Opel Sitze

Opel unterzieht seine Sitze einem knallhartem Testprogramm. (Bild: Opel)

Bernd, Werner, Oliver und Marius sind mit Feuereifer bei der Sache: Immer wieder reiben sie über die Seitenwange des Sitzes unter ihnen, tun so, als würden sie ein- und aussteigen und dabei kräftig über das Leder schubbern. Ein bisschen stur und unnachgiebig, aber mit voller Hingabe. Bernd, Werner und Co. sind Prüfroboter im Versuchslabor des Internationalen Technischen Entwicklungszentrums (ITEZ) von Opel in Rüsselsheim. Genau genommen bestehen sie aus einem Reibsattel mit einer jeansähnlichen Oberfläche und einer Schaumstoffschicht, die das menschliche Gesäß und die Oberschenkel simuliert. „Für uns sind das nicht nur Roboter, sondern vollwertige Teammitglieder, die eine wichtige Arbeit leisten, deshalb hat jeder einen Namen“, erklärt Sitzentwickler Andrew Leuchtmann, Senior Manager Interiors bei General Motors Europe.

Bis zu 50.000 solcher Ein- und Aussteig-Zyklen stellt das Roboter-Team nach – das entspricht einem ganzen Autoleben in nur einer Woche. Sowohl die Premium- und Ergonomie-Sitze, die einmal das Gütesiegel von den Experten der Aktion Gesunder Rücken (AGR) erhalten sollen, als auch die serienmäßig integrierten Komfortsitze müssen diese Tortur über sich ergehen lassen. Nach dem Test können die Ingenieure an der Leder- und Gewebestruktur erkennen, ob das Gestühl künftig sämtlichen Belastungen standhalten wird. "Die Farbe ist meistens angegriffen und die Oberfläche angekratzt, das wichtigste aber ist, dass der Schaum darunter hält und die Oberflächenstruktur stabil bleibt", sagt Sitzexperte Leuchtmann. Wenn nicht, heißt es nachrüsten, schließlich sollen die Premium- und Ergonomie-Sitze, die Opel für Fahrer und Beifahrer anbietet, mit Sicherheit ein ganzes Autoleben durchhalten.

AGR-Gütesiegel

„Hier kommt uns natürlich auch unsere große Erfahrung zugute“, meint Leuchtmann. Immerhin kann der Rüsselsheimer Automobilhersteller auf gut 117 Jahre Sitztradition zurückblicken. Der Siegeszug des ergonomisch wertvollen Sitzens begann 2003 mit dem ersten AGR-Gütesiegel für den Opel Signum. Als erster Automobilhersteller bot die GM-Tochter rückengerechtes Sitzen in der Mittelklasse an.

Die Struktur ist das wichtigste Bauteil des Sitzes. Sie sorgt für die Sicherheit der Insassen und hält sie bei einem Aufprall in der richtigen Position, ist aber zugleich auch meist für das hohe Gewicht verantwortlich. Nicht so beim neuen Astra Sports Tourer, wo dank ultra-hochfester Stähle die Sitze um zehn Kilo abgespeckt haben. Mit Hilfe einer Computer-Simulation finden die Ingenieure noch vor dem ersten Prototypenbau heraus, wie weit sie risikolos Gewicht sparen können. Dunklere Farben zeigen ihnen dabei die Spannungsspitzen im Material, an denen es zu einem Bruch kommen könnte. „Wir sind beim Astra Sports Tourer wirklich an die Grenze des Machbaren gegangen und haben viel experimentiert“, sagt Leuchtmann. Unter anderem seien zahlreiche Schweißversuche nötig gewesen. Denn wenn das Material zu dünn sei, könne man nicht mehr schweißen, erklärt der Entwickler.

Tests durch Roboter und Menschen

Sind die ersten Prototypen gebaut und Stoffe oder Leder für die Bezüge ausgewählt, können Werner und Kollegen mit ihrer Arbeit beginnen. Zuvor berechnet das Team, wie stark die Roboter die Sitze tatsächlich belasten müssen. Dazu wird ein Expertenteam bestehend aus Männern und Frauen unterschiedlicher Größe und Statur gebeten, Platz zu nehmen. Unter ihnen liegt dann eine Druckmatte, die Belastungsspitzen misst, etwa dort, wo die Sitzhöcker aufkommen. „Wir testen das mit Prototypen im realen Auto“, erläutert Leuchtmann. „Schließlich ist beispielsweise der Meriva-Sitz von Natur aus höher und man steigt anders ein als in den neuen Astra Sports Tourer, wo wir den Sitz tiefer positioniert haben.“ Auch auf einem Premium- oder Ergonomie-Sitz lässt sich der Tester anders nieder. Wegen der besonders guten Seitenführung sind hier die Seitenwangen höher und werden daher stärker belastet. Aus den so ermittelten Werten ergibt sich eine Durchschnittskalkulation der Belastung, aufgrund der Werner und Co. nun programmiert werden können.

Parallel dazu sind auch neun menschliche Sitzprofis am Werk. Sie fahren zum Beispiel in einem neuen Astra Sports Tourer – stundenlang und kilometerweit. Sie testen die vierfach elektropneumatisch einstellbare Lendenwirbelstütze, die ausziehbare Oberschenkelauflage oder die Massagefunktion, beantworten einen detaillierten Fragenkatalog und vergeben eine subjektive Gesamtnote. Ergeben sich hier Schwachpunkte, muss das über 100 Mitarbeiter starke Expertenteam um Andrew Leuchtmann diese Stück für Stück abarbeiten und beseitigen. Erst dann kann die Serienfertigung tatsächlich beginnen.

Fünf Jahre Sitzentwicklung

Gut fünf Jahre dauert die Sitzentwicklung, davon investiert das Team zwei Jahre in die Umsetzung neuer Konzepte. So auch beim Meriva, dem ersten und bis dato einzigen Fahrzeug, das ein AGR-Gütesiegel für sein integrales Ergonomiesystem erhielt.

Schon jetzt arbeiten die Opelaner im Verborgenen an der nächsten Sitz-Generation. „Es ist wichtig, dass wir unseren Wissensvorsprung gegenüber den Wettbewerbern erhalten und unser Fertigungs-Know-how konsequent erweitern“, so Leuchtmann und ergänzt: „Deshalb entwickeln wir alles so weit wie möglich intern und lassen uns einige Komponenten von unserem eigenen Werk in Kaiserslautern zuliefern.“ Die Vordersitzstrukturen des Astra Sports Tourer etwa werden komplett am pfälzischen Standort gefertigt. Die räumliche Nähe bringe zusätzliche logistische Vorteile. Dabei ist das Ziel klar: Das Gestühl der Zukunft wird noch ergonomischer, noch leichter, noch stylischer und noch sicherer sein.  

 

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