Ritt in der Carbon-Kugel zu einem Ritt auf dem Pulverfass gleichkommen. "Aber immerhin einem Pulverfass mit einem Saugmotor", werden seine Fans angesichts der Tatsache, dass er im Turbo-Teich als letzte Sauger herumschwimmt, mit einer Träne im Auge sagen. Aber, wer weiß. Vielleicht bleibt er ja doch nicht der Letzte. Die Hoffnung stirbt zuletzt.