Stahleinsatz im Autobau / Wie grün ist grüner Stahl wirklich?

Zahlreiche Hersteller setzen inzwischen auf grünen Stahl. Doch wie nachhaltig ist der Rohstoff wirklich? (Bild: BMW)

Die Fahrzeugindustrie ist Großabnehmer für die Stahlkocher. Das flüssige Roheisen aus dem Hochofen ist ein leistungsfähiger Konstruktionswerkstoff für Karosserie, Antrieb und Interieur. Rund 26 Prozent der jährlich produzierten Stahlmenge von 40,2 Millionen Tonnen gehen nach Auskunft der Wirtschaftsvereinigung Stahl in die Fahrzeugfertigung. Das Dilemma: Bei den chemischen Reaktionen in den kohlebefeuerten Hochöfen entsteht CO2, knapp zwei Tonnen Kohlendioxidemissionen je Tonne Rohstahl.

Die miserable CO2-Bilanz ist jedem Kilmaschützer ein Dorn im Auge. An guten Vorsätzen, das zu ändern, mangelt es nicht. Alle OEMs bekennen sich zu mehr Nachhaltigkeit in den Lieferketten und der Produktion, dazu gehört auch eine emissionsfreie, kreislauffähige Rohststoffstrategie. Die Stahlindustrie beschwört fossilfreien, grünen Stahl, der klimaneutral erzeugt werden soll und sieht sich bereits als Vorreiter auf dem Weg in eine nachhaltigere Zukunft.

Grüner Wasserstoff ist nicht serienreif

Zwei Hindernisse stellen sich den couragierten Vorsätzen in den Weg: Energieaufwand und Kosten. Um eine bessere Ökobilanz zu erhalten, müssen die Hochöfen abgeschaltet und durch wasserstoffbetriebene Direktreduktionsanlagen ersetzt werden. Die Crux der bisherigen Stahlgewinnung liegt darin, dem Eisenerz durch Einsatz von fossilen Brennstoffen wie Kokskohle den Sauerstoff zu entziehen. Dabei entsteht prozessbedingt CO2. Die Sauerstoffreduktion von Eisenerz durch Wasserstoff statt Kohle umgeht zwar CO2-Emissionen, setzt aber eine kostengünstige und energieeffiziente Wasserstoff-Produktion voraus. Die ist bislang nicht in Sicht.

Das gilt auch für die alternativen Direktreduktionsanlagen. Der dafür eingesetzte Schachtofen entzieht dem Eisenerz bei etwa 1.000 Grad Celsius den Sauerstoff und erzeugt Eisenschwamm, der über einen stromintensiven Schmelzprozess mit Hilfe eines Elektrolichtbogenofens zu flüssigem Roheisen – ein Zwischenprodukt auf dem Weg zum einsatzreifen Stahl – weiterverarbeitet wird. Gänzlich ohne CO2-Emissionen geht das bislang nicht, denn statt Kohle kommt Erdgas zum Einsatz. Wer seinen Stahl auf dieser Verfahrensstufe als grün bezeichnet, betreibt strenggenommen Greenwashing.

Welche Investitionskosten auf die Stahlhersteller zurollen, lässt sich am aktuellen Dekarbonisierungsprojekt von Thyssenkrupp ablesen: Zwei Milliarden Euro legen der Bund und das Land Nordrhein-Westfalen auf den Tisch, um den Bau und Betrieb der ersten Direktreduktionsanlage von Thyssenkrupp Steel anzustoßen. Für den wasserstoffbasierten Betrieb müssten nach eigenen Angaben noch zusätzlich 500 Windräder an den Start gehen, die den erforderlichen emissionsfreien Strom zur jährlichen Herstellung der benötigten 143.000 Tonnen Wasserstoff liefern. Bei Fertigstellung zum Jahresende 2026 wird deshalb zunächst Erdgas für die Sauerstoffreduktion herhalten müssen – Netto-Null ist das nicht.

Green Steel hat keine verlässliche Definition

Grüner oder fossilfreier Stahl ist bislang noch nicht eindeutig definiert, es gibt weder vorgeschriebene Standards für die Herstellung noch genügend Transparenz zur Kontrolle der Herstellungsprozesse. Doch die Stahlbranche arbeitet nach eigenen Angaben mit Hochdruck am grünen Übergang und ist optimistisch, schrittweise bis zum Jahr 2035 die wasserstoffbasierte Verhüttung von Eisenerz umzusetzen. So verfolgt ein Joint Venture des schwedischen Stahlerzeugers SSAB, der Bergwerksgesellschaft LKAB und Vattenfall den Einsatz von Hybrit-Technik (Hydrogen Breakthrough Ironmaking Technology). Volvo Trucks verbaut bereits bei einem neuen Elektro-Lkw den Chassisrahmen aus emmisionsfrei hergestellten SSAB-Stahl. Der Rohstoff stammt aus einer Pilotanlage, in der das Direktreduktionsverfahren seit 2021 erprobt wird. Für die Serienfertigung fehlt allerdings bis dato der entsprechend dimensionierte Wasserstoffspeicher. Der soll im nächsten Jahr einsatzbereit sein.

Porsche will einen bilanziell verkleinerten CO2-Fußabdruck seiner Fahrzeuge erreichen und plant für seine Sportwagen ab 2026 den Einsatz von CO2-reduziertem Stahl. Den will das schwedische Startup H2 Green Steel liefern. Das Unternehmen baut gerade im nordschwedischen Boden ein großformatiges Stahlwerk mit Direktreduktionsanlage und eigenem Wasserstoff-Elektrolyseur. Laut hauseigenen Berechnungen entstehen dabei in der ersten Ausbaustufe Kohlenstoffemissionen von etwa 95 bis 195 Kilogramm CO2 pro Tonne Stahl – zum Vergleich: bei der herkömmlichen Hochofenstahlherstellung sind es etwa zwei Tonnen CO2. Das Netto-Null-Ziel für das Bodenwerk wollen die Schweden im Jahr 2040 erreichen.

Der neue Stahl-Entrepreneur rechnet mit einem wachsenden Marktinteresse an grünem Stahl vor allem auf Seiten der Automobilhersteller. Zwar liegt das Preisniveau von CO2-reduziertem Stahl wegen den enormen Investitionskosten über den aktuellen Marktpreisen, das Material trifft aber wegen der eingeleiteten Energiewende auf wachsende Nachfrage. Liefervereinbarungen gibt es bereits mit vielen Herstellern wie Volvo, Porsche, Mercedes-Benz oder BMW. Unlängst hat Automobilzulieferer Schaeffler seine Beteiligung an H2 Green Steel auf 100 Millionen Euro aufgestockt und will als strategischer Technologiepartner sein Knowhow bei der Entwicklung neuer Stahlgüter auf Basis von grünem Stahl für die E-Mobilität einbringen.

Sie möchten gerne weiterlesen?