AUTOMOBIL PRODUKTION: Der Druck auf OEM und Zulieferer wächst, die Abläufe in der gesamten Wertschöpfungskette zu optimieren und Kosten zu senken. Schlägt jetzt die Stunde der IT?
Schon lange ist die IT-Abteilung der Rolle entwachsen, Prozesse lediglich technisch zu unterstützen. Vielmehr ist die enge Zusammenarbeit der IT mit dem Fachbereich bei der Umsetzung von optimalen Prozessen der Schlüssel zu einer Transformation des gesamten Business. Business und IT Transformation ist da das Stichwort, denn sowohl aus Business- als auch aus IT-Sicht lassen sich noch einige Potenziale erschließen. So ist beispielsweise eine Durchgängigkeit von Prozessen nur dann möglich, wenn die unterstützenden IT-Systeme und die entsprechenden Datenmodelle harmonisiert sind. Besonders in der Produktion liegen noch erhebliche Potenziale brach. Sind die Prozesse mit durchgängiger IT unterstützt und werden alle Daten erfasst, lassen sich Vorhersagen ableiten und dann nicht nur bessere Entscheidungen treffen, sondern auch neue Geschäftsmodelle ableiten. Wenn ein Hersteller weiß, welche Teile in welchem Fahrzeug verbaut sind und wann sie im Fahrzeug verschleißen, kann er seine Kunden genau zum richtigen Zeitpunkt mit diesen Teilen versorgen. Das ist eine Möglichkeit, die Prozesse im Aftersales zu optimieren. Denken Sie aber auch an die Materialversorgung und die Einsparungen durch präzise Planung. Hersteller können so Überkapazitäten vorbeugen, ohne Lieferengpässe zu riskieren, Kundenzufriedenheit und Kundenloyalität erhöhen und letztlich Mobilität verkaufen.
AUTOMOBIL PRODUKTION: Welchen Automobilbauer sehen Sie derzeit in Richtung Standardisierung der Produktion und Industrie 4.0 mit vernetzten und selbstlernenden IT-Systemen an der Spitze?
Die Automobilindustrie nimmt insgesamt als Branche eine Vorreiterrolle in Bezug auf Industrie 4.0 ein. So ist SAP bei OEMs und großen Zulieferern als Standardsoftware weit verbreitet. Ich beobachte, dass sich die ganze Branche mit intelligenten Konsolidierungsprojekten auf die Zukunft einstellt. Wichtig ist dabei, die Standardisierung über die gesamte Wertschöpfungskette bis in die Fertigung hinein voranzutreiben, da dort entscheidende Daten anfallen.
Zur Person Der Diplomkaufmann Peter Grendel (50) ist neues Mitglied des Vorstands des Bremer SAP-Dienstleisters abat. Gemeinsam mit sieben Vorstandskollegen leitet er nun die Geschäfte des internationalen IT-Spezialisten. Grendel ist für die Bereiche Marketing und Vertrieb zuständig und verantwortet zusätzlich die Weiterentwicklung der Produktionsleit- und -steuerungssoftware PLUS. Im Unternehmen ist Grendel bereits seit dem Jahr 2010. Bis dato war er Geschäftsführer der abat+ GmbH, die er als Bestandteil der abat Gruppe zusammen mit anderen ehemaligen Mitarbeitern der SAP AG gegründet hatte. Als einer der Geschäftsführenden Gesellschafter bleibt er bei abat+ weiterhin für Vertrieb und Marketing sowie die Unternehmensstrategie und HR zuständig. Bei der SAP AG hatte Grendel verschiedene Leitungsfunktionen inne und verantwortete die Umsetzung von Großprojekten in der Automotive-Branche, wie beispielsweise AmSECAM für den Automobilhersteller Daimler AG. |
AUTOMOBIL PRODUKTION: Steht nicht die Komplexität von Zulieferprozessen dem Einsatz von Standardsoftware im Wege?
Eher im Gegenteil: Standardsoftware unterstützt dabei, den Überblick in komplexen Zuliefernetzen zu behalten. Denn wenn Systeme, Daten- und Prozessmodelle nicht kompatibel sind, fehlt schlicht die gemeinsame Datenbasis für ein abgestimmtes Vorgehen. Dabei geht es nicht darum, alle Akteure softwareseitig „über einen Kamm zu scheren“, sondern um einen intelligenten Spagat zwischen Standardisierung und Individualisierung. Der Informationsfluss über Systemgrenzen hinweg muss funktionieren. SAP-Software bietet sich für eine Konsolidierung an, weil sie sämtliche Geschäftsprozesse abdeckt. Neu ist, dass das Produktionssteuerungs-System PLUS auf SAP-Technologie basiert und so eine komplette Durchgängigkeit der IT im Wertschöpfungsprozess sicherstellt.
AUTOMOBIL PRODUKTION: Was sind die wichtigsten Weichenstellungen für eine Produktion auf “Industrie 4.0-Level”?
Die Integration und Harmonisierung der Systeme ist eine wichtige Voraussetzung für vernetzte, sich selbst steuernde Produktionsprozesse. Daten aus der einzelnen Maschine über die Produktionsstation bis hin zur kompletten Fertigungslinie sollten in einheitlichen Datenmodellen vorliegen, damit sie gemeinsam genutzt und ausgewertet werden können. Wenn die Datenanalyse einen genauen Blick in die Zukunft gestattet, lassen sich Massenentscheidungen automatisieren – ein wesentliches Moment von Industrie 4.0.
