Früher hätte Mercedes ein Multimediasystem wie MBUX zunächst in der E-Klasse aufwärts eingeführt - jetzt hat die A-Klasse Vorrang.
Früher hätte Mercedes ein Multimediasystem wie MBUX zunächst in der E-Klasse aufwärts eingeführt - jetzt hat die A-Klasse Vorrang. (Bild: Daimler)

AUTOMOBIL PRODUKTION: Wie hat sich die Zusammenarbeit in der Praxis gestaltet, welche besonderen Herausforderungen galt es zu meistern?
Khan: Nachdem wir klassisch mit der Übergabe unserer Systemspezifikation an Harman gestartet sind, haben wir sehr schnell bemerkt, dass wir in der Zusammenarbeit deutlich enger und agiler werden müssen. Wir haben es geschafft, die Experten beider Häuser so zusammenzubringen, dass das System termingerecht für die neue Mercedes-Benz A-Klasse fertiggestellt wurde. Die große Herausforderung dabei war, dass sich das System im Laufe des Entwicklungsprozesses noch gewandelt hat, beispielsweise sind neueste Innovationen und Technologien auch noch lange nach Prozessbeginn in die MBUX implementiert worden.

Zehender: Eine grundsätzliche Herausforderung ist der Trend zu kürzeren Technologie- und Fahrzeuglebenszyklen. Daraus resultieren für den Einkauf verkürzte Vergabezyklen und für die Qualitätsingenieure bedeutet das, in deutlich kürzerer Zeit Reifegradprozesse abzusichern. Wie Herr Khan schon sagte, hat sich das System ja im Laufe des Entwicklungsprozesses noch gewandelt. Um allen Seiten hier die nötige Flexibilität zu geben, und um insbesondere der komplexen Verantwortung des Lieferanten gerecht zu werden, basierte die Vergabe auf einem zukunftsweisenden Vertragswerk. Es gab uns erstmals die Möglichkeit, Software-Module unabhängig vom Gesamtsystem zu entwickeln. Dadurch konnte wesentlich agiler gearbeitet werden.

Paliwal: Die Entwicklungen von Innovationen sind vor allem gekennzeichnet durch Geschwindigkeit und Risikobereitschaft. Von Tag 1 war klar, es gibt nur ein Team, das „Daimler-Harman Team“. Es hat allerdings eine gewisse Zeit gedauert, bis die veralteten traditionellen Denkmuster verschwunden waren – sicherlich eine der größten Herausforderungen. Die Bereitschaft, Risiken und Innovationen abzuwägen und schnelle innovative Lösungen zu entwickeln, war auf beiden Seiten groß und half, unkonventionelle neue Wege zu gehen. Das machte die Entwicklung schnell und sehr ergebnisorientiert und hat zu einem einzigartigen Kundenerlebnis inklusive Einsatz innovativer Artificial Intelligence und Augmented-Reality-Navigations-Anwendungen beim MBUX-System geführt.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Herr Zehender, ein fertiges Produkt zu haben ist die eine Seite, wie schaut es mit der Qualitätssicherung aus? Welche Parameter wurden hier angelegt? 
Zehender: Mercedes-Benz steht für Spitzenqualität – in meinem Bereich sind dafür rund 600 Qualitätsingenieure verantwortlich, auch für Software. Der Prozess hierfür, also der Weg zur reifen und fehlerfrei funktionierenden Software, ist komplex. Wir haben als erster Automobilhersteller zur Qualitätssicherung bei Softwareprojekten eine Methodik auf Basis bestehender VDA-Methoden zur Reifegradabsicherung entwickelt. Wir nennen die Methodik „Software Maturity Processes“, kurz SMP. Einer der Bausteine ist „Automotive SPICE“, ein standardisiertes Bewertungsverfahren für Software. Unsere Qualitätsingenieure haben SMP bei MBUX erstmals während der kompletten Entwicklungsphase angewendet. Hier fand ein regelmäßiger und sehr enger Austausch mit Harman statt.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Früher hätte man eine Großinnovation wie MBUX zunächst ab der E-Klasse aufwärts eingeführt. Dass das System zuerst in der A-Klasse eingeführt wird, ist das der gewachsenen Bedeutung der Kompakten geschuldet oder dem Umstand, dass MBUX eher für eine jüngere Käufergruppe interessant ist?
Zehender:Tatsächlich haben wir mit der neuen Generation der Kompakten das Durchschnittsalter der europäischen Fahrer im Vergleich zum Vorgängermodell um mehr als zehn Jahre reduziert. Die A-Klasse war von jeher ein „First Mover“ und setzt Maßstäbe unter den Kompaktwagen. MBUX in der A-Klasse einzuführen, ist der nächste konsequente Schritt in der Erfolgsgeschichte und Zeichen des Pioniergeistes, für den die A-Klasse steht. Da gerade junge Fahrer viel Wert auf Technologie und Innovationen legen, möchten wir sie mit coolen Features begeistern. Damit aber nicht genug, MBUX werden Sie auch bald in unseren anderen Baureihen finden.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Ist der Auftrag von Mercedes-Benz eine Art Ritterschlag für Sie was die Wahrnehmung Harmans im Bereich Software- und Integrationskompetenz anbelangt?
Paliwal: Wir haben eine lange Tradition in der Entwicklung komplexer Infotainment-Systeme. Die Komplexität von MBUX war trotzdem eine besondere Herausforderung. Gemeinsam mit dem Mercedes-Benz R&D-Team erzielten wir, vor allem in den Bereichen Software-Entwicklung und Systemintegration, über Jahre weltweit bereits Spitzenleistungen. Der Erfolg von MBUX allerdings ist ein herausragender Meilenstein in unserer über 70-jährigen Kundenbeziehung. Es zeigt vor allem, dass es richtig war, die Entwicklungsarbeit komplett zu hinterfragen und Dinge anders anzugehen. Dazu braucht es auch den richtigen Partner auf der OEM-Seite. Der Erfolg ist der Beginn einer neuen Ära der Kooperation in der Automobilbranche.

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