Automobilproduktion

Die klassische Linienfertigung in der Autobranche wird zunehmend durch modulare, flexible Abläufe ergänzt. (Bild: Jeson / Adobe Stock)

Die Autoindustrie muss sich aktuell mehreren Herausforderungen stellen: Einerseits wird die Nachfrage nach Fahrzeugen mit elektrischem Antrieb bis 2027 um rund 466 Prozent anziehen, andererseits werden geteilte Mobilitätsformen bis 2030 rund ein Drittel des Marktes beherrschen. Die Branche muss mit neuen Produktionsmodellen reagieren.

Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse der Strategieberatung PwC Strategy& und des Fraunhofer-Instituts für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB. Die Studienautoren machten bereits 2018 zwei zentrale Produktionsmodelle aus, die es Herstellern ermöglichen, den zukünftigen Anforderungen gerecht zu werden: Einerseits hochautomatisierte „Plug-and-Play-Werke“, die nahezu identische Fahrzeuge für den primären Einsatz in Mobilitätsdiensten fertigen, andererseits „Flex Champions“, die hochgradig individualisierte, technisch anspruchsvolle Fahrzeuge für Privatnutzer bauen.

Aktuell habe sich das Spielfeld in der Autobranche für die „Flex Champions“ deutlich verbessert, so die Studienautoren – unter anderem durch neue Technologien, die zu niedrigeren Preisen ein höheres Maß an Flexibilität erlauben. Beispiele hierfür seien etwa fahrerlose Transportsysteme mit KI-basierter Navigation, die in der Fertigung Fließbänder zunehmend ersetzen und so flexiblere Abläufe als in der bisherigen Perlenkette möglich machen können. Hersteller, die entsprechende Modelle einsetzen, sehen bereits nach rund einem Jahr eine Amortisierung der Ausgaben, berichten die Experten des Fraunhofer-Instituts und PwC Strategy&.

"Um der steigenden Nachfrage an Elektromobilität und den regulatorischen Anforderungen in den kommenden Jahren gerecht zu werden, müssen Automobilhersteller ihre Produktionsprozesse neu denken“, erläutert Axel Borowski, Partner bei Strategy& Deutschland. „Modulare Arbeitsstationen, die durch automatisierte Transportsysteme miteinander verbunden sind, erlauben es, das Volumen und die Modelle einer Fertigungslinie flexibel anzupassen. In Zeiten angespannter Lieferketten und dynamischer Märkte ist das ein entscheidender Vorteil.“

Flex Champions setzen auf modulare Konzepte

Gekennzeichnet seien die „Flex Champions“ unter anderem durch mobile Transportsysteme und Arbeitsstationen, die je nach Aufgabe angepasst werden können und flexible Prozessabläufe auf Basis eines selbstorganisierten Steuerungssystems ermöglichen, heißt es weiter. Dabei liege ein besonderer Fokus auf höherqualifizierten Mitarbeitern, einem Realtime-Tracking der einzelnen Bauteile über einen Digital Twin der Fabrik sowie lokale Edge-Computing-Systeme und Prozesse, die sich mit Hilfe von Machine Learning selbstständig optimieren. Ein Augenmerk müsse zudem auf modularen Konzepten liegen: Maschinen und Systeme sollten demnach in der Lage sein, die gesamte Fülle an Aufgaben in der Montage zu erfüllen, statt durch eine zu starre Festlegung auf einzelne Arbeitsschritte Ressourcen wie Geld oder Raum zu verschwenden.

Konkret setzen „Flex Champions“ verstärkt auf versatile Robotik-Hardware und entsprechende Software zur Steuerung und Kommunikation. Ein Einsatz entsprechender Systeme müsse jedoch sorgfältig geprüft werden und mache vor allem in Prozessschritten Sinn, wo eine traditionellere Fertigung durch Mehrarbeiten ins Stocken gerate – etwa beim Bau von Convertible-Modellen im Vergleich zu Fahrzeugen mit starrem Dach. Generell habe sich für die „Flex Champions“ jedoch die Kostenkurve im Vergleich zur Vergangenheit verschoben, so dass in der Betrachtung durchschnittlicher Fertigungseinheiten ein höheres Maß an Flexibilität wirtschaftlicher sei als zuvor.