Denken Sie etwa an das Qualitätsmanagement: Qualitätsmanagement auf „Industrie 4.0-Level“ bedeutet, Abweichungen vom Kontrollplan in Echtzeit zu erkennen und bereits im laufenden Fertigungsprozess automatisch Gegenmaßnahmen anzustoßen. So wird auch deutlich, dass die Daten aus der Fertigungssteuerung und Qualität, also aus den MES-Systemen, zentrale Bestandteile für Industrie 4.0-Konzepte sind.
AUTOMOBIL PRODUKTION: In Strategiekonzepten taucht immer öfter “Predictive Business” auf. Was genau hat es damit auf sich?
Ein Predictive Business trifft operative Entscheidungen auf der Grundlage von Predictive Analytics, der vorausschauenden Analyse von Big Data. Das verleiht dem gesamten unternehmerischen Handeln eine völlig neue Perspektive.
Heutzutage werden Fahrzeugdaten ganz überwiegend rückwirkend ausgewertet: Weshalb funktioniert die Lichtmaschine oder die Kupplung nicht? Welcher Fehler ist in der Vergangenheit aufgetreten? Oder die Unternehmen werten ihre durchaus vorhandene breite Datenbasis aus, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen bereits existierenden Modellen, Typen oder Motoren festzustellen. Wie aber lassen sich die Fahrzeugdaten proaktiv, also in die Zukunft gewandt auswerten? Diese Frage beschäftigt das Management von Predictive Business.
AUTOMOBIL PRODUKTION: Was können Predictive Analytics in der Automobilproduktion leisten?
Zwar integrieren immer mehr Automobilhersteller die Analyse von Big Data in Form von Predictive Analytics, jedoch sind die Möglichkeiten noch längst nicht ausgeschöpft. Die Fahrzeuge selbst erfassen und liefern über Sensoren und Diagnosesysteme eine Fülle an Daten zu Fahrverhalten, Verschleiß und Nutzung. Hinzu kommen Informationen aus Konstruktion, Produktion und Logistik sowie aus dem Service und Market Research. Mit integrierten und standardisierten MES-Systemen gelingt es, die DNA des Autos genau da zu erfassen und zu dokumentieren, wo sie entsteht. Welche Teile wurden konkret verwendet? Wie wurden sie verbaut? Werden diese Daten mit Fahrzeugdaten aus Sensoren und Diagnosesystemen verknüpft und analysiert, ergeben sich sehr interessante Optimierungspotenziale für die Fertigung, die Fahrzeugentwicklung und den Service. Noch bevor ein Schaden auftritt, lassen sich so Werkstatttermine automatisch vereinbaren, inklusive reserviertem Ersatzfahrzeug. So entstehen neue Geschäftsmodelle.
AUTOMOBIL PRODUKTION: Welche Voraussetzungen müssen für Predictive Analytics geschaffen werden?
Es werden durchgängige, vollständige Daten in einheitlichen Formaten und Qualitäten benötigt. Dafür sind die IT-Systeme zu harmonisieren und über die komplette Wertschöpfungskette zu etablieren. Die DNA des Fahrzeugs bildet den Schlüssel, und diese entsteht durch die lückenlose Erfassung von Produktions- und Qualitätsinformationen.
AUTOMOBIL PRODUKTION: Die Rückrufzahlen sind so hoch wie nie. Was läuft da aus IT-Sicht falsch?
Wer ein konsequentes Qualitätsmanagement betreibt, muss keine Fehler beheben. IT-seitig bedeutet das den Einsatz eines durchgängigen MES-Systems mit einem komplett integrierten Inline Quality Management. Es erfasst alle Produktionsschritte und sämtliche Fehler nachhaltig, steuert die Nachbearbeitung beziehungsweise stellt diese sicher und dokumentiert die zugehörigen Arbeiten. Ein MES-System mit integriertem Qualitätsmanagement erhöht die Reaktionsgeschwindigkeit bei Fehlern und Qualitätsmängeln drastisch. Fehlteile können im laufenden Prozess umgehend nachgearbeitet oder aussortiert werden. Diese Vorteile sehen wir schon heute bei unseren Kunden.
AUTOMOBIL PRODUKTION: Immer mehr OEMs beschäftigt die Frage, wie sie Big Data für sich nutzen können. Was ist im Jahr 2015 möglich, wohin gehen die Trends?
Im Jahr 2015 ist sehr viel möglich, ich möchte sogar sagen nötig. OEMs sind gut beraten, wenn sie sich spätestens jetzt darauf vorbereiten, Big Data zu analysieren und Prognosen zu nutzen. Dazu sollten die Unternehmen ihre IT-Landschaft weiter harmonisieren. Für einzelne Werke gelingt das mit MES-Systemen wie PLUS in ein- bis anderthalb Jahren. Der Roll-out über mehrere Werke auf der ganzen Welt kann mehrere Jahre in Anspruch nehmen.
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Das Interview führte Christian Klein