Grafik Strategy& Fraunhofer IOSB
Grafik: Strategy&

„Durch immer größere Variantenvielfalt und kurzlebigere Produktzyklen kommt das bisher etablierte Perlenketten-Prinzip der Automobilproduktion an seine Grenzen. Um in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben, sollten sich vor allem Hersteller im Premiumsegment auf intelligent vernetzte, sich selbstorganisierende Fertigungsansätze konzentrieren, die eine gesteigerte Flexibilität und Effizienz ermöglichen“, erläutert Olaf Sauer, Stellvertretender Institutsleiter, Geschäftsfeld Automatisierung und Digitalisierung am Fraunhofer IOSB. „KI-getriebene Prozesse können dabei über die Fertigung hinaus in der kompletten Supply Chain sinnvoll sein. Die Umsetzung ist anspruchsvoll – aber mit dem heutigen Stand der Technik möglich und vor allem wirtschaftlich lohnend."

Ein weiteres Element der „Flex Champions“ ist den Studienautoren zufolge ein technologisches Steuerungssystem der Produktion, das einen dezentralisierten Ansatz verfolgt. Entsprechende ITK-Technologien und Algorithmen seien aktuell bereits verfügbar. Autonome KI-Algorithmen zur Entscheidungsfindung seien zudem in der Lage, deutlich schneller Weichenstellungen in der Lieferkette vorzunehmen und so schneller auf Unsicherheiten oder Risiken zu reagieren. Gleichzeitig bedeute dies eine stärkere Einbindung der Zulieferer in die Systeme der Hersteller – etwa um die digitale Abbildung der Logistik zu perfektionieren.

Porsche und AMG sind Positivbeispiele

Produktion des Porsche Taycan in Zuffenhausen
Die Produktion des Porsche Taycan ist für die Studienautoren ein Positivbeispiel für die flexible Produktion. (Bild: Porsche)

Im Rahmen der Studie heben das Fraunhofer IOSB und PwC Strategy& zwei Beispiele in der Produktion deutscher Hersteller positiv hervor: Den Bau des AMG M139-Motors bei Daimler sowie des Porsche Taycan. AMG steche mit der eigenen Produktion in Affalterbach vor allem in Sachen Modularität positiv hervor: Hier sei die Maxime „One Man, One Engine“, in deren Rahmen ein einzelner Mitarbeiter die Produktion einzelner Motoren verantwortet, um Lösungen aus dem Bereich Industrie 4.0 erweitert worden.

Die Produktionslinie setzt dabei weder auf Routenzüge oder Gabelstapler, sondern auf frei bewegliche, autonome Trolleys, die es Mitarbeitern ermöglichen, ihre Position in der Fertigung frei zu ändern sowie auf autonome Lieferfahrzeuge. Mit Hilfe der Lösung kann AMG auf Schwankungen in der Anzahl der jeweils zu produzierenden Motoren reagieren und die Linie leicht für neue Varianten fit machen. „Variantenflexibilität war eine unserer Top-Prioritäten als wir die Linie geplant haben“, erklärt Fabian Jenuwein von Mercedes-AMG. „Jeder Euro, den wir in Flexibilität investiert haben, hat sich innerhalb von nur einem Jahr bezahlt gemacht.“

Die autonomen Trolleys bei Daimlers Performance-Schmiede beinhalten alle für die Produktion notwendigen Werkzeuge und Ressourcen; ein integriertes Tablet liefert dem Mitarbeiter Informationen zu den nötigen Prozessschritten in der papierlosen Fertigung. Jedem Mitarbeiter folgt zudem ein autonomes Transportsystem, dass die benötigten Teile anliefert. Die autonomen Warenkörbe werden vom Logistik-Zentrum in Marbach für die Just-in-Sequence-Anlieferung der einzelnen Mitarbeiter befüllt. Im Vergleich zur konventionellen Fertigungslinie habe AMG so die Bearbeitungszeiten einzelner Motoren um durchschnittlich 20 Prozent gesenkt.

Die Porsche-Fertigung des Taycan sei hingegen ein Paradebeispiel für flexible Abläufe in der Produktion, so die Studienautoren: Auch hier ersetzen autonome Transportsysteme das Fließband. Durch die Nutzung fahrerloser Transportsysteme habe man sich ein Flexibilitätspolster erarbeitet, erklärt Porsches Produktionschef Albrecht Reimold. „In Zukunft wird uns das ermöglichen, einfacher auf umfassende Änderungen im Layout der Fabrik oder der Fertigungsreihenfolge zu reagieren und flexiblere Sequenzen in der operationalen Kontrolle einzuführen“, so Reimold. Bereits bei der Konzeption der Fertigung habe Porsche auf End-to-End-Prozesse und systematische Datendurchgängigkeit innerhalb eines komplett digitalen Modells gesetzt.

Vernetzte Produktion, Strategy&
